Hermsdorf unterm Kynast/Rsgb., Kreis Hirschberg

im Jahre 1927





Hermsdorf unterm Kynast, überragt von dem steilen, burggekrönten Kegel des Kynast, der dem Ort seine nähere Bezeichnung gab, ist eine Dorfgemeinde mit ca. 3 400 Einwohnern. Diese erhält ihr besonderes Gepräge durch ihre günstige Lage unmittelbar am Gebirgsfuß, und zwar genau der Mitte des Nordabfalles des Riesengebirgskammes vorgelagert. Diese günstige Lage hat schon frühzeitig dazu geführt, Hermsdorf eine bevorzugte Stellung unter den Orten des Hirschberger Landkreise einzuräumen. Es ist kein Zufall, daß die Reichsgräflich Schaffgot`sche Kameralverwaltung ihren Sitz in Hermsdorf hat, daß hier die Fäden zusammenlaufen, die den sich von Greiffenberg über das Isergebirge hinweg und längs des Riesengebirgskammes erstreckenden gewaltigen Land- und besonders Forstbesitz dieser großen Standesherrschaft verbinden. Ein Amtsgericht, das für die südwestlichen Teile des Kreises Hirschberg zuständig ist, hat hier seinen Sitz. Die oben erwähnte günstige Lage am Gebirgsfuß hat weiter dazu geführt, in Hermsdorf ein ansehnliches, blühendes Wirtschaftsleben zu entfalten, den Ort neben Schreiberhau und Petersdorf zu einem der Hauptstützpunkte der schlesischen Kristallglasindustrie zu machen, Mehrere Betriebe der Holz-, Eisen-, und Maschinen-Industrie anzusiedeln, die über die Grenzen der Heimat hinaus Bedeutung haben, und in Zusammenhang damit einen lebhaften Handel und einen Handwerksstand zu entwickeln, der nicht nur den Ort selbst, sondern wesentliche Teile des Riesengebirges mit seinen Waren und Erzeugnissen versorgt. Wie bei einem Ort von dieser Lage zu erwarten, nimmt die Fremdenindustrie eine bedeutende Stellung in seinem Wirtschaftsleben ein. Zahlreiche gut geleitete Hotels, Gasthäuser und Pensionen stehen den Gästen zu mäßigen Preisen zur Verfügung, eine ganze Reihe von Fuhrwerksunternehmungen besorgen mit Pferden und Kraftwagen den Verkehr, bei dem insbesondere der winterliche Hörnerschlittenverkehr als rasche, bequeme und äußerst reizvolle Beförderungsart nach dem Gebirgskamm eine große Rolle spielt, und in vielen Privathäusern finden Sommer und Winter erholungssuchende Städter angenehmen Ferienaufenthalt. Für den Erholungsgast ist die günstige, zentrale Lage in Hermsdorf von großem Vorteil, ermöglicht sie es ihm doch, direkt von Hermsdorf aus in größeren oder kleineren Ausflügen die Umgebung zu durchwandern und auch zu Fuß bequem die Mitte des Riesengebirgskammes, den Spindlerpass, zu erreichen, oder aber unter Benutzung der verschiedenen öffentlichen Verkehrsmittel – Hermsdorf ist Station der elektrisch betriebenen Staatsbahnlinie Hirschberg – Bad Warmbrunn – Hermsdorf (Kynast) – Oberschreiberhau - Reichenberg (Tschecho-Slowakei), ferner Endstation der Hirschberger Talbahn Hirschberg – Bad Warmbrunn – Hermsdorf, die in Warmbrunn eine Abzweigung nach Giersdorf hat, und schließlich ein wichtiger Knotenpunkt der Postautobuslinien, in dem die Strecken Brückenberg – Krummhübel – Giersdorf – Hermsdorf – Oberschreiberhau und Hermsdorf – Bad Flinsberg zusammenlaufen. In Krummhübel findet man mit dem Postauto Anschluß an die Linie Krummhübel – Schmiedeberg – Grenzbauden, die bis zu 1100 m emporführt. Durch den für die nächste Zeit geplanten Bau einer Chaussee Hermsdorf – Agnetendorf – Spindlerpaß mit Anschluß an die Anfangstation der neuen Seilschwebebahn nach dem Spindlerpaß dürften die verkehrstechnischen Belange Hermsdorfs eine weitere günstige Entwicklung erfahren, ebenso wie der 1927 zum ersten Male eingerichtete Flugzeugverkehr Breslau – Hirschberg - Berlin weitere Vorteile in verkehrstechnischer Hinsicht auch für Hermsdorf bringt, das durch einen Autoverkehr mit dem Flugplatz verbunden wird.


Der Kynast

Das Wahrzeichen Hermsdorfs ist der Kynast. Nach Nordosten und Nordwesten fällt der Berg allmählich ab, während nach Südwesten die Spitze 150 Meter tief steil zum Höllengrunde und ebenso in steilen Wänden nach Südosten zum Goldloche abfällt. Von diesen Steilwänden sind mächtige Felskolosse abgebrochen und in die Gründe abgerollt, wo sie das Staunen der Besucher hervorrufen. Am sanfter abfallenden Nordhange finden wir ebenfalls einzelne Felsblöcke, die aber als Verwitterungsreste zu bezeichnen sind. Zu ihnen gehören der Wachtstein und der Hohle Stein. Die freiliegenden Felsblöcke zeigen auf der Oberfläche oft schüsselartige Vertiefungen, die zumteil mit Wasser angefüllt sind. Diese Vertiefungen werden fälschlich als heidnische Opferkessel bezeichnet, sind aber Verwitterungsprodukte.

Der ganze Berg ist mit Wald bestanden. Während alle seine Nachbarn in der Regel mit Fichten und Tannen bedeckt sind, herrscht am Kynast die Kiefer vor. Das ist eine Merkwürdigkeit des Riesen-gebirges, für welche eine Begründung noch nicht vorliegt. Zwischen die gelblichrote Stammfärbung bringen die reichlich eingestreuten Buchenbestände mit ihrer grauweiß glänzenden Rinde ein eigenartiges Kolorit.


Die BURG KYNAST soll ihren Ursprung einem im 13. Jahrhundert erbauten Jägerhaus verdanken. Diesem Jägerhaus folgte ein „neues Haus“, das Kynast, d. i. Neuhaus hieß. Nach neueren Forschun-gen 1353/64 von Bolko II. erbaut. 1364 das erste Mal urkundlich erwähnt. 1675 durch Blitzschlag eingeäschert, seitdem Ruine. Die Ruinen zeigen die Großzügigkeit der ganzen Anlage, verraten aber auch unzweifelhaft, daß die Burg nicht mit einem Male erbaut wurde, sondern zunächst der höchste und innerste Teil entstand, dem wahrscheinlich während der Hussitengefahr der große zweite und vielleicht noch später der kleinere erste Hof angegliedert wurde. Auf dem ehemaligen Turnierplatze steht jetzt eine Restauration. Der Turm ist besteigbar. 105 Stufen. Von der Plattform des Turmes genießt man einen überwältigenden Blick auf die ganze Umgebung. Während talwärts der Blick über gesegnete Fruchtfelder und bevölkerte Dorfreihen bis hin zu den burgengekrönten Schwestern Greiffenstein und Gröditzberg schweift, blickt man bergwärts in den schaurigen, sagenumwobenen Höllengrund, erhebt aber bald das Auge zu den schneegezierten Gipfeln des Riesengebirges, die in ununterbrochener Reihe sich zeigen; die bekanntesten Kammbauden schmücken den schroffen Rücken. Davor lagern zwischen den Berghängen bekannte Sommerfrischen, aber uns ganz zu Füßen sehen wir Westwärts die blinkenden Häuserreihen unsres lieben Heimatdorfes, von dem wir jedes uns lieb gewordene Fleckchen deutlich erkennen. Führer und geschichtliche Beschreibung der Burg sind in der Restauration und auf dem Burgvorplatze zu haben. Gern sitzen wir hier unter den alten Linden, betrachten die glatten Burgwände, gedenken auch Theodor Körners, der die Burg besuchte und besang und dem ein Denkmal an der Burgmauer errichtet wurde, blicken hinab auf die breite Häuserzeile im Tale und steigen dann, erfrischt und gestärkt von dem fürsorglichen Wirte, wieder hinab durch den schattigen Bergwald in die friedlichen Räume der trauten Heimat.