Die edle Zunft der Laboranten

von R.Z. (1963)


Laboranten? O, das sind die Männer und Frauen, die im „Labor“ arbeiten. Jeder Arzt, jeder Apotheker, jedes Krankenhaus hat heute sein Laboratorium. Große und kleine Farbwerke, Arzneimittelfabriken u, andere haben ihrer mehr, und weibliche und männliche Angestellte arbeiten darin in weißen Mänteln. „Wenn ich aus der Schule gehe, werde ich Photolaborantin, das ist ein interessanter Beruf, der noch eine Zukunft verspricht.“ Selbst dem Kinde ist das aus dem Lateinischen stammende Wort „Laborant“ schon geläufig, bezeichnet ihm einen begehrenswerten Beruf.

Was aber ein alter Riesengebirgler ist, der das Glück hatte, dort aufgewachsen zu sein, vielleicht gar in Krummhübel, der weiß gewiß noch von seinem Groß- oder Urgroßvater her, daß das Wort dort schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts im Schwange war und einen für die Riesengebirgler lebenswichtigen Beruf bedeutete, die Laboranten oder Kräutersammler, auch Wurzelmänner, die Heilkräuter und wunderwirkende Wurzeln sammelten. Besonders waren es die Bewohner des Bergdorfes Krummhübel, eines „Apothekerdorfes“, die sich zu einer Zunft zusammenschlossen, die bis etwa ins letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts bestand. Der letzte Krummhübler Laborant, namens August Zölfel, starb im Jahre 1884, nach anderen 1894.

Was wir über diesen seltsamen Erwerbszweig der alten Gebirgler heute noch wissen, hat uns Theodor Donat, der unsere Berge mehr liebte als Geld und Gut und unvergessen bleiben sollte als Vater unseres Riesengebirgsvereins, noch kurz bevor er 1890 die Augen für immer schloß, im Organ des RGV. „Der Wanderer im Riesengebirge“ niedergeschrieben.

Es ist ganz gewiß, daß schon in der Mitte des 17.Jahrhunderts ein ziemlich lebhafter Handel mit Arzneipflanzen und Wurzeln vom Riesengebirge aus nach dem Flachlande stattgefunden hat, dessen Anfänge aber jedenfalls viel weiter zurückreichen.“ Zwei böhmische Medizinstudenten sollen im Jahr 1700 aus Prag geflohen sein und in den Hütten von Krummhübel Zuflucht gefunden haben. Sie spürten den Geheimnissen der einsamen Bergwelt nach, fanden unter den duftenden Kindern Floras wirkiche Schätze, weihten ihre Beschützer, die Eingeborenen von Krummhübel, über die Kenntnis der Heilpflanzen ein und in die Fertigkeit, daraus Medikamente zu bereiten. Damit war der Grund gelegt für ein ganz neues Gewerbe: das Suchen und Züchten der Kräuter und Wurzeln, ihre Behandlung und Verarbeitung und einen schwunghaften Handel der weit im Lande umherziehenden Wurzelmänner.

Die Namen der beiden Studenten sind nicht bekannt; da sie geflohen waren, hielten sie dieselben geheim; aber die Namen ihrer ersten Schüler: Laboranten, Namen, die bis um 1900 im Gebirge noch verbreitet waren: Melchior Großmann und Jonas Exner. Nach einem noch um diese Jahrhundertwende erhaltenen „Rauchfang-Steuer-Register“ aus dem Jahre 1696 hatte Krummhübel damals 57 bewohnte Häuser, mehrere davon scheinen in einer Hand gewesen zu sein: Jonas Exner zahlte für zwei Häuser, Melchior Großmann für zwei Häuser. Christoph Exner kommt dreimal vor. Nach dieser Steuerliste gehörten Melchior Großmann und Jonas Exner zu den höchsten Steuerzahlern und wohlhabendsten Leuten des Dorfes, welches keine Kirche, keine Schule aber – eine Schänke hatte. Der Haupterwerbszweig war die Köhlerei im gesamten Riesengebirge.

Die Tätigkeit der Laboranten muß in den ersten Jahrzehnten wenig beachtet und geschätzt worden sein. Allmählich aber ist das Gewerbe aufgeblüht. Krummhübel hatte um diese Zeit (1796) hundert Wohnhäuser, und die Laboranten waren als Zunft organisiert, welche 1796 27 Mitglieder zählte. 18 wohnten in Krummhübel, 2 in Steinseiffen, 2 in Arnsdorf, 5 in anderen Orten des Riesengebirges. An der Spitze standen im genannten Jahre Christian Ignatius Exner als Oberältester, Benjamin Gottlieb Exner als Ältester, Johann Christoph Großmann als Nebenältester. Kein Unberufener wurde aufgenommen, Lehrlinge benötigten eine Ausbildung von 5 Jahren und mußten vor dem Freispruch ein Examen vor dem Kreisphysikus (Kreisarzt) in Hirschberg bestanden haben. Die Ältesten der Zunft vertraten die Mitglieder den Behörden gegenüber und sorgten umgekehrt für Ausführung der behördlichen Anordnungen. Sie setzten die Preise der Medikamente fest, bestimmten die Märkte, welche regelmäßig und alljährlich besucht wurden, wo sie ihre Buden aufschlugen usw. In der ersten Zeit, also noch unter österreichischer Herrschaft, wurden den Laboranten in der Wahl der Medikamente, auf deren Zusammensetzung wenig oder gar keine Beschränkung auferlegt; unter preußischer Herrschaft wurde es selbstverständlich strenger. Noch 1796 war den Laboranten gestattet, 46 verschiedene Medikamente zu bereiten und zu verkaufen. Unser Donat entnahm das Verzeichnis den „Provinzial Blättern“ 1796, Seite 509, für seine Arbeit die wichtige, zuverlässige Quelle. Ich muß mich auf einige wenige von diesen Medikamenten beschränken: Aqua apoplectica alba (weißes Schlagwasser), dasselbe „rubra“ (rotes Schlagwasser). Balsam spielte eine wichtige Rolle, Balsamus anglicus war der englische Haupt-und Universalbalsam, Balsamus embryonum, der stärkende Kinderbalsam. Wie groß war noch in jüngster Zeit die Nachfrage nach dem Warmbrunner Nervenbalsam, das in Berg und Tal beliebte Allheilmittel. Balsamus vitae war begehrt als der Lebensbalsam. Dann folgten die vielen Elexiraes und Essentia: Ruhrtropfen, stärkende Gall-und Magentropfen, alles kaufte die Hoffmanstropfen und heilte jede Krankheit. Pulvis dentifriticus erkennt jeder als Zahnpulver. Da gab es das Markgrafen-Pulver und schließlich Brust- und Blutreinigungstee und jeder hatte in seiner „Hausapotheke“ die verschiedensten „Einreiben“, den Arnikaspiritus, innerlich und äußerlich angewandt (Arnika montana) Ameisenspiritus und diverse Tinkturen, z.B. valeriana = Baldriantropfen, die die Nerven beruhigen und einschläfern. Halfen die von den Laboranten gekauften Medikamente nicht, so schadeten sie doch wenigstens nicht. Es muß damals, wie auch heute noch, jeder Arznei ein paar Tropfen Glauben und ein Quentlein Hoffnung von seiten des Käufers beigefügt werden.

Alle diese Heilmittel verfertigten die „Laienapotheker“, als was man sie bezeichnen könnte, aus Wurzeln und Kräutern, die sich im Gebirge sammeln ließen und aus ätherischen Oelen, Säuren, Salzen, Fetten und anderen Stoffen, welche sie aus Drogenhandlungen Breslaus bezogen. Die Kräuter wurden von Sammlern, Männer, „Wurzeln-Weibern“, Kindern gesammelt oder von Kräutergärtnern geliefert. Das Laborantengewerbe beschäftigte zeitweise mehrere hundert Personen.

Die Häuser der Laboranten unterschieden sich kaum von den anderen Dorfhäusern. Da sie durch rührige Arbeit und flotte, glänzende Geschäfte ansehnliche Vermögen einheimsten, es waren Leute unter ihnen, die 30 000 Taler und mehr besaßen, richteten sie ihre Wohnungen ihrer Wohlhabenheit entsprechend ein. Die Werkstatt war ausgestattet mit den verschiedenartigsten Gefäßen zum Destillieren, Kochen, Filtrieren der Arznei. Nebenräume mit Schränken, Schüben, Kästen zum Aufheben der Kräuter, bezettelte Fläschchen, Spanschachtel, die die „Schachtelmacher“ anfertigten, für Pulver und Pillen, Krausen für Salben. Die Dachböden boten Raum für das Abtrockenen der großen Kräutervorräte. Vor den Häusern ging man durch gepflegte Gärten mit Seltenheiten der Hochgebirgsflora, Arzneipflanzen: echter Baldrian, Bärenwurz, echter Alant u.a.

Trotzdem die Laboranten keine studierten Leute waren, gaben sie sich einen gebildeten Anstrich, befleißigten sich des Studiums des Lateinischen, nannten sich „Laboranten“, ihre Säfte und Wasser „liquores“ und „aquas“, die Kräuter „herbes“, die Wurzeln „radices“.

Die Rübezahlsage mußte zum Teil als eine schlaue Handelsspekulation der hausierenden Wurzelmänner herhalten. In den schönsten Märchen vom Berggeist war dieser als strenger Hüter und Pfleger der kostbaren Heilkräuter dargestellt. Im Teufelsgrunde ist sein Garten, und die Schätze bekommt kein Mensch von ihm; will er sie mit Gewalt bekommen, so muß er der Sache gewiß sein, sonst bricht er den Hals oder hat irgend ein Unglück davon. Durch die Erzählung von Rübezahls Garten, durch die Vorspiegelung erlebter großer Schrecknisse beim Einsammeln der Wurzeln und Kräuter wurde der Glaube an eine höhere Heilkraft erregt, und es ließen sich leicht höhere Kaufpreise erzielen. Wem es aber vergönnt war, sich die wunderwirkenden Mittel zur Erlangung des höchsten Glücks, die gegen alle körperlichen Übel, ja gegen den Tod gewachsen waren, zu beschaffen, konnte sich glücklich preisen. Es waren dies die kostbare Springwurzel, die Lunaria, die zum Goldmachen sehr dienlich war, die rechte Weißwurzel, das unfehlbare Rettungsmittel von der tödlichen Krankheit. Ich habe aber nirgends gehört oder gelesen, daß einer von den Prahlhänsen wirklich ein „Kraut wider den Tod“ gefunden hätte.



Entnommen aus „Schles.Bergwacht, SB63/N16/S282

Abschrift v. W.Schön, Mail: genealogie@wimawabu.de 28.11.07