Vom Ursprung Kiesewalds

von Dr.Ing.Curt Liebig aus Breslau

(1954)



Zweiffellos auf die Ereignisse des Dreißgjährigen Krieges zurückzuführen ist der Uranfang der ersten Ortserweiterung Petersdorf durch das abseitsliegende Baudendörfchen Kiesewald. Man kann sich vorstellen, daß in diesem mit Dorfwiesen durchsetzten Waldwinkel die Talbewohner zuerst geflohen sind, weil ein steiler Anstieg dem bewaffneten und berittenen Feind das Nachkommen erschwerte. Doch hören wir, was die Volksüberlieferung berichtet, die gerade in diesem Falle gut nachgeprüft werden kann. Einem der ersten Ortschronisten, dem Pastor Heermann, verdanken wir deren Bewahrung. Auf Grund seiner Aufzeichnungen erzählen die Jubelbüchlein: „Kiesewald, südlich von Petersdorf und von diesem durch einen hohen, steilen Berg geschieden, wurde zu Anfang des 17. Jahrhunderts von drei böhmischen Brüdern Martin, die zur Zeit der Verfolgung hierher geflüchtet waren, erbaut, weshalb es auch früher Dreimartinsdorf hieß, bis ein gewisser Kiesewald mit seiner Familie sich hier niederließ und der Ort seinen Namen annahm.

In neuerer Zeit wurde diese Überlieferung angezweifelt. Zwei Jahre nach Erscheinen des letzten Jubelbüchleins berichtet Prof. Dr. Scholz über seine Entdeckung der Kesselsteine bei Kiesewald und vermutet in der Ableitung des Ortsnamens von einer Person eine zweifellos künstliche Lokaltradition. Er weist darauf hin, das in Westdeutschland und Franken das Wort Kiesel als gleichbedeutend mit Graupeln belegt wird. Demnach würde der Kiesewald einen Hagelwald bedeuten. Wenn dieser Sprachgebrauch für unsere Gegend auch nicht nachzuweisen ist, so ist es doch auffällig, daß ein Teil der Örtlichkeit von alters her „im Kiesewetter“ hieß, so daß die Ableitung von Hagel nicht ungezwungen erscheint. - Die Zurückführung der Ortsgründung auf böhmische Brüder erklärt Scholz als eine unbewußte Weiterbildung der Tatsache, daß einst flüchtende Protestanten den benachbarten Siedlungen des Zackentales, wie Jakobstal und Mariental die Namen gegeben haben.

Wieder sind, bisher noch nicht herangezogene zeitgenössische Quellen, die Licht über die tatsächlichen Vorgänge verbreiten: Zum ersten Male wird die Örtlichkeit im „Zünß-Urbarium der Herrschaft Kynast Anno 1652“ erwähnt. Hiernach hatte George Großmann, ein Häusler, der fast 1 1/2 km weiter unten in Petersdorf wohnte, eine Wiese im „Kiesewalder“. Sie wird im nächsten Zinsbuche von 1667 bis 1683 als Wiese „im Kiesewetter“ aufgeführt. Im gleichen Bande werden erstmalig hinter den Neuhäuslern der Gemeinde Peterdorf die beiden „Petersdorff oder Kiesewehter Newheußler“ genannt: Martin Kretschmer und Martin Großmann, die als solche von 1677 ab Zins zahlen. Dennoch waren diese beiden nicht die ersten Anbauer, die „Gründer von Kiesewald“. Das geht aus folgendem hervor: Sehr viel später, im Jahre 1722 wird von der Verwaltung eine Neuordnung der Zinsbücher vorgenommen. Beim Vergleich der alten mit der neuen Nummerierung fallen zwei Häuser in der eigentlichen Dorflage Petersdorf auf, die keine neue Zinsbuchnummer erhalten haben. Dafür steht bei ihnen der Zusatz: Wohnet im Kiesewald. Und so werden ab 1723 unter den „Kiesewettere“ aufgeführt: Friedrich Ulbrecht und Elias Preller. In der tat sind das alte Ansiedler, wie wir jetzt sehen werden. Der Letztere kommt für unsere Untersuchungen allerdings nicht weiter in Frage. Er wohnt auf den sogenannten „Ilschern“ im Zackental beim späteren Vitriolwerk. Das Grundstück wurde ab 1907 wieder und auch richtiger zu Petersdorf gezählt, da es von der eigentlichen Ortslage Kiesewalds durch den steilen Berghang getrennt ist.

Dagegen ist es sehr aufschlußreich, wenn man sich die Geschichte des Ulbrecht´schen Hauses näher ansieht: 1690 hatte es Friedrich Ulbrecht oder Olbrecht von seinem Vater Martin gekauft, der nach dem Hermsdorfer Kirchenbuch am 11. Mai desselben Jahres als „Häusler im Kyßwolde“ zur Erden bestattet wurde. Ueber diesen Martin Olbrecht aber gibt das Zinsbuch von 1652 verhältnismäßig ausführliche Auskunft an zwei Stellen. Einmal in der Reihe der Hausleute und das andere Mal bei den „neuen Heusern bey der gemeine Peterßsdorff“. Wir erfahren, daß er als Hausmann Zinsen von 1652 bis 1654 bezahlte, und dann ein Neuhäusel 1655 „im Pusche“ erbaut hat. Die Lage wird bei der damaligen Petersdorfer Hausnummer 126 noch genauer beschrieben „bey dem Hinderboden an Caspar Wehners grenze“, das war das Bauerngut Nr.7, Er zinst dafür von 1664 an, ist also fast ein Jahrzehnt von Abgaben befreit gewesen. Somit haben wir hier das erste Haus von Kiesewald vor uns. Daraus folgt das Entstehungsjahr von Kiesewald überhaupt mit 1655, also sieben Jahre nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges. Aus der Geschichte des Hauses geht aber weiter hervor, daß es und damit auch die später sich anschließende Ansiedlung, durchaus als Teil von Petersdorf betrachtet wurde.

Nimmt man nun die beiden oben genannten „Kieswehter“ Neuhäusler, Martin Großmann und Martin Kretschmer hinzu, so hat man das „Dreimartinsdorf“ in der Ueberlieferung des Jubelbüchels. Nach den Zinsbüchern hat Kretschmer sein Haus 1677 erbaut, Großmann das seine aber 1679 von Tobias Römisch gekauft, der es 1677 vom Erbauer Martin Krebs erwarb. In dieser Zusammensetzung bestand das „Dreimartinsdorf“ bis 1690, wo als erster Martin Olbricht starb. Die Bezeichnung muß also, streng genommen, zwischen 1679 bis 1690 gegolten haben, also Zeit genug, um dann weitergebraucht zu werden und in die Überlieferung der Bevölkerung überzugehen.

Nachdem wir nun die ersten Ansiedler kennen, ist die Frage berechtigt, ob sie denn nicht doch vielleicht vertriebene Evangelische aus Böhmen waren, wenn auch die nachgewiesenen Ortsgründungen dieser Art schon einige Jahrzehnte früher waren. Für die Großmann und Krebs ist die Frage kaum zu lösen, da die Namen hüben wie drüben sehr häufig vorkommen. Sie gehören in Petersdorf bestimmt zu den „Ureinwohnern. Die Ulbrechts sind etwa Ende des Dreißigjährigen Krieges ansässig geworden, erwarben ihre ersten Häuser aber unten im Dorf. Es ist also wahrscheinlich, daß der Kiesewälder Martin Olbricht eher von dort als von der Grenze her gekommen ist, bei Krebs und Großmann ist es fast sicher, denn die Wiesen im Kiesewalde lockten förmlich zum Anbau. Bleibt also nur noch Martin Kretschmers Herkunft zweifelhaft, der in der Tat der erste Vertreter seines Namens im Petersdorfer Bereich ist. Gerade hier aber können wir klar sehen: Im Traubuch von Hermsdorf finden wir, daß am 15. XI . 1671 „Martin Kretschmer, des George Kretschmer, Auenheußlers zu Johnßdorff ehelicher Sohn , mit Jungfrau Rosina, des weyland George Reichens, Hausmanns zu Herischdorff hinterlassenen eheleiblichen Tochter“ die Ehe geschlossen hat. Prüft man nun weiter, wo der Geburtsort Martin Kretschmers gelegen haben kann, so ergeben sich zwei in Betracht zu ziehende Möglichkeiten: Das eine Johnsdorf liegt zwischen der schlesisch-böhmischen Grenze und dem Adersbacher Felsmassiv, das andere bei Spiller, 15 Kilometer nordwestlich von Hirschberg, Der erste Fall konnte an Hand von Kirchenbüchern nicht weiter untersucht werden. Im Trauregister des anderen Dorfes aber finden sich zwischen 1678 und 1685 drei verschiedene bodenständige Bewohner namens Kretschmer. Bedenkt man, daß sich die Brautleute etwa auf dem Markt in Hirschberg, der beiden am nächsten lag, kennengelernt haben können, und ferner, daß das böhmische Johnsdorf fast dreimal so weit wie das schlesische vom Petersdorfer Gebiet entfernt ist, so kann wohl fast kein Zweifel sein, daß Martin Kretschmer nicht zu den böhmischen Brüdern auch im weitesten Sinne des Wortes gehört haben wird. Außerdem sind in den Hermsdorfer Büchern zur damaligen Zeit die Leute böhmischer Herkunft noch besonders hervorgehoben, was in dem oben angeführen Traueintrag fehlt.

Damit dürfte die Darstellung des Jubelbüchleins bis auf die Bezeichnung Dreimartinsdorf richtiggestellt und als künstliche Lokaltradition erwiesen sein, wie es Scholz mehr gefühlsmäßig schon 1894 vermutet hat.

Die weitere Entwicklung Kiesewalds geht sprungweise vor sich: der erste Abschnitt ist bis 1685 anzusetzen. Haben sich die ersten drei Häuser um eine Waldwiese im sogenannten „Krähenloch“ geschart, so baut sich nächste Ansiedlergruppe entlang des Wasserlaufes an, der von dem Teich gegenüber der jetzigen Felsbaude ausgeht, so daß der Ort am Ende des des ersten Besiedlungsabschnittes ohne das „Ilscherhaus“ 11 Häuser umfaßt. Die Häuser, die auf lange Zeit hin vorwiegend der Waldarbeit nachgingen, waren erst einige Jahre von Abgaben befreit, zahlten dann aber zu Walpurgis (1.V.) und Michaelis (29. IX) je 2 Groschen 3 Heller Erbzins und je 3 Groschen Waldzins. Dazu kam noch in verschiedener Höhe der Zins für den „inhabenden Grund und Boden“. Außerdem waren die Hofedienste, die Beihilfe für die Jagd und das Spinnen für die Herrschaft, die Anlagen wie für einen Hausmann für die Gemeinde zu leisten.

Die Schenke, zuletzt Felsbaude, wird um 1690 erbaut worden sein und als Gasthaus erstmalig unter Samuel Daniel (1713 bis1737) erwähnt. Bei der Einrichtung der neuen Zinsbuchnummern im Jahre 1722 hatte Kiesewald 28 Häuser. Bis 1740 kamen sieben dazu.



Entnommen aus „Schles. Bergwacht“, SB1954/N04/S11





Erstellt: W.Schön, Mail: genealogie@wimawabu.de, 02.06.07