Unsere Riesengebirgs-Wirte

von Gustav Richter

(erstellt 1957)



Die hoch in unserem Riesengebirge Wind und Wetter, Kriesenzeiten und oder tschechischen Nachbarn trotzten, lassen sich auch nach der Vertreibung nicht unterkriegen. Obwohl sie zum Teil, wie viele von uns, in ein Alter kamen, wo man sich gewöhnlich wohlverdienter Ruhe hingiebt, haben sie aus Not oder dank ihrer Unternehmungslust unter veränderten Bedingungen in neuer Heimat wieder von vorn begonnen.

Günter Adolf von der „Neuen Schlesischen Baude“ aus der Familie der Skipioniere hätte es sich nicht träumen lassen, daß er einmal fern seiner Heimat über Schreiberhau, das Heim einer westdeutschen großen Elektrofabrik übernehmen würde. Wie sein langjähriger Nachbar von der „Reifträgerbaude“, Kurt Endler, der einstige Deutsche und Oesterreichische Skimeister, daran denken sollte, daß er, lange weißen Haares, im fernen Schwarzwald die „Emmendinger Hütte“ mit hundert Betten einrichten und führen würde? Für Rudolf Adolf von der „Davidbaude“, der sein Haus mitwegs zwischen der zu einem Luxushotel ausgestalteten „Peterbaude“ und dem besuchtesten Orte Spindlermühle auf sudetendeutscher Seite zu einem beliebten Treffpunkt großstädtischer Vereine gemacht hatte, ist es wahrlich kein Vergnügen, in Markt Oberdorf, in Oberbayern sich in einer erheblich tiefer gelegenen Ortschaft mit einer einfachen Gaststätte zu begnügen.

Für Rudolf Korseck von der abgebrannten „Prinz Heinrichbaude“, der seine Hirschberger Jäger als Offizier einst im Roten Turmpass zum Siege führte, ist das kleine Brannenberg im Kreise Rosenheim ebenso wenig ein Betätigungsfeld, wie für seinen Nachbarn Otto Kraus von der „Hampelbaude“, der im ersten Kriege einen Unterarm einbüßte und noch daran zu leiden hat.

Ignatz Tippelt von den „Grenzbauden“, einst dank seiner prächtig ausgebauten „Kaiser-Franz-Josef-Baude“ der größte Steuerzahler im Kreise Trautenau, hilft als hoher siebziger, nachdem sein noch verbliebener Sohn Walter erst das erste Hotel in Bretten im Kreis Karlsruhe, die „Krone“ gepachtet hatte, jetzt wacker seinem Sohn in Stuttgart-Degerloch in einer Gaststätte, die sich eines Zustroms, wie einst die „Tippeltbaude“ erfreut. Wie erfolgreich Hans Fuchs, der einmal als Ingenieur den Wiederaufbau der „Wiesenbaude“ leitete, jetzt seine selbsterbaute „Neue Wiesenbaude“ auf der Kahlrückenalp, 1200 m hoch zwischen Sonthofen und Oberstdorf führt, und welches Glück Herbert Beutel hat, der unter dem leider schon verstorbenen Eugen Bönsch die „Wiesenbaude“ mitbewirtschaftete, hatte, mit Unterstützung einer Treibstoff-Firma, , sein „Motel“ in Tübingen aufzuziehen, ist bekannt. Es ist das erste deutsche Hotel für Motorradfahrer.

Hiermit kommen wir zur weitverzweigten Familie Bönsch aus Großaupa. Den Brüdern Emil, Eugen, Johann, Vinzenz und Wilhelm gehörten die über dreihundert Jahre bestehende „Wiesenbaude“, die größte aller Bauden, die mehr als 600 Nachtgäste aufnehmen konnte, die „Schafbaude“, die „Richterbaude“ und die „Geierguckenbaude“. Den Brüdern Emil, Theodor und Vinzenz die „Rennerbaude“. Emil Bönsch, der die Seele dieses gesamten Unternehmens war, hatte sich aus seinem arbeitsreichen Leben schon 1936 mit seiner Gattin nach St.Johann in den Tauern zurückgezogen. Er hatte dort, in der Steiermark, ein Gut von 284 Hektar erworben, das von 1200 Metern bis zu 2360 Meter Höhe hinaufreichte. Dort hatte der begeisterte Jäger eine eigene Jagd, sogar mit zahlreichen Gemsen. Rund 55 Rinder und 60 bis 70 Schweine gehörten zu dem Gut, das, trotz seiner Höhenlage, alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse, einschließlich bestem Weizen, lieferte.

Diesen Besitz, der im letzten Krieg und in der Nachkriegszeit manche Vertriebene aufnahm, hatte das Ehepaar Bönsch, da die Landwirtschaft zuviel Fachkenntnis und Arbeit beanspruchte, verpachtet, aber selbst die Russen, die bis zu dem hohen Wohnsitz hinaufdrangen, tasteten ihn infolge günstiger Zusammenhänge und des Verhandlungsgeschicks der Ehefrau nicht an. Doch 1951 gab ihn das Ehepaar Bönsch auf. Weshalb wohl? Krankheit und Alter machten sich bei Emil bemerkbar. Die Frau meinte, für den Rastlosen fehle die über drei Jahrzehnte gewohnte Arbeit von der „Wiesenbaude“. Bekomme er diese wieder, werde er gesunden und neuen Lebensmut erhalten. Der Besitz wurde innerhalb sechs Wochen verkauft und von dem Erlös das „Hotel Maria Regina“ in Ehrwald auf der Tiroler Seite der Zugspitze erworben.

Die Hoffnungen erwiesen sich als richtig. Emil Bönsch, der der Vollendung des 75. Lebensjahrs entgegengeht, ist sichtlich wieder aufgelebt. Frisch und mit alter Umsicht führt er sein Luxushotel mit sechzig Betten und Gesellschaftsräumen bei täglichen Konzerten. Einen von der „Wiesenbaude“ grundverschiedenen Betrieb mit vielen internationalen Gästen und sprachgewandten Oberkellnern. Emil Bönsch ist schon Ehrenmitglied und Ehrenbeirat des Skiklubs Ehrwald, der sein 50-jähriges Bestehen feierte, aber auch wieder Mitglied unseres RGV in der Ortsgruppe Kempten. Eine Dame, die in der „Maria Regina“ als Gast weilte, erzählte, wie beiläufig, ihre Schwägerin, natürlich eine Tschechin, bewirtschafte jetzt die „Wiesenbaude“.

Doch mit einem Sensatiönchen politischen Beigeschacks seien diese Schilderungen abgeschlossen: Eine Verwandte Emils, die bei allen Riesengebirglern noch in bester Erinnerung stehende Ritschi Bönsch erhielt von den Tschechen die Erlaubnis, ihre „Schwarzschlagbaude“ zu besuchen, nach der sie große Sehnsucht hatte. Als sie in Bad Johannisbad eintraf, wurde – man staune! - die Schwebebahn zum Schwarzenberg, die stillgelegt war, eigens für sie in Betrieb genommen! Droben jedoch wurde Frau Ritschi vom Inhaber und von dem gesamten Personal, wie sie erzählte, „in Habachtstellung“ erwartet und als die frühere „rechtmäßige Besitzerin“ durch ein Spalier in die Baude geleitet! Und des Rätsels Lösung? Der jetzige tschechische Bürgermeister von Johannisbad war früher viele Jahre hindurch der leitende Gendarmeriebeamte der Gegend. Er hatte die guten Tage, die er unter der Baudenregie von Frau Bönsch genossen hat, nicht vergessen. Ist das in unserer heutigen politischen Wirrsal nicht ein erfreuliches menschliches Zeichen?



Entnommen aus „Schles. Bergwacht“ SB57/N11/S191