Sommersingenaltschlesisches Brauchtum

Alfred Tost



Der Herr der hat ein hohes Haus,

Er sieht zum obersten Lide (Dachfenster) raus.

Er sieht auf sein Gelände

Wie schön steht sein Getreide!

Wie schön steht seine Wintersaat!

Gott helf ihm, daß sein Flachs gerat´,

Der Flachs und auch der Weizen.

Bescher ihm Gott am allermeisten,

Ein Schock, zwei Schock, 10 Taler Vorrat!“


So sang plötzlich mitten im Ernst der Fastenzeit munterer Kindermund (in der Gegend von Steinau), wenn in der „Mitt-Faste“ der Sonntag „Lätare“ (freue dich!“), unser schlesischer Sommersonntag, in das Reich Rübezahls eingezogen war. Aus dem Munde unserer „Glatzer Edelroller“ aber konnten wir hören:

Der Herr der hoot`n huucha Hutt,

a es woll fer de Sonne gutt,

aa woll fer de Flieja,

a werd´n klään Prinz krieja,

Die Wert`n gieht eim Hause rem,

se hoot`n schiene Schärze em.

De Schärze met dem Bande

ies de schinnste eim Lande.“


Wenn wir als Kinder in den Tagen vor dem Sommersonntag unsere Sommerstecken bunt mit Buchsbaum, Myrthe, Papierbändern, mit „Poppier-Rieslan“ oder mit ersten Frühlingsblumen putzten, da wußten und ahnten wir noch nicht, daß wir damit die Lebensrute symbolisierten, die innerhalb des germanisch-deutschen Brauchtums gerade in Schlesien immer wieder eine so bedeutungsvolle Rolle spielt. Möglich, daß in unterbewußten Zonen unserer Kinderseele schon ein erstes Ahnen von der Bedeutung des Sommersingens und des damit verbundenen Todaustreibens schlummerte. Wir schmetterten jedenfalls unsere Verslein – die ernsten wie die heiteren – voll Begeisterung aus unseren jungen Kehlen. Und der Inhalt unserer Gesänglein? - Naturerwachen, Religiöses, Bitte um ein kleines Frühlings-“Opfer“, Schmeicheleien. mitunter auch ein recht derber Tadel. So sangen unsere jungen Brüder und Schwestern in der Trautenauer Gegend:

Mir kumma mit`m Summer reigetrata;

Mir hon eich nej umsunst gebata.

Zum Summer und zum Meja

Die Bliemelan ollerleja

Die Zweichlan voller Bliemelein;

Der liebe Gott wird bei uns sein.

Dort duwa of sem Throne,

Do singa die Engelan schone,

Kleine Fischlan, kleine Fischlan

Schwimma ei dam Teichla;

Rute Rieslan, rute Rieslan

Wachsa of dam Streichla;

Weiße Lilja, weiße Lilja

Wachsa uf dam Stengel

Der Herr is schien - - - -“.

Die Grafschafter Kinder baten:

ich bien a klääner Pinkel

Ich stieh dohie eim Winkel,

Ich wensch, ich wensch ich wensch euch woas,

Greift ei a Saak on gatt mer woas!“


Mach dich beliebt und die Gabe fällt reichlicher aus!“ das war wohl bei uns Kindern ein unterbewußter Werbekniff, wenn wir „der Frau Wirtin“, dem „feinen“ Töchterlein oder dem „Herrn“ (des Hauses) recht großzügig schmeichelten. So lobte man z.B. auf der böhmischen Seite des Riesengebirges:

Dos Töchtala is hibsch un fein,

Se trät a seidnes Tüchelein;

Se lät (läßt) dos Tichla fliecha;

Se werd en Schamster kriecha.

Der Herr is hibsch, die Frau is fein,

Se troan vu Guld a Ringelein,

Der Herr sitzt of da Ufabank,

A hot a Geldsack ei da Hand.

A werd sich`s wull bedenka - - - „.


Im Glätzischen aber sang es:


Mer hoan a Tud hinausgetrieba,

A lieba Sommer, daan breng mer,

A Sommer on aach a Määa,

Der Bliemlan vielerläa.

De Frau Wert´n, de hoot`ne Melde Hand,

Se werd sich woll bedenka

On zom Sommer ons woas schenka.

Werd se ons woas zom Sommer gahn,

Do lommersch bei ihrem Wella geschahn

(da lassen wir es bei ihrem Willen geschehen)

Do wern mer vo ihr nee wanka,

Do wern mer goar fleißig danka!“


Aber auch „giftig“ konnten wir werden , wenn wir ausnahmsweise einmal an die Tür eines Geizhalses geraten waren:


Geizhoals, eß oalls!“

Wenn de wascht (wirst) gestorba sein,

Wan (werden) de Kroha wieder schrein!“


oder:

Hindermist, Hindermist, ei dam Hause kriecht ma nischt!

Ihs doas nee ann Schande, ei dam ganza Lande?“


Völlig harmlos verrieten wir andererorts „geheimste“ Dinge:


De Schessel (Schüssel) hoot`n goldna Rand,

Die Köchin hoot sich´s Maul verbrannt

Mit ämm gliehnicha Eisa;

Der Schoatz wards ihr beweisa.“


oder:

Dar Harr (od. Name!) dar hot ann hucha Hutt,

Ar ihs a junga Madlan gutt,

Ar mecht se garne kissa;

De Frau (De Liebste) sol`s nee wissa.“


oder:

Das Fräulein steht wohl vor der Tür.

Sie hat ne schöne Schürze für,

Die Schürze mit dem Bande.

Sie ist die schönste im Lande.

Das Fräulein steht wohl auf der Schwell`.

Sie sieht sich um nach`m Junggesell.

Das Tüchel läßt sie fliegen,

`n reichen wird sie kriegen.

`n Feinen und `n Reichen

Bescher ihr Gott desgleichen!“ (Steinau)


oder:

Der Onkel (oder Name) hat die Stiefel geschmiert,

Die Spörner hat er drum geschnürt.

Zur Braut da wird er reiten,

Daß die Spörner werden gleiten.

Zur Braut da wird er springen,

Daß die Spörner klingen.“ (Steinau)


Wenn auch viele Sommer_Verschen eine Bitte um eine Gabe enthalten, so ist doch dieser Brauch aber niemals in den Geruch eines Bettelganges geraten. Das beweist alleine schon die Tatsache, daß ja nicht nur die Kinder der ärmeren Schichten sommersingen gingen. In den meisten Bauerndörfern nahm man es sogar dem neu zugezogenen Lehrer oder Pfarrer übel, wenn er seine Kinder „für zu fein“ hielt, sie zum Sommern zu schicken. Es war also kein Bettelsingen, wenn die Knaben und Mädchen von Wüstegiersdorf der Frau Wirtin mit voller Lautstärke in die Ohren schmetterten:


ich kumm ver eure Tier getrata,

Ich hoa im keene Goans gebata

Und o im keene Ente.

Wie wackelt mir de Plente (Jacke),

Wie wackelt mir der Summerstiehl!

Seid gebata, gatt (gebt) mer viel!“


oder bei Trautenau:


Dr Herr, dr hot´n bloa Rock,

De Frau, de hot´n Groschatog (Groschen-Puppe)

Sie wat sich wul bedenka

On ons a Gröschla schenka.“


Wie alt aber mag schon der Sommervers von der „goldnen Schnur“ sein? Mit ihr ist nämlich der „goldne“ Bannkreis um das Haus gemeint, der es vor bösen Geistern schützen soll. Die Breslauer sangen z.B.:


Die goldne Schnur geht um das Haus,

Die schöne Frau Wirtin geht ein und aus.

Sie geht wie eine Tocke (Puppe)

In ihrem schwarzbraunen Rocke.

Des Sonntags, wenn sie früh aufsteht

Und in die liebe Kirche geht,

Da setzt sie sich an ihren Ort

Und höret gerne Gottes Wort.

Gottes Wort ist Seligkeit.

Im Himmel ist der Stuhl bereit,

Dort oben soll sie sitzen,

Und warten auf Jesum Christen.

Gottes Wort und ewiges Leben,

Wo die Englein singen und schweben.“


Lachen und Weinen steckt ja bei Kindern „ei eem Tippla“. Drum darf es auch nicht wundern, wenn zwischen so frommen Gesängen plötzlich einmal ein übermütiges oder nach giftigem Spott unvermittelt ein ernstes Lied, vielleicht gar vom Todaustreiben, erklingt:


Was jagen wir, was tragen wir?

Den leidigen Tod begraben wir.

Wir begraben ihn unter der Eiche,

Das Böse von uns weiche!

Der Wirt, der ist ein braver Mann,

Er läßt den Tod zum Dorf naus jahn (jagen).

Wir begraben ihn unter der Tonne (Tanne),

Daß scheint die liebe Sonne.“


Zwischen Ottilienberg und Kummerhoarte ist des Dorfes schönste Pforte, wo der Popelbergund des Berges-Frieden, dort liegt Gotschdorf hinieden.



Erstellt:Winfried Schön; Mail:genealogie@wimawabu.de 03.08.04