Die Schreiberhauer Trachtenhochzeit
Die Schreiberhauer "Tachtenhuxt" war für viele Schlesier ein Begriff. Wenn sie stattfand, kamen die heimatbewußten Schlesier zu Hunderten, zu Tausenden, um dieses Volksfest mit zu feiern, um unter Schlesier froh und vielleicht ein wenig ausgelassen zu sein. Was hatte es nun mit der Schreiberhauer Trachtenhochzeit auf sich ? Wer hatte sie einst ins Leben gerufen ? Wessen sollte damit gedacht werden? Um auf diese Fragen Antwort zu geben zu können, will uns ein alter Zeitungsaufsatz helfen, der mindestens 4 Jahrzehnte alt ist und den wir kürzlich unter alten Papieren und Zeitungsblättern der Heimat fanden. Da lesen wir also: "Alljährlich um die Julimitte feiern die Trachtengruppen des Riesengebirges in Schreiberhau ihr Trachtenfest als ein Volksfest im besten Sinne des Wortes. Vor den Augen der riesigen Zuschauermenge rollen sich filmartig Bilder aus dem Volksleben des Riesengebirges vor fast ein hundert Jahren ab.
Der 2.7.1839 ersteht wieder, jener Tag, an dem der Glasmeister Christian Benjamin Preußler seine einzige Tochter Amalie dem jungen Glasmeister FranzPohl verheiratete." Da haben wir es also schon: An den 2.7.1839 sollte erinnert werden, da der Glasmeister Christian Benjamin Preußler seine Tochter Amalie verheiratete. Ihr Bräutigam und zukünftiger Ehemann war der Glasmeister Franz Pohl. Ein Bild, das wir von dem Glasmeister Christian Benjamin Preußler aufzutreiben vermochten, verrät uns , wie der Herr beinahe vornehm wirkte, vornehm im Aussehen, vornehm sicherlich auch in der Gesinnung. Seine Haartracht ist grade zu städtisch zu nennen, auf keinen Fall wirkt sie dörflich oder bäuerisch. Das dieser Mann, der gewiß darauf bedacht war, sein und seiner Familie Ansehen zu steigern, auch darauf bedacht war, seiner Tochter eine glänzende Hochzeit aus zu richten, läßt sich denken. Eine Angelegenheit des ganzen Dorfes. Hören wir, was unser altes Zeitungsblatt zu sagen hat:
"Wenn damals ein reicher schlesischer Bauer seine einzige Tochter verheiratete, so wurde diese Hochzeit zu einer Angelegenheit des ganzen Dorfes. Und wenn dann der Bräutigam nicht irgendwer ist, sondern an seinem Hochzeitstage als 26 jähriger schon eine Berühmtheit und aus einer Familie stammt, die enge und verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehungen nach Böhmen hinein hatte, so mußte diese Hochzeit ein besonderes Ereignis werden. Nirgends in Schlesien in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gewann eine Hochzeit eine derartige Beachtung und Bedeutung, die Hochzeit des Glasmeisters Franz Pohl mit Amalie Preußler wurde die Hochzeit des Riesengebirges.
Der Brautvater, der Glasmeister Christian Benjamin Preußler, war der letzte männlich Sproß der Schreiberhauer Linie der Preußler. Zwei Jahrhunderte saßen die Preußler als Glasherren auf eigener Scholle, durch Urkunden und Privilegien als freie Männer auf freiem Boden. Waren die Schaffgotsch die Grundherren des Gebirges, so waren die Preußler die Herren von Schreiberhau.
Zwei Preußler traten besonders aus der Reihe heraus, Hans der zweite in der Linie, und Christian Benjamin, der letzte, der Christian war nicht nur ein guter Glasmeister, er war auch ein tüchtiger Kaufmann und nicht zuletzt ein Bauer. In seinem Kampf um die Geltung des schlesischen Glases war er bis zum Königsthron vorgedrungen, ein Ereignis das ihn nicht weniger beliebt machte als seine große Anteilnahme an den nötigen Nöten der Zeit. Wenn irgendwann von einem echten patriotischen Verhältnis gesprochen werden konnte, dann in jenen Jahren von Christian Benjamin Preußler. Das erklärt auch seine Beliebtheit."
Hier werden wir noch einmal mit der Familie des Brautvaters, den Preußlers, näher bekannt gemacht. Wir erfahren, daß der Brautvater nicht nur ein Glasmeister, sondern zugleich auch ein Kaufmann und ein Bauer ist, das er sich vor dem Thron des preußischen Königs gewagt hat, um den schlesischen Glas die rechte Geltung und Anerkennung zu verschaffen.
Aus Neuwelt in Böhmen stammt der Bräutigam. Über die Ortschaft Neuwelt lesen wir in "Meyers Reisebücher – Riesengebirge" Leipzig und Wien 1911 das folgende:
"Neuwelt, 645 m hoch, tschechisch Novy Svet, Dorf mit 788 Einwohner (darunter 400 Tschechen) und großer Harrachscher Glashütte, in schöner, waldreicher Lage an der Milmitz und dem Steinigten Bach, Sommerfrische, Grenzzollamt, Forellenzucht. Die seit 1711 bestehende, meist Luxusartikel erzeugende Glashütte hat drei Holzgas-Regenerativöfen, Glasschleiferei und Glasätzerei sowie galvanische Vergoldung und Versilberung. Außerdem sechzig Glasmaler und sieben Graveure und zwölf Maler- und fünf Graveurwerkstätten." Das der Bräutigam Franz Pohl aus Neuwelt stammt, das berichtet unser altes Zeitungsblatt. Darüber lesen wir: "Der Bräutigam, der Glasmeister Franz Pohl, derselbe, der drei Jahre später für den Grafen Leopold Schaffgotsch die Josephinnenhütte erbaute und in dieser Hütte Weltgeltung gab, war im Jahre 1813 in Neuwelt geboren. Schon als siebzehnjähriger gründete er die Zeichenschule an der Weißbach. Preußler machte die preußische Regierung auf die großen Fähigkeiten Pohls aufmerksam und die Regierung schickte den jungen Franz, nachdem er mehrere Jahre das Gewerbeinstitut in Berlin besucht hatte, in die berühmtesten Glashütten Böhmens, Bayerns, Frankreichs und Venedigs. Nach seiner Rückkehr trat Pohl abermals in den Dienst Preußlers als Leiter der Karlsthaler Hütte. Das er andere verlockende Angebote böhmischer Hütten ausschlug und zu Christian Benjamin Preußler zurück ging, damals waren die schönen Augen der Peußler Tochter schuld. Und als Franz Pohl bei seinem Brotherrn um die Hand der Amalie Preußler anhielt, da bedurfte es des damals im Gebirge üblichen
Scheinkampfes, um das Ja - Wort zu erhalten." Franz Pohl durfte als das gelten, was wir heute als weitgereisten Mann nennen würden. Damals war es etwas Außergewöhnliches, wenn ein Mann in seinem Alter schon seiner böhmischen Heimat auch Bayern, Belgien, Frankreich und Venedig
kannte. Nicht viele seiner Zeitgenossen konnten sich rühmen, so weit in die weite Welt herum gekommen zu sein !
Der Plampatsch, wurde herum geschickt
"Plampatsch" ! Was für ein Wort, so wurde der Hochzeitsbitter in den Riesengebirgsdörfern genannt. Und einen solchen Plampatsch, einen trinkfesten Mann, "dar an`n Stiefel vertroaga kunnte", hatte der Glasmeister Christian Benjamin Preußler beauftragt, die Hochzeitsgäste zu laden. Lassen wir uns darüber aus den Zeitungsartikel informieren:
"Die Hochzeit wurde auf dem 2.6.1839 festgesetzt. Wochenlang war der Huxtbitter unterwegs, um all die vielen Gäste aus nah und fern einzuladen. Bei den weiten Entfernungen war der Plampatsch, wie man den Hochzeitsbitter im Riesengebirge nannte, bis nach Hirschberg hinein beritten. Stolz trabte er durch die Dörfer, am hohen Hut bunte Bänder, einen Blumenbusch auf den langen Rock, einem Blumenbusch am Pfefferrohr. Überall brachte er sein Spüchlein an, überall wurde er aufs herzlichste bewirtet und aufgenommen. An manchen Stellen war die Bewirtung so reichlich, daß er sich für den Rest des Tages durch Schlaf für weitere Ladungen stärken mußte. Der alte Preußler ein Mann mit Tradition, einer der stolz an hergebrachte Sitten und Gebräuche festhielt, wußte, warum er nicht, wie sonst üblich, einen nahen Verwandten des Bräutigams, sondern einen trinkfesten und redegewandten Huffstätter bitten ließ. Selbst die Laboranten Krummhübels, unter denen sich mancher Studierte befand, selbst die Zillertaler, die zwei Jahre zuvor, dank der Fürsorge der Gräfin Reden, am Fuße des Riesengebirges eine neue Heimat gefunden hatten, ja, die Gräfin Reden und die Gräflich Schaffgotsche Familie im Warmen Bade erhielten Besuch vom Plumpatsch. Auf dem Weg im Böhmischen ging der Weg des Hochzeitbitters von der Neuwelter Ecke bis hinunter ins Iserknie und nach Westen bis nach Reichenberg. Unter den Reichenberger Tuchmachern nahmen die Brüder des Vaters Pohl eine führende Stelle ein, und der jugendliche Pohl hatte in seiner Lehrzeit und nachher in seinen Wanderjahren manche Woche unter den Tuchmachern gelebt. Daß deshalb auch die Reichenberger Tuchmacher geladen wurden, ist selbstverständlich ebenso selbstverständlich die Einladung der Egerländer, die um jene Zeit bereits im Handel und Handwerk Böhmens eine führende Stelle einnahmen und ebenfalls durch verwandtschaftliche Bande mit dem Bräutigam verbunden waren. Mit dem Schwinden des letzten Schnees zog der Huxbitter über die alte Zollstraße ins Böhmerland hinein, volle zwölf Tage hatte er da zu tun." Stellen wir uns vor, was das für eine große Sache gewesen sein muß, allein schon die Einladung des Plumpatsch, der bis nach Reichenberg ging, um die Tuchmacher zu bitten, an der Hochzeit teil zu nehmen, und sogar ins Egerland zieht der Hochzeitsbitter um diese einzuladen.
Daheim wird geschlachtet und gebacken
Und als nun der 2.6.1869, der Hochzeitstag immer näher kam, wird auch daheim mit den Hochzeits-vorbereitungen begonnen, es wird gebacken und geschlachtet, darüber wird berichtet:
"Als der Mai zu Ende ging, begann auf dem Hüttenhofe im Weißbachtal ein emsiges Treiben. In der alten Hüttenmühle wurde gebacken. Zentnerweise wurde das Mehl in den Backkübeln und Teigschüßeln mit dem Knetscheit bearbeitet, schöne goldige Striezeln und goldige Mohnbaben türmten sich zu Bergen, Schweine, Kälber und Rinder mußten ihr Leben lassen. Tagelang zankte sich die Großmagd mit der Kleinmagd, weil die bunte Ziege, die Hochzeitskuh, noch immer nicht genug glänzte. Eigentlich paßt die Hochzeitskuh nicht so recht als Mitgift, denn der Bräutigam war ja mehr ein Studierter, denn ein Bauer. Aber der alte Preußler wollte nun einmal die Hochzeit seiner einzigen Tochter als eine richtige Bauernhochzeit ausrichten, wie er sich selbst zeit seines Lebens als Bauer gefühlt hatte. Und so wurde die schönste Kuh des Hüttenhofes als Huxtkuh ausgesucht. Der Gottstein - Franz, der alte Großknecht, hatte lange geschwankt, ob er nicht lieber die schwarze Maria vorschlagen sollte." Am Rande wollen wir darauf hinweisen, daß wir den Familiennamen "Gottstein" wiederfinden, der im Riesengebirge weit und breit verbreitet war, so das der Dichter Hans Christoph Kaergel eine Titelfigur seines Romanes nach ihm benannte: "Gottstein und sein Himmelreich."
Die Bettweiber packen das Brautfuder
Nachdem wir gehört haben, welcher Art die Vorbereitungen waren, die getroffen werden mußten, um die hungrigen Mägen der Hochzeitsgäste zu sorgen, wollen wir nun hören, wie das "Brautfuder" - ein echtes schlesisches Wort - hergerichtet wurde: "Am letzten Maitag - morgens war über den Hochstein ein mächtiges Gewitter herüber gekrochen - wurden die Bettweiber betriebsam. Galt es doch, das Bettfuder zu packen, das am nächsten Tage, dem Vortage der Hochzeit, in das Haus des Bräutigams überführt werden sollte. Zwei Bettweiber und der Huxtbitter und der Großknecht kommandierten. Die Jungknechte und die Nachbarn schleppten. Der schönste Wagen vom Preußlerhof hatte einen blauen Anstrich bekommen; der Glasmaler der Hütte hatte gar Blumen auf die Bretter gemalt. Und nun wurde heran geschleppt und aufgepackt, was nach alter Sitte die Braut des Bräutigams als Mitgift bringen sollte. Sogar noch mehr als das: auch die Bettstellen, Tische und Stühle, die eigentlich der Bräutigam mit in die Ehe bringen mußte, kamen aus dem Elternhaus der Braut. Was alles in so einem Haushalt gehörte: Herrliche Kleiderschränke, Bettstellen, Tische und Stühle, vom Tischler leuchtend bemalt, Brotschrank mit Tellerbrett, ein neumodischer Glasschrank, Kommode und Wäschetruhe. Alles was zum Spinnen gehört: Spinnrad und Bockenständer, Spinnrocken und Garnschweife und Hechelbank. Flachslade, Eierbrett und Quarkpresse, Butterfaß und Butterformen und Buttersiebe und vieles andere, das in einem Haushalt nicht fehlen darf. Himmelbett und Wiege, beides Erbstücke aus dem Hüttenhofe an der Weißbach, bekamen auf den Fuder den besten Platz. Und als am Nachmittag des ersten Juni - viele Gäste, wohl die meisten, waren schon eingetroffen - die Sonne zum ersten Male nach den gestrigen Regen über den Steindlberg stand, da wurde - vier Mann vorneweg - das Brautfuder in die Wohnung des Bräutigams gebracht. Bis von Pitschdorf herauf waren die Neugierigen gekommen. Riesenviertel von Kuchen, wurden von den Bettweibern links und rechts ausgeteilt. Der Glasmeister Christian Benjamin Preußler ließ sich nicht lumpen, wenn sich seine einzige Tochter verheiratete."
Die halbe Hauswirtschaft wurde dem Brautvater aus dem Haus als Brautfuder getragen und fortgebracht, um in die Wohnung des Bräutigams transportiert zu werden, eine reiche Mitgift für die Braut. Und hier wollen wir nun einflechten, daß das Wort Mitgift keineswegs etwas mit dem verderbenbringenden Gift zu tun hat, sondern die Mitgift ist eine Mitgabe, hier ist das Wort Gift gleich Gabe.
Drei "Balbiere" wurden herbeigeholt!
Wie ist es nun weitergegangen! Der umsichtige Brautvater hat an alles, wirklich an alles, aber wirklich auch an alles gedacht! Es fehlt an nichts, und sogar drei "Balbiere" - auch wieder so ein schlesisches Wort, das es nur daheim in Schlesien gab und das die Schlesier dann nach Westdeutschland bis an den Rhein und an den Bodensee gebracht haben - wurden herbei geholt, auf das sich alle männlichen Gäste nach der neusten Mode den Bart abnehmen lassen konnten. Darüber wird in dem Zeitungsblatt berichtet:
"Als am Morgen des zweiten Junitages die Frühlingssonne aus ihrem Nest hinter dem Schmiedeberger Kamm herauskroch, sah sie auf ein leibhaftes und farbiges Treiben. Vom Hinterwinkel bis zum Wachstein traf man die letzten Vorbereitungen, um den Ehrentag der Amalie Preußler festlich zu bestehen. Die Journalie, die wegen ihres Tempos, wenn es der Fuhrmann nicht hörte, auch die Schnellajähre genannt wurde, war am Abend schwer bepackt von Hirschberg zurückgekommen und sogar bis zur Preußischen Krone ins Mitteldorf gefahren, während sonst ihre Schaukelfahrt im Niederdorf endete. Hier fehlte noch ein Tüchel, dort noch ein Band, endlich kamen auch die Filzhüte, die der Hirschberger Hutmacher schon vor längerer Zeit zum Aufarbeiten erhalten hatte. Auch drei Balbiere hatte die Journalie mitgebracht, denn die Zeit der Bärte war vorbei und wer noch bisher altmodisch war, der wollte wenigsten jetzt, wo so viele feine Stadtleute kamen, als fortschrittlich gelten."
Die Vielzahl der Gäste bieten ein buntes und farbiges Bild.
Jetzt wird vom Chronisten ein reizvolles Bild entworfen, das wir mit vollen Zügen genießen dürfen. Er malt uns aus, was sich da alles am Hochzeitstage ein Stelldichein gab: "Schon vom frühen Morgen an war das ein Kommen und Gehen im Hochzeitshaus. Was gab es doch alles zu sehen! Immer schon gehörte es zu den Ehrenaufgaben eines Brautvaters, die Schaulust der Dorfleute zu befriedigen. Und der alte Preußler war dieser Aufgabe gerecht geworden. Soviel Buntheit hatte das Dorf nicht mehr gesehen, seit der Rittmeister von Hirschfeld mit seinen Freikorps in der schwarzen Festung gelagert hatte. Aber damals waren es Soldaten: heute frohgestimmte Festleute. Herrlich waren die Egerländer anzuschauen. Große Menschen mit braunen Röcken, am Halse ein schwarzes Band. Jede Egerländerin schien den schlesischen Dorfmannen eine Fürstin. Daß die Eghalanda ihre eigne Musik mitgebracht hatten und mit ihren Dudelsäcken, Fiedeln und Flöten am Abend vorher aufgespielt hatten, war so etwas Ungewohntes, daß noch nach Jahren über diesen Brauch gesprochen wurde. Nicht weniger angestaunt wurden die Zillertaler: in ihren braunen Jacken, roten Überziehwesten und breiten Lederbändern paßten so gar nicht in das gewohnte Bild. Auf einem Leiterwagen kamen sie, zwölf Mann hoch, angerollt, auf das herzlichste begrüßt. Auch die Agnetendorfer Lichtgänger und die Leute aus den Buschhäusern trafen erst am Hochzeitsmorgen ein. Die Agnetendorfer brachten auch den Giersdorfer Schulmeister mit, seine Leute waren schon seit gestern Abend da. Sie waren mit den Leuten aus dem krummen Hübel und vom Brückenberg gekommen. Die Reichenberger Tuchmacher zahlreich vertreten und die immer zu Scherz und Schabernack aufgelegt waren, hatten ihm gestern Abend sein "Amtsschwert" entführt, als er hinter seinem Glase eingeschlafen war. Nun suchte er es schon den ganzen frühen Morgen. Die Dorfleute aus dem Gebirge trugen sich mit Stolz. Die Männer spazierten in langen blauen oder schwarzen Gottestischröcken, die in faltigen Schößen wie eine Glocke ausliefen, oder in kurzen Spenzern mit blanken Knöpfen. Ob lange Hosen, die erst seit wenigen Jahren getragen wurden, oder Kniehosen mit weißen Strümpfen, das war Geschmackssache. Die Weste aber war farbig, das Sammet oder Brokat - man zeigte, daß man es dazu hatte. Zu den farbigen Halstuch war seit kurzem der weiße Kragen gekommen, den man bei den Stadtleuten gesehen hatte. Hoher oder flacher Hut, wie man ihm geerbt oder gekauft hatte. Bunter die Dorffrauen. Die Stadtmode war in den letzten Jahren nicht ohne Einfluß auf die Mode der Dorffrauen geblieben, so daß neben einfarbigem Kattum und Wollstoff auch schon Seide in allen Farben getragen wurde. Während die Jungmädchen meist im schwarzem Samtmieder gingen aus dem kurzen weißen Pauschärmel lustig herausschauten, zog die Frau einen Spenzer an, der vielfach mit dem Rock zu einem Ganzen verbunden war. Alle aber trugen Brusttücher und Schürzen, bunt oder weiß; die weißen aus dem schönsten Hirschberger Schleierleinen. Viele hundert Stunden brauchte eine geübte Stickerin, um in den feinen Stoff die unzähligen Muster und Musterchen hineinzuarbeiten. Das was der Tracht der Frauen aber eine seltsame Anmut gab, das war die Haube, ob sie nun als weiße Kammode, als Schurrgucke, Tressenkappe oder als Bart- und Spangenhauebe getragen wurde. Auch unter den Hauben hatte sich die Mode in den letzten Jahrzehnten gewütet; man konnte nicht mehr wie früher aus der Haube das Heimatdorf der Trägerin erraten." Vielleicht war das Bild damals ahnlich bunt und vielgestaltig, wie es sich heute den Schlesiern immer wieder bietet, wenn sie sich zu ihren "Deutschlandtreffen der Schlesier" zusammenfinden. Es bieten sich hier kaum andere Vergleichsmöglichkeiten an.
Die Gäste aus der Stadt gingen modischer gekleidet.
In dem alten Zeitungsaufsatz wird uns geschildert, daß die ländliche Bevölkerung damals viel mehr an der Tracht der Väter festhalten wollte, als dies bei den Städtern der Fall war. In den Städten trug man moderne Kleidung.
Darüber berichtet der Chronist:
"Während so die Dorfbewohner meist an der Tracht, die schon Vater und Mutter getragen, festhielten, erscheinen die Hochzeitsgäste aus der Stadt in dem Modegewand, das vor nicht langer Zeit aus dem Westen kommend, am Fuße des Gebirges Eingang gefunden hatte. Farbe war die große Mode. Und so wandelten an diesen Hochzeitsmorgen über die grünen Viehtreiben am Hochsteinhange und am Sommerberge die Städter mit blauen, roten und grünen Röcken. Die Männer trugen hohe Hüte in den Farben des Gottestischrockes, dazu enganliegende Hosen und oft vielfarbige Westen. An Stelle des bunten Bauerntuches hatten sie um den Halskragen zarte Gebilde aus Tüll und Schleier gewunden. Die Stadtfrauen, meist in Seide oder anderen luftigen Geweben, gingen in Kleidern, die Brust und Hüfte einschnürten, den Rock hingegen einen Umfang gaben, der vielmehr Stoff beanspruchte als die gewiß nicht engen Röcke der Dorffrauen. Dazu trug die Stadtfrau einen Schutenhut, der mit Bändern unter dem Kinn gehalten wurde und der Trägerin einen fröhlichen Ausdruck gab."
Es ist interessant, eine solche Schilderung der Städtischen Kleidung zu lesen, wie es damals gerade üblich war, als Amalie Preußler ihrem Franz Pohl die Hand zum Ehebund reichte. Das Bild, das wir uns recht deutlich vorstellen können, wird somit noch bunter und reizvoller.
Trauung in der Dorfkirche - Feier im Gerichtskretscham.
Es gibt ein altes Bild, eine Lithographie aus dem Jahre 1840. Es zeigt die evangelische Kirche in Nieder - Schreiberhau, welche am 9.11.1755 als Bethauskirche eingeweiht wurde. Der Turm allerdings, wurde erst in Jahren 1821/22 nach den Plänen des reichsgräflichen Baukonduktors Mallikh in Warmbrunn errichtet. Im Jahre 1883 erfuhr der Turm angeblich, weil dieser baufällig geworden war - eine Erneuerung und Veränderung und büßte dabei viel von seiner Schönheit ein.
Unser altes Zeitungsblatt erwähnt nichts darüber, ob die Trauung des jungen Paares in der katholischen oder evangelischen Kirche Schreiberhaus stattgefunden hat. Es bleibt daher uns überlassen, uns auszumalen, wie der Hochzeitszug sich durch das Dorf nach der Kirche - dieser evangelischen Bethauskirche - bewegte, und wie dann anschließend im Gerichtskretscham und auf den Wiesen davor die Hochzeit gefeiert wurde. Lassen wir dazu noch einmal unseren alten Zeitungsbericht sprechen, welcher berichtet:
"In dieses bunte Gewühl der vielen Gäste Ordnung zu bringen, war die Aufgabe des Hochzeitbitters, der seit dem frühen Morgen schon wieder auf den Beinen war. Pünktlich setzte sich der Hochzeitszug in Bewegung, der über den Hüttenberg in die Zollstraße ins Niederdorf führte. An vielen Stellen hatte die Dorfjugend die Sraße gesperrt; erst durch den Freikauf mit Kupfermünzen wurde der Weg freigegeben. Die Dorfkirche war fast zu klein, der Kirchkretscham erst recht. Aber der Kretschmer, der grobe Julius hatte unter den Linden riesige Tafeln aufgeschlagen, an denen man für sich für den Rückmarsch stärkte. Bunte Decken aus Seidorf, Geschirr aus Bunzlau zierte die Tafel. In riesigen Kesseln wurde der Kaffee gekocht, immer wieder wurden Teller mit Kuchen herumgetragen."Das ist wieder ein recht lebhaftes Bild, was uns der Chronist mit dieser Schilderung entwirft. Die Erinnerungen der Hochzeitsgäste reichen noch bis in die Regierungszeit des "alten Franzen" zurück, des großen Königs, Friedrich II. von Preußen! Andere erinnern sich an Schlachten bei Leipzig und Waterloo; die Zillertaler erzählten, wie sie im langen beschwerlichen Marsch zwei Jahre vorher aus ihrer Stammheimat Tirol nach Preußen, nach Schlesien, kamen, um hier eine neue Heimat zu finden.
Und in das Erinnern hinein tönt das Spiel der Musik, denn die Egerländer wollen ihre Künste unter Beweis stellen. Unser Chronist berichtet über alles: "Alte Bekanntschaften wurden erneuert, neue angeknöpft. Weißhaarige Baudenleute aus dem Böhmischen tauschten mit ebenso alten Hirschbergern Erinnerungen über gemeinsam verbrachte Tallsackfeste in den letzten Regierungsjahren des Alten Fritz aus. In einer Ecke tischkerierten die Freiheitskämpfer über Leipzig und Waterloo. Die Zillertaler erzählten von ihrer Heimat und den langen Marsch, der sie vor zwei Jahren nach Schlesien führte. Die alte Zeit wurde gelobt, auf die neue geschimpft. Abwechselnd spielten die Kapellen; in der Nähe der Egerländer Musik knüpften sich die ersten zarten Bande unter der Jugend. Die Tuchmacher aus Reichenberg suchten den Schuldigen, der die Zunftfahne in Reichenberg vergessen hatte, denn ohne die Zunftfahne fühlten sich die Tuchmacher nur halb so stark." Das die Reichenberger Tuchmacher ihre Zunftfahne vergessen hatten, war natürlich ein großes Unglück. Aber es hat den guten Reichenberger trotzdem auf dieser Hochzeit sehr gut geschmeckt, sie mögen gegessen und getrunken haben, was ihnen gerade angeboten wurde, und es wird ein fröhliches Feiern und Essen, Musizieren und "Tischkerieren" gewesen sein.
Der Festschmaus im Hüttenhof
Aber das eigentliche Festessen folgte nun erst noch im Hüttenhof, im Besitztum des Christian Benjamin Preußler, darüber wird berichtet: "Aber alles hat einmal ein Ende, und so rüstete man sich für den Heimweg zum Hüttenhof. Dort war inzwischen alles bereitgestellt zum Hochzeitsschmaus. Ein halbes tausend Gäste mußte befriedigt werden. Das war nicht leicht. Aber auch bei diesen Vorbereitungen zeigte sich die sichere Hand des Hochzeitbitters, der als erster die Kirche verlassen hatte und ins Weißbachtal zurück geritten war. Was an diesem Tag am und im Hüttenhofe verzehrt wurde, darüber gingen noch nach Wochen im Hirschberger Tale die tollsten Erzählungen. Wenn diese Erzählungen richtig waren, dann hätte eine ganze Armee drei Tage von den Vorräten leben können; das große Faß im Heidelberger Schlosse wäre zu klein gewesen. Sicher aber ist, daß der alte Preußler, der Letzte aus der Schreiberhauer Linie der berühmten Preußler, seiner Tochter eine Hochzeit ausrichtete, die die letzte große Hochzeit nach echter schlesischer Art und Sitte war. Lange sprach man noch von dieser Huxt, am längsten bei den Reichenberger Tuchmachern, die auch am längsten die Hochzeit gefeiert hatten; denn die letzten dieser Zunftgenossen rückten am zwölften Tag wieder in ihre Reichenberger Quartiere ein."
Was können wir dieser Schilderung noch hinzufügen! Nach zwölf Tagen sind die Reichenberger wieder nach Hause gekommen. Da werden ihre Ehefrauen schön nach ihnen Ausschau gehalten haben. Und was man sich danach im Riesengebirge erzählte, das mag eben alles etwas sagenhaft geklungen haben, weil es übertrieben war und arg von der Wahrheit abwich. Aber ein großes Ereignis muß diese Hochzeit der Amalie Preußler und des Franz Pohl schon gewesen sein und die Schreibenhauer taten recht daran, die "Schreiberhauer Trachtenhochzeit" alljährlich zur Erinnerung daran zu begehen......
Ursprünglich von Heinz Kulke im schlesischen Gebirgsboten am 10.9.1973 veröffentlicht.