Der schlesische Orgelbau

von Walter Finke



Unsere Heimat war von altersher eine Heimstätte der Kunst und Wissenschaft. Es verwundert nicht, daß sich hier auch der Orgelbau schon frühzeitig entwickeln konnte. Nach einer Statistik aus dem Jahre 1917 stand unsere Provinz mit 2150 Orgeln an der Spitze der deutschen Gaue. Und so künden überall, in Dorf, Stadt und Kloster, hier bescheidene landläufige Werke, dort technisch und künstlerisch bedeutende Schöpfungen, von der Fertigkeit der heimischen Orgelbaumeister.


Namentlich das Zeitalter des Barocks bescherte uns eine Fülle herrlicher Werke; die Orgel kam nicht nur als Musikinstrument zur Geltung, sie bildete zugleich ein repräsentatives Möbelstück. Ein Blick in die ausgezeichnet bebilderte Kunstgeschichte von LUTSCH zeigt, daß auch oft Dorfkirchen Orgelwerke von vollendeter Form und Schönheit aufweisen.


Hohes handwerkliches Können, verbunden mit künstlerischer Begabung, ließen aus den primitiven Instrumenten der Frühzeit die Königin der Instrumente entstehen. Das war ein langer und mühsamer Weg, wenn auch das Prinzip des Orgelbaues dasselbe geblieben ist; eine Windlade mit einer Reihe von Pfeifen, die in einer Stufenfolge von Tönen abgestimmt sind.


Die älteste Nachricht über schlesische Orgeln stammt aus dem Jahre 1340. Die Görlitzer Annalen bekunden, daß in diesem Jahr eine Orgel in der St. Peter- und Paulkirche durch Blitzschlag beschädigt wurde.


Als erster Orgelbauer wird uns 1363 der Abt Weintrud vom Augustinerchorherrenkloster in Sagan genannt. Er war „Prediger, Kantor und Organist zur Erbauung seiner Ordensbrüder“. Im Jahre 1408 taucht in Breslau ein Peter von der Ohle als Orgelbauer auf. Bemerkenswert ist, daß Langhellwigsdorf, Krs. Bolkenhain, bereits 1517 eine Orgel besaß. Allgemein kann gesagt werden: Um die Mitte des 15. Jahrhunderts besaßen nur die größeren Kirchen Schlesiens eine Orgel. Vor dem 30-jährigen Kriege war die Görlitzer Orgel in der Peterskirche das größte derartige Werk in Schlesien, sie hatte 57 Stimmen.


Bahnbrechend wurde auf dem Gebiete des Orgelbaues erst Eugenio Adam Horatius Casparini, Sohn eines Orgelbauers aus Sorau. Im Jahre 1624 geboren, lernte er bei seinem Vater und ging dann nach Bayern. Bald trieb es ihn über die Alpen nach Italien. Hier gelangte er zu großen Ehren und Ansehen. Er erhielt große Aufträge und baute die berühmten Orgeln der Kirchen St. Maria Maggiore in Triest, Sancta Giustina in Padua, St. Girgio Maggiore in Venedig u.a. Auch die Orgel der Stiftskirche zu Brixen stammt aus seiner Hand.


Kaiser Leopold I. rief den schlesischen Künstler nach Wien. Dort erlangte er den Titel eines Kaiserlichen Hoforgelmeisters.


Schon hochbetagt war Casparini, er hatte das achtzigste Lebensjahr erreicht, da wurde ihm in Görlitz ein ehrenvoller Auftrag zuteil. Unter Aufsicht des Organisten Buxberger baute er die heute noch erhaltene herrliche Orgel der Peterskirche. Lesenswert ist der Vortrag über das Werk:


Es hat itzermelder Herr Casparini, weil ihm der Hoechste die Gnade verliehen, daß er bei seinem nunmehr erreichten hohem Alter nach vielen in Italien und anderen fremden Oertern zugebrachten Leistungen wiederumb in hiesiges Land und so nahe zu seiner Vaterstadt gelangen koennen, sich vorgenommen, mit Verleihung Gottes zu seinem heil. Lob und Ehren ein solches Werk aufzufuehren, das herrlich, bestaendig, von gutten und annehmlichen und dem Kirchengebaeude adaequaten Klange und also ausgerichtet werden solle, daß es selbst den Meister loben und die spaetere Nachwelt seiner mit Ruhm gedenken werde.“


Diese Orgel, die nach sechsjähriger Arbeitszeit am 19.August 1703 eingeweiht wurde, stellte die Krönung seines langjährigen Schaffens dar. Das Meisterwerk hatte nicht weniger als 3270 Pfeifen und wurde als „Sonnenorgel“ bezeichnet wegen der eigenartigen Anordnung von „Sonnen“ durch radial im Kreise angeordnete Pfeifen. Diese Görlitzer Orgel beschloß gleichzeitig seine Arbeit; Casparini starb am 12. September 1706, nach der Ueberlieferung in Nieder-Wiesa bei Greiffenberg.


Sein Sohn Adam Horatius war ebenfalls Orgelbauer. Er war „Orgel-Architektus und Aufseher“ des großen Orgelwerkes der Peterskirche und heiratete 1704 die jüngste Tochter des Görlitzer Bürgermeisters Michael Steinbach. Adam Horatius baute aber auch selbst Orgeln, so z.B. die der Hirschberger Pfarrkirche. Hier ist deutlich der Einfluß seines Vaters spürbar. Weitere Bauten bzw. Verbesserungen von ihm finden wir in der Breslauer St.-Bernardkirche, der Klosterkirche in Wahlstatt und im Kloster zu Czenstochau (1725).


Die Orgelbauer, auch Orgelmeister genannt, stellten ein Mittelding zwischen Handwerker und Künstler dar. Neben einem guten musikalischen Gehör mußten sie nicht nur Verständnis für Tonbildung und Klangverbindungen mitbringen, sie mußten selbstverständlich auch die handwerklichen Fähigkeiten eines Tischlers besitzen. Daher sind die meisten Orgelbauer Tischlersöhne, so z.B. Michael Engler, Thiel, Eckstein u.a.


Die Lehrzeit dauerte 4 Jahre, dann begaben sich die Gesellen auf Wanderschaft. Wie schon erwähnt, ging Caparini nach Italien, Benjamin Müller zog zusammen mit Buckow nach Frankreich und England, W. Sauer arbeitete in Paris bei dem berühmten Meister Cavaillè, sowie in der Schweiz.


Auch aus anderen Berufen kamen sie zum Orgelbau, Organisten und Mönche waren vielfach darunter. Michael Hirschfeld aus Sorau, sattelte vom Doktor der Arznei zum Orgelbauer um. Nicht jeder von ihnen wurde ein großer Meister; manche befaßten sich ein Leben lang mit Reparaturen und bauten hin und wieder ein unbedeutendes Werk. In einer Vielzahl von Fällen pflanzt sich der Beruf durch drei bis vier Geschlechter fort, z.B. bei Casparini, Edelmann, Engler, Scheffler, Meinert, Müller, Schlag u.a.


Der Beruf brachte es mit sich, daß die Orgelmeister, ähnlich wie die Glockengießer umherzogen und selten an einem Ort seßhaft waren. Es hing jeweils von der Größe des Werkes ab, das sie herstellen sollten. In den wenigsten Fällen wurden die einzelnen Teile der Orgel in der Werkstatt zugerichtet und anschließend zum Bestimmungsort gebracht. Schlechte Wege und unzureichende Beförderungsmittel machten dies meist unmöglich. Daher wurde es in der Regel so gehandhabt, daß der Orgelmeister im Ort des Bauherren (Kloster oder Kirche) nebst seinen Gesellen Unterkunft und Verpflegung erhielt.


In einem Vertrag waren sämtliche Einzelheiten bezüglich des auszuführenden Werkes festgelegt. Es wurde ein Lohn und eine Lieferzeit vereinbart sowie die Unterbringung des Meisters und der Gesellen geregelt. Letztere fanden, wenn der Bauherr ein Kloster war, auch meist im Kloster Unterkunft. So erhielt z.B. Wilde im Jahre 1674 bei den Dominikanern in Breslau „Essen und Trinken, wie solches die Brüder pflegen zu haben und dann außer der Zeit einen Trunk Bier von 1 ½ Quarten. Michael Hirschfeld aus Sorau (gest. 1602) bedingte sich „Bier und Wein, mit Fleisch und Fisch, propter dedicatorium“ aus. Ferner war es üblich, bei bestimmten Bauabschnitten einen besonderen Trunk oder ein festliches Gericht darzubieten. War das Werk schließlich wohlgelungen, bekam der Meister selbstverständlich neben der Bezahlung ein angemessenes Trinkgeld.


Das Baumaterial lieferte meistens der Bauherr. Voraussetzung für ein Gelingen des Werkes war gut abgelagertes Holz. Ein Orgelmeister hatte eine seltsame Methode, zu gutem abgelagerten Holz zu gelangen: er erbat sich von Dorfgemeinden, gegen Hergabe ihres alten Kirchengestühls ein vollständig neues zu errichten. Auf diese Weise war beiden Teilen gedient, der Orgelmeister konnte kein besseres Holz erlangen.


Zur Herstellung der Bälge und zum Abdichten der einzelnen Teile wurde Leder, am liebsten von Hirschen oder Schafen, verwandt. Die Orgelmacher mußten also die Bearbeitung des Leders, gleich dem Sattler, genau kennen.


Bis gegen Ende des 18. Jahrh. befanden sich unsere schlesischen Meister in leidlich guten Verhältnissen, dann schien ihre Blütezeit vorbei zu sein. Viele starben zuletzt völlig verarmt , wie auch der letzte Engler (Johann Gottl. Benjamin), der jüngere Casparini kam ebenfalls auf keinen grünen Zweig. Mehr und mehr setzte sich die fabrikmäßige Herstellung von Orgeln durch.


Im folgenden sei eines Orgelbauergeschlechts gedacht, welches in LÄHN seinen Sitz hatte, es waren die Meinerts. Sie kamen zwar nicht an einen Casparini oder Engler heran, doch verrichteten sie eine ganze Anzahl vortrefflicher, wenn auch kleinerer Werke.


Der Begründer dieser Dynastie ist Johann Heinrich Meinert, geboren im Jahre 1719. Von ihm stammen die Orgeln in der Kirche zu Schönberg, Krs. Lauban, Freystadt (Gnadenkirche) sowie in den Bethhäusern zu Hermsdorf/Kyn. und Harpersdorf, Krs.Goldberg.


Sein Sohn, Samuel Gottlob, schuf Orgeln zu Kulmitz und Schweinitz, Krs. Grünberg. Recht aufschlußreich ist der Vertrag über das letztgenannte Werk, in dem es u.a. heißt:


Dieses Werk will derselbe für 500 Rthl. erbauen, und die Windlade von gutem dürren Eichnen Holz meisterhaft und in gehöriger Größe machen, damit das Pfeiffenwerk nicht zu enge stehen darf, und durch bei der Windladen kein Durchziehen bemerkt werde.

In Ansehung der Bälge bleibt H. Meinert überlassen, wieviel er deren für das ganze Werk für hinlänglich und stetem Winde nöthig findet, verspricht aber hiezu dürres, gesundes Holz und dauerhaftes Leder zu nehmen, wo es nöthig mit Roßhaaren tüchtig und dauerhaft zu verwehren.

Auch will er sich gefallen lassen, alle möglichen Proben, die verständige Orgelkenner damit vornehmen möchten, vornehmen zu laßen und das Dadelhafte zu verbeßern und die Gewährschaft darauf auf Jahr und Tag über sich zu nehmen, so daß er nach Verlauf eines Jahres das ganze Werk noch einmal unentgeldlich durchspielen will.“


Unser Meister lieferte eine saubere Arbeit. Schon das Protokoll vom 28.September 1795, unterschrieben vom Pastor Christoph Irner und Heinrich von Uechtritz, spricht sich lobend über das Werk aus.


Ein Jahr später baut Samuel Gottlob eine neue Orgel für die ev. Kirche Günthersdorf, Krs.Grünberg, mit Genehmigung des Kirchenpatrons, des Grafen v. Schweinitz. Im Revisionsprotokoll, das nach dreijähriger Arbeitszeit über die fertige Orgel aufgenommen wurde, heißt es u.a.:


„Da Günthersdorf auch wegen dieser neuen Orgel, so nach dem unparteiischen Urteil des Revisors und aller Anwesenden meisterhaft und fehlerfrei geraten, vor vielen Kirchen brilliert und Herr Meinhardt dabei sich nicht nur als ein vorzüglich geschickter Mann gezeigt, fern von allem niederen Eigennutz bloß auf Ehre gearbeitet, so verdient er nach Wunsch des Revisors


a) der ehrenvoller Pubicität in den öffentlichen Blättern pp.,

b) ein großmütiges Doßeur von Seiten hiesiger gnädiger Herrschaft pp . . . .

Wie zu ersehen, brauchen wir uns unseres Lähner Meisters nicht zu schämen, er machte seinem Handwerk alle Ehre.


Sein Sohn Dohann Gottlob Meinert, ebenfalls Orgelbauer und Geschworener Schöppe in Lähn, baute Orgeln für die Bethäuser in Seidorf und Arnsdorf, außerdem in Warmbrunn und Lomnitz. In Lähn schuf er für 1490 Rthl. in zwei Jahren (1786 – 1788) die Orgel für die ev. Kirche.




Aus „Schles.Bergwacht“, SB57/N04/S60



Erstell:Winfried Schön;Mail:genealogie@wimawabu.de 20.07.04