Ein schlesischer „Lichtaobend“

Richard Karrasch (1955)


Wenn in den schlesischen Dörfern die Erntezeit vorüber war und die Abende anfingen länger zu werden, kam ein uralter Brauch wieder zu seinem Recht: der Lichtaobend. Frauen und Männer, Mädchen und Burschen der verschiedenen Familien kamen dann abends in der „guten Stube“ eines Bekannten zusammen zu Arbeit und Fröhlichkeit. Man sagte dann in unserem Dialekt: „mer giehn zum Lichta“. Diese Lichtenobende fanden in der Regel einmal in der Woche statt und zwar ging es reihum in jedem Hause der Beteiligten.

Bei so einem Abend ging es recht lustig zu. Die älteren Frauen spannen oder schlissen Federn, stickten oder machten andere Handarbeiten, während den Männern eine besondere Arbeit vorbehalten war: sie spalteten Holz zum Feuer anmachen. Die sogenannten Spändl, oder sie schnitzten Quirle und Kochlöffel. Die Jugend aber betätigte sich auf ihre Art. Sie hatte Instrumente mitgebracht und musizierte. Die schönen Volkslieder der Heimat wurden gesungen oder fröhliche Schnurren erzählt.

Besonders beliebt waren aber auch Gruselgeschichten. Je schauriger, desto besser. Das Ende davon war dann, daß auf dem Heimweg so mancher Schabernack mit den Mädchen getrieben wurde. Besonders wenn deren Weg in der Nähe des Friedhofes vorbeiführte.

Außerdem bot so ein Lichtaobend aber auch die beste Gelegenheit, die neusten Ereignisse im Dorf zu diskutieren und bis ins Einzelne durchzuhecheln. So etwas hatte ja auch seinen besonderen Reiz.

Damit die Lichtagänger nun auch innerlich ihre Stimmung behielten, servierte die Gastgeberin einen guten Bohnenkaffee zusammen mit einem großen Berg Sträselkucha, während der Hausherr mit der Kornflasche bei den Männern die Runde machte. Zwischendurch aß man zuckersüße, schwarze Backpflaumen. Und bei all dem Erzählen und Singen merkte man garnicht, das der „Seeger“ inzwi-

schen auch nicht stillgestanden hatte, und staunte nur, daß die Hausfrau plötzlich noch einmal mit einer großen Kanne Kaffee in die Stube kam zu einer letzten Tasse. Das war dann die Heempresche, das Zeichen dafür, daß jeder Abend ein Ende haben muß und die Gäste an den Heimweg denken sollten.

Noch fröhlich plaudernd zog man dann nach Hause, sich schon auf den nächsten Lichtaobend freuend.


Entnommen aus: „Schles. Bergwacht“ 1955


Abschrift v. W.Schön, Mail: genealogie@wimawabu.de 01.01.09