Etwas über schlesische Spitznamen

von R.M.

 

 

Die in der ganzen Schläsing bekannte Geschichte vom „Abgehackten Nußbaumkrause“ kennzeichnet das Bestreben des Schlesiers, eine möglichst genaue Bezeichnung und Unterscheidung gleichnamiger Familien zu erreichen. Ein Bestreben, das naturgemäß da am stärksten hervortritt, wo die Häufigkeit eines Familiennamens von selbst zu einer Spezialisierung herausfordert.

Die Art und Weise nun, wie der Schlesier diesem praktischen Bedürfnis entgegenkommt, steht im engsten Zusammenhang mit seinem innersten Wesen. In treffsicherer Erfassung sinnfälliger Äußerlichkeiten, die mitunter zu humoristischer Prägung führt, offenbart sich der lebendige, der heiteren Seite des Lebens zugewandte Sinn dieses Volksstammes, der, selbst urwüchsig und gesund, allen bleichen Philosophemen abgewandt, mit starken Armen hineingreift in das Menschenleben, der sich gerade deswegen auch den Sinn für die düsteren Hintergründe des Lebens bewahrt hat.

Die Wirklichkeit, das volle Leben, das frische Blut pulsiert darum in seinen vielfältigen Spitz- oder Beinamen,die, wie alles Volkstümliche, in der gemeinsamen Arbeit des gesamten Volkes ihren Ursprung haben und so mit Klarheit und Schärfe das Kennzeichnende widerspiegeln.

 

Wehe dem, der sich eine solche Benennung zuzieht! Sein Name ist dann oft auf Generationen hinaus in eine zähe und dauerhafte Verbindung gebracht, die sich stärker erweist als ihm lieb ist. Späte Enkel tragen noch die Sünden der Väter.

Zumeist sind es äußere Beziehungen, die ihren Ausdruck darin finden: der Stand, der besondere Wohnort, die Herkunft und Verwandtschaft, auffallende Charakterzüge, Eigentümlichkeiten der Erscheinung, der Sprache, sensationelle Ereignisse, bei Bauern auch der Vorbesitzer des Hofes erweisen sich als Hauptquellen.

 

So unterschied man in einem Gebirgsdorfe des Hirschberger Kreises einen „Strauchworbs“, weil sein Gehöft von hohen Bäumen und Sträuchern umwachsen war, einen „Zimmerworbs“, einen „Gärtnerworbs“, einen „Fabrikantenworbs“, einen „Musikantenworbs“, ferner einen „Bergworbs“, einen „Wurzelworbs“, weil er aus den Wurzelhäusern zugezogen war, einen „Standesbeamtenworbs“, einen „Zinneckerworbs“, weil seine Mutter eine geborene Zinnecker gewesen war und schließlich noch einen „Dreckworbs“, der als Kind eine unüberwindliche Scheu vor dem Wasser gehabt haben soll. Es gab da noch einen „Leiserschuster“ und einen „Pulverleiser“, so genannt wegen seiner übersprudelnden Redeweise. Das alles in einem Dorfe! Sabel nennt in seiner köstlichen Dorfhumoreske: Ströbel-Schusters Luftkurort einen „Bergla-Langer“, einen „Gassla-Langer“, einen „Spitzbuba-Langer“, einen „Ziegabook-Langer“ und ann „Dreck-Langer“, zum Schluß versichert er treuherzig: „doos seinse nooch gor nee olle“. Wer „inse Schläsing“ kennt, wird's ihm aufs Wort glauben.

 

Lichter, der schlesische Mundartdichter und Erforscher heimatlicher Feste und Gebräuche, weiß in seiner kulturhistorischen Skizze: Der Tatem (Zehnte) zu erzählen von einem Krautgorta-Loba-Korle, vom Kapellabäcker Augustin, vom Kirscha-Allee-Pauer Reinhold, vom Schindergruba, Lieba-Friede, vom Enta-Linsa-Pauer Firnand, vumm Teufelsgruba-Franze, vumm Gurkabeetla- Pauer Ehrnfried, vumm Erlapuusch-Honnsjürge und schließlich vumm Gänseplon-Natzla.

 

Mag auch hier die Phantasie etwas nachgeholfen haben, so steht wohl fest, daß jedes schlesische Dorf seine charakteristischen Beinamen gefunden hat.

Mitunter ergab sich die Notwendigkeit der Unterscheidung innerhalb einer Familie. So lebten z.B. in jenem Dorf drei Brüder Roth. Der älteste war der „Rotha-Fleescher“, einer wurde „Der Herr Baron“ genannt, entsprechend seinem Auftreten, der dritte, ein gelernter Bäcker, betrieb im Niederdorfe seine Bäckerei, das war natürlich „Der Niederbäcker-Roth, er blieb der Niederbäcker selbst nachdem er seinen Beruf längst aufgegeben hatte und Bälgetreter und „Exekuter“ geworden war. Die dörfliche Visitenkarte aber hieß nun: Der „Niederbäcker-Bolka-Triet und Exekuter“, nun war eine Verwechslung unmöglich.

 

Der Dorfkrämer, der stets wenig auf Lager hatte, vertröstete seine ungeduldige Kundschaft mit der  stereotypen Ausrede: „Grode weg“. War es zu verwundern, daß man ihn den „Grodeweg“ nannte?

Zwei Schmiede lebten im Dorf, der „biehmsche“ und der „sächsische“ Schmied, womit ihre Heimat bezeichnet wurde. Die Witwe des ersteren, die „ biehmsche Schmiedin“, betrieb nach dem Tode ihres Mannes einen Handel mit selbstgefertigter Leinewand. Sie war wohl die letzte Weberin des  Dorfes, das einstmals in jedem kleinen Häuschen einen Webstuhl stehen hatte und sogar mehrere Großwebereien betrieb, die schließlich auch eingestellt wurden.

Im Mitteldorf wohnten zwei „Hoffmänner“, beide in guten Verhältnissen, der Volksmund wußte Rat. Einer war der „Toaler-Hoffmann“, er hatte einst geprahlt, er könne seinen Hausflur mit Talern pflastern, der andere der „Millionen-Hoffmann“. Die Richtigkeit konnte aber niemand nachprüfen.

 

Auch die Felder und Fluren trugen ihre Beinamen, doas Mühlfleckla, die Roba-Wiese, die Krautwiese, der ahle Grund, Elias Klippe; an die Heidenzeit erinnerten die Hedatilke, die Hexatreppe, das Teufelslooch. Die „Graupe“, ein Wäldchen, wo es scheechte, war der unheimliche Ort der Selbstmörder und der lagernden Zigeuner; Kinder gruselte beim Vorübergehen.

Zum Schluß soll noch einer eigentümlichen, durch Zusammenziehung entstandenen Wortneubildung gedacht werden, die man als bäuerliche Genealogie bezeichnen könnte: Honns-  Jürga- Jürgelobs- Korls- Kall. Einer meiner Vorfahren hieß Johann-Georg, kurz: Honns-Jürge, dessen Sohn Georg-Gottlieb, kurz: Jürgelob, dessen Sohn hieß Karl. Um nun den Urenkel zu bezeichnen, übertrug man ihm alle bisherigen Vornamen. Er selbst wurde nach altem Sprachgebrauch einfach als „Kall“, d.h. Kerl oder Sohn bezeichnet; so trug er auf seinen jungen Schultern den ganzen Stammbaum seines Geschlechts.

 

 

Aus „Schles.Bergwacht“ SB1957/N05/S77