Die schlesische Bauernstube
Hans Ulrich Siegert (1957)
Betreten wir heute, fern der alten Heimat, in Gedanken eines unserer Riesengebirgsbauernhäuser, sei es in Fischbach, Bärndorf, in Gotschdorf, Voigtsdorf oder Kiesewald, Hain oder auch im Vorland, wie etwa Schmottseiffen oder Berbisdorf oder auch oben im Gebirge vielleicht die alte Erlebachbaude neben der Adolphbaude unter der Kleinen Sturmhaube, so finden wir im Hausflur rechts die Tür zur großen Bauernstube, hinter der ein kleineres Schlafgemach liegt. Im Flur links giehts ei a Stoall zum Rindviech. So ist es überall ganz gleich, wo wir hinkommen. Also stellen wir fest: es liegt System in der Bauweise unserer Bauernhäuser, um nicht den zeitgemäßen Ausdruck „Norm“ zu gebrauchen.
Über das schlesische Gebirgsbauernhaus berichtete ich an früherer Stelle. Ich erwähnte, daß schon z. Zt.der Ostkolonisation Stall und Werkstatt streng vom eigentlichen Wohnraum getrennt wurde. Mithin entwickelte sich die Bauernstube zum reinen Kulturgemach.
Bei der allgemeinen Verflachung unserer Auffassung über Ausgestaltung unserer Wohnräume und bei dem bekannten Bestreben der bäuerlichen Kreise, ihre Wohnungseinrichtungen denen der Städter anzupassen, weil dies „modern“ sei, ging der Landbevölkerung der Sinn für die einst so hoch im Ansehen stehende bäuerliche Wohnkultur, und damit ein Stück schlesischen Volkstums, leider zu oft verloren. Die alten Möbel wanderten auf den Speicher. Truhen und Laden fristeten ihr trauriges Dasein als Mehl- und Futterkisten. Aber, gottlob, gab es noch zahlreiche rühmliche Ausnahmen. So kannte ich persönlich noch viele stilreine schlesische Bauernstuben, auf die die Bauern, bewußt, einer alten Tradition verpflichtet zu sein, stolz waren.
Schon der Gesamtgrundriß des Bauernhauses bestimmte die Größe und Lage der Bauernstube und auch der Möbel. Die beiden Türen vom Flur und zur Nebenstube hatten ihren festen Platz, desgleichen die Fenster, welche in ganz bestimmten Abständen voneinander eine Längs- und Querwand aufteilten. Diagonal gegenüber der Ecke der beiden Außenwände steht der große grüne Kachelofen mit dem „Röhr“, in dem gekocht wurde. Hinter ihm befand sich die „Hölle“, der Sitzplatz, von wo aus der Ofen geheizt wurde. Es war das Ruheplätzchen der Großmutter oder des Großvaters, der sich gern seine Tabakspfeife mit einem Kienspan anzündete.
Der im Zimmer frei stehende Ofen war an den Backofen angebaut, dessen Feuer- und Backloch sich draußen im Hausflur befand. Der Kachelofen war von der Ofenbank, „m`Uwabänkla“ umgeben. Hier saß man warm, wenn nicht die Mutter Küchengeräte, wie Bunzelschüsseln usw. darauf abgestellt hatte. Rund um den Ofen war an der Decke ein Holzgestänge zum Trocknen von Tüchern und feuchter Kleidung angebracht.
Gegenüber war die Tischecke. Entlang der Wände verlief die Tischbank. In der Ecke war der Platz für den Bauern, den Herrn des Hauses. Mochte es in der Stube noch so lebendig zugehen, sein Eckplatz bildete den ruhenden Pol. Es war auch der „Herrgottswinkel“. In katholischen Familien hing hier ein Kruzifix, in evangelischen meist ein – Spiegel.
Tisch und Stühle wie die Bänke bildeten die eine Gruppe, die „Gestellmöbel“, Bett, Truhen und Schränke die zweite Gruppe, die „Kastenmöbel“, welche zerlegbar waren. Kein Nagel war eingeschlagen. Sämtliche Teile waren ineinander verzapft, auch der Tisch mit dem Fußbrett. In früherer Zeit befanden sich an ihm auf allen Seiten kleine Schübe zur Aufnahme des Eßbestecks, für jedes Familienmitglied extra.
Links neben der Eingangstür stand der Brotalmer und Tellerschrank, unten zweitüriger Spind, oben Tellerwandregal. In ihm standen die bunten Teller und Schüsseln senkrecht an der Wand, Kannen und Krüge auf einem abschließenden Wandbrett darüber.
In früherer Zeit stand noch das zweischläfrige Himmelbett, der Handwebstuhl in der Bauernstube, während der Kleiderschrank und die Wäschetruhe „eim Beikammerla“ ihren Platz hatten.
Neben der Flurtür rechts hing der Löffelschrank, ein Barockschränkchen mit den darin aufgestellten ziselierten Zinnlöffeln. Daneben hing der Quirlhalter mit den aus ehemaligen Christbaumspitzen selbstgefertigten Quirlen. Dann hing, nicht zu vergessen, der alte „Seeger“, die Gewichtsuhr, mit langem Perpentikel und blechernem Zifferblatt an der Wand. Als besonderes Charakteristikum der schlesischen Bauernstube sind noch die Ziertellerbretter über den Fenstern zu erwähnen, die zusammen mit den Gardinen die trauliche Fensterumrahmumg bildeten. Soweit im großen und ganzen die Einrichtung der balkenüberdeckten Stube.
Nun etwas über den Ausputz der Bauernmöbel. Um das Bild der Stube zu beleben, malte man die Möbel bunt an und versah sie auch mit einfachen Kerbschnitzereien. Und hierbei gab es wesentliche Unterschiede. In Bayern beispielsweise sind die Bauernmöbel meist dunkelbraun im Grundton und lackiert, bei uns in den schlesischen Bergen in allen Farben gehalten, und zwar in kreidigen, etwas gedeckten Farben: hellblau, hellgrün und rötlich, also nicht in leuchtenden Farben, wie sie der Slawe liebt.
Die Ornamentierung ist regional unterschiedlich. In der Grafschaft Glatz wie auch in den böhmischen Gebirgsteilen finden wir Blumenmuster, Herzen, Blumenkörbe und Vasen, während man im Iser- und Riesengebirge die Flächen in Blenden aufteilte. Hier spielten auch Marmorierungen mitunter eine Rolle.
Diese Formen sind der letzte Ausdruck einer künstlerischen Gestaltung, die im Zeitalter der Gegenreformation bei den Barockwundern von Leubus, Heinrichau und Grüssau ihren Anfang nahm. Die katholische Kirche wollte durch ihre Prunkentfaltung die abtrünnigen Protestanten zurückgewinnen. Diese, weil zu arm, ersetzten in ihren drei großen hölzernen Scheunenkirchen, den drei Friedenskirchen von Glogau, Schweidnitz und Jauer, das edle Baumaterial des Marmors durch marmorierte Holzsäulen und -wände. Und auf den Dörfern entstanden die bunten Bauernkirchen, wie zum Beispiel in Reimswaldau, Kreis Waldenburg. - In gleicher Weise malten dann wohlhabende Bauern ihre Bauernstuben bunt aus, also auch die Wände und Decken. So existierte in Cunnersdorf, unweit der Andreas-Schänke das Brücknerhaus und in Giersdorf bei Warmbrunn im Fiebigtal das Prellerhaus, Kulturdenkmale schlesischen Volkstums ersten Ranges. Und in diesen bunten Bauernstuben standen dann unsere bunten Bauernmöbel.
Die Zeit des städtischen Biedermeiers änderte dann auch das Gesicht der schlesischen Bauernstube. Das Himmelbett verschwand aus der großen Stube, und das Sofa hielt seinen Einzug, in der Fensterecke auch der Lehnstuhl für die Großmutter, ferner die Wäschekommode. Der Tellerschrank blieb wohl noch. Doch neben ihm stand der Glasschrank als Zierstück. In ihm prangten die bunten Kaffeetassen, Kuchenteller, Zuckerschalen und Ziergläser der Glashütten des Gebirges. Hier lag auch der goldene Familienschmuck, und manche kostbare Haube oder ein Trachtentuch in seiner wertvollen Stickerei und Nadelarbeit. Auf dem Eßtisch lag die Blaudruckdecke oder feiertags ein Wunderwerk der heimischen Gebildweberei. Den Boden bedeckten Läufer aus alten Kleiderresten, gewebt oder gewirkt.
So bot unsere schlesische Bauernstube ein Bild urschlesischen Wesens der Behaglichkeit und Gemütlichkeit. Sie strahlte einen Frieden aus, der jeden Besucher sich heimisch fühlen ließ. Kein Wunder, daß sie die Geburtsstätte aller der guten Dinge wurde, die jeder Schlesier liebt, wie die Kließla, der Streuselkucha, die Mohstrietzel, die Baben, die Pfannkuchen wie die Bratäppel , die traditionsgemäß beim ersten Schneefall im Ofenrohr schmurgelten.
Die schlesische Bauernstube war die Pflegestätte schlesischen Wesens in Mundart, Dichtung, Spiel und Tanz. Sie war die Geburtsstätte altschlesischer Kultur.
Entnommen aus „Schles.Bergwacht“, SB57/N25/S444