Schlesische Textilindustrie

Charlotte Steinbrucker



Während die schlesische Tuchweberei bereits zu Zeiten Karl IV. im 14. Jahrh.blühte, entfaltete sich das Leinengewerbe erst um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert als freies, nicht zunftgebunde-nes Gewerbe auf dem Lande. So verwandelte sich in der 2. Hälfte des 17. Jahrh. das ganze schles. Gebirge in eine große Manufakturlandschaft, die bald die doppelte Siedlungsdichte aufwies wie die schlesische Ebene.

Während der Gegenreformation wanderte beinahe das ganze evangelische Tuchmachergewerbe nach Polen aus, wo daher die meisten Tuchmachersiedlungen deutschen Ursprungs sind.

Nach der Beendigung des 30-jährigen Krieges begannen Weberei und Spinnerei auch in Schlesien aufzublühen. Weite Flachskulturen entstehen, eine Spezialität bildete die „Schleyerweberei“, und 1787/88 belief sich der schlesische Leinenexport auf etwa 7,9 Millionen Taler. Im Jahre 1790 hatte Schlesien bei einer Einwohnerzahl von 1,5 Millionen 28 704 Leinenstühle in Gang, die von 50 553 Arbeitern bedient wurden. Der Niedergang der blühenden schlesischen Leinenindustrie wurde durch die Kontinentalsperre eingeleitet und durch die Einführung des in England erfundenen mechanischen Webstuhls und der Spinnmaschine vollendet. Im Jahre 1858 mußten z.B. im Görlitz-Laubaner Bezirk faßt 50% aller Gestellungspflichtigen als völlig dienstuntauglich bezeichnet werden, weil sie durch die Notzustände in großes Elend geraten waren.

Über die Anfänge der schlesischen Baumwollspinnerei weiß man nichts genaues. Erst am Ende der fünfziger Jahre des 19. Jahrh. gibt es im Regierungsbezirk Breslau sechs mechanische Baumwollspinnereien mit 58 000 Spindeln. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts breitete sich die Baumwollwebe-rei aus, die sich zunächst nur auf Handstühle beschränkte. Im Jahre 1849 gab es im schlesischen Gebirge neben 14 460 Leinewebern bereits 24 992 Baumwollweber. Die in den dreißiger Jahren des 19.Jahrh. Entstehende Baumwollindustrie verteilte sich auf die Kreise Frankenstein, Strehlen, Lauban , die Grafschaft Glatz und die Reichenbach - Schweidnitzer Kreise. Infolge der Entfernung der Bezugs- u.Absatzquellen entwickelte sich die Baumwollindustrie nur langsam weiter. In den Kreisen Landeshut, Hirschberg, Neustadt in Oberschlesien, Freiburg, Bolkenhain und Neusalz a. d. Oder, in denen die Flachsverarbeitung von jeher zu Hause war, wurde die Baumwollverarbeitung nur als deren Ergänzung angesehen.

Die Wollverarbeitung nahm am Beginn des 19. Jahrh. nach Aufhebung des Zunftzwanges einen neuen Aufschwung. Den Ruf der Herstellung feinster Wolle genossen in Schlesien die Schäfereien von Oels und Namslau. Die bedeutendsten Wollstädte am Ende des 18. Jahrh. waren Grünberg und Goldberg. Schlesische Wollfabrikate wurden nach Russland, Griechenland, der Türkei und dem Orient ausgeführt. Im Breslauer Bezirk gab es über 1.2 Millionen Schafe mit einem jährlichen Wollertrag von rund 21 000 Zentnern. Erst in den sechiger Jahren geht infolge der Konkurrenz Australiens, der La-Plata-Staaten und Südafrikas die Wollproduktion zurück. Der Schafbestand sinkt um 83% und der Breslauer Wollmarkt schrumpft mehr und mehr ei. Fremdländische Einfuhr verdrängt das einheimische Rohmaterial, so daß die Wollindustrie sich nur schwer weiterentwickeln kann. Die Zahl der selbsständigen Tuchmacher wird am Ende des 19. Jahrh. immer kleiner. Trotz der Einfüh-rung der textilen Maschinentechnik wird etwa noch ein Viertel der gesamten Textilien auf Handstühlen gewebt. Auch im 20. Jahrh. behaupteten die einzelnen Zweige der schles. Textilindustrie ihre früheren Standorte. Die Leinenindustrie blieb bestehen im Waldenburger und Riesengebirge und dessen Vorbergen, aber auch in Sprottau und Sagan, die hauptsächlich Buntware herstellende Baumwollindustrie in Schweidnitz, Reichenbach, Görlitz, Waldenburg und der Grafschaft Glatz und die Wollindustrie in einer Reihe niederschlesischer Städte, vor allem Liegnitz, Görlitz, Seidenberg in der Oberlausitz, Bunzlau, Hirschberg, Wüstegiersdorf, Breslau, Sagan und Grünberg. Noch im Jahre 1925 beschäftigte die mechanische Weberei H.Hanke in Reinerz neben 1500 Maschinenstühlen gegen 2 000 Handweber und andere Heimarbeiter mit der Herstellung von Leinengeweben. Das Rohmaterial wurde zum größten Teil eingeführt, trotzdem die mit Flachs besäte Fläche sich 1938 noch auf etwa 14 600 ha belief, während die Wollproduktion 1943 nur noch 340 t betrug.

In engem Zusammenhang mit der Textilindustrie entwickelte sich das Bekleidungsgewerbe, in dem 71 817 Arbeiter, unter ihnen sehr viele Frauen beschäftigt waren.


Entnommen aus: „Schles.Bergwacht“ 1955