Um den schlesischen Sommersonntag

Barbara Bartos-Höppner



Am Sonntag Latäre, um die Mitte des Monats März also, wenn die Sonne schon so mächtig wurde, daß es um Mittag ordentlich von den Dächern tropfte und die lange Eiszapfen zersplitternd zu Boden fielen, wenn die ersten Stare ihre alten Nistkästen bezogen und in den Gärten die ersten Schneeglöckchen ihre bescheidenen Köpfe durch die nasse Erde und den Schnee steckten, dann kam die Zeit, in der die schlesischen Kinder fragte: „Mutter, is noch nich baale Summersonntich?“ Dann lachte die Mutter: „Nu ja, es tauert nimmer lange!“


Nun quälen sie den Vater: „Wenn schneidste uns denn die Summerstecken?“ Und die gute Mutter kaufte buntes Papier und Blumen und putzte den Kindern die Stecken, die ihnen der Vater von Weide oder Birke geschnitten hatte. Ringsherum wurden sie mit buntem Papier umwickelt. An das obere Ende kamen die Papierblumen und daran hingen lustige bunte Bänder herab. Den nahmen die Kinder in die eine Hand und hielten in der Anderen ein Säckchen, in das die Gaben kommen sollten, die sie für ihre Lieder, von Haus zu Haus gesungen, als Dank erhielten. Freilich ging ihr Weg oft noch durch den Schnee, denn der Winter war in der schlesischen Heimat lang und gab seine Herrschaft wegen einem lauen Wind oder den täglichen Sonnenstrahlen noch lange nicht auf. Aber er wußte auch, wenn die Kinder mit den Stecken und den lustigen Liedern kamen, dann hatte er bald verspielt.


Und gerade das bedeutete das „Sommersingen“ der schlesischen Kinder. Todaustreiben wurde es auch genannt, von Urväterzeiten her. Das Leben – der Frühling – sollte seinen Einzug halten können.


Deshalb mußte der Tod aus dem Land. So ließen sie sich denn durch nichts verdrießen, wenn sie auch mit den dicken Winterkleidern, mit roten Nasen und Fausthandschuhen gingen. Sie sangen den Sommer ein und schwenkten als Symbol des Lebens ihre geputzten Stecken.

O, diese Aufregung, wenn es endlich soweit war. Frühzeitig zwischen 6 und 7 ging es los, denn wenn die Kirche begann, mußten die Kinder wieder von der Straße sein. In Gruppen oder einzeln machten sie sich auf den Weg, und dann bogen sie in die Höfe und sangen vor den Häusern ihre Lieder:


Rotgewand, Rotgewand, schöne grüne Linden

suchen wir, suchen wir, wo wir etwas finden.

Gehen wir in den grünen Wald, da sing`n die Vögel jung und alt,

sie singen ihre Stimme – Frau Wirtin sind sie drinne?

Sind sie drin, so komm`n sie raus und bring`n sie uns den Sommer raus.


Und die Frau Wirtin kam und verteilte die Gaben. Meistens waren es Schaumbrezel, Mehlweißen, „Begla“ oder „Mohfinken“; es waren Aepfel, oder bei „guten Stellen“ Eier. In allen Häusern hatte man schon für den wichtigen Tag vorgesorgt. Ein Korb stand bereit, aus dem den Sängern beschert wurde. Glückliche Kinder dankten dafür. Weiter, zum nächsten Haus führte ihr Weg und voll und voller wurden die Säcklein.


Summer, Summer, Summer, iech bien a klenner Pummer, iech bien a klenner Keenig, gabt merr nich zu wenig!

Iech bien a klenner Gernegruß, iech mechte gärne `n Faffernuß. Summer, Summer Maia, gabt merr ock poar Eia,

Lußt mich ni zu lange stiehn, iech muß a Häusla wetter giehn.


Natürlich gingen sie auch zum „Herr Lährer“ und zum „Herrn Paster“ . Die mußten auch den Sommer eingesungen bekommen. Auf dem „Howe“, dem Dominium, na da gab`s nicht etwa zuviel, stellten sie fest, und oje, es gab auch Häuser, wo sich gar niemand sehen ließ. Aber diese Geizhälse bekamen ihren Teil von den Kindern:


Hiehnermist und Taubamist, ei dam Hause krigt ma nischt. Ies doas nich an Schande, ei dam ganza Lande?


Sie schmetterten es, so laut sie konnten. Nun hatte der Ärger Luft und es ging weiter. Ach, du liebe Zeit, was zogen für „kleene Kneppe“ mit, kaum daß sie laufen und ein wenig krähen konnten, rannten sie immer hinter den Großen her. Es war ja auch zu schön, dieses einheimsen der vielen Gaben. Ging es dann heimwärts, dann sahen die Sommerstecken oft längst nicht mehr so schön als auf dem „Hinweg“ aus. Nicht selten dienten sie als Verteidigungswerkzeug, wenn von anderen Kindern ein Angriff auf die eigenen Sommergaben unternommen wurde. Aber was tat`s.

Die beiden Alten, die aus dem niedrigen Häuschen oben „am Bergel“ schmunzelnd zusahen, sie wußten: Nun würde der Frühling das Leben wiederbringen.



Entnommen aus: „Schles.Bergwacht“ 1955