Schlesische Originale der Vorberge

Der Stellmacher – Stellmachers Leben und Ende.

von Jkl.

 

Wenn in dem im Vorgebirge liegenden 12 km langen Reihendorf vom „Stellmacher“ die Rede war, so wußte jeder, welche Person darunter verstanden wurde. Damit ist schon gesagt, daß mehrere Stellen vorhanden waren, die das Stellmacherhandwerk betrieben. Gewöhnlich war mit diesen noch ein landwirtschaftlicher Betrieb verbunden. „Unser Stellmacher“, von dem ich in diesen Zeilen be-

richten will, besaß periodenweise nur ein Schwein und einige Ziegen. Er war ein Original besonde-

rer Prägung. In seiner Art nur einmalig urwüchsig, wußte er jedoch auch um Anstand und Sitte und war zuweilen auch liebenswürdig und galant. Unter die Lupe genommen, war sein ganzes Leben nur Arbeit und trotzdem war er lebhaft interessiert am Weltgeschehen. Für das Weiten seines Gesichts-

kreises gab er auch etwas aus. So entsinne ich mich, bei ihm schon vor dem 1. Weltgrieg die im Scherl-, später Ufa-Verlag, erschienenen Hefte „Die Woche“ gesehen zu haben. Wer meint, daß das  Abonnieren solcher Wochenschrift nichts Besonderes war, den muß ich immerhin darauf hinweisen, Daß der Wert des Geldes bei den kleinen Leuten viel höher als heute im Kurs stand, und schließlich befand man sich auf einem abgelegenen Dorf, in dem nur lokale Interessen, die nicht über die Kreis-

stadt hinausgingen, Bedeutung besaßen. Zu jener Zeit stand „unser Stellmacher“ schon in mittleren Jahren. Seine erste Jugend lag hinter ihm. Sie war gewiß aufgelockerter als die Zeit, in der er in mein Blickfeld kam. Darum war mir an ihm manches unverständlich. Seine Reden von Stolpen (hier ver-

brachte er die ersten Gesellenjahre) und der Sächsischen Schweiz waren mir genau so böhmische Berge, wie die Jahre seiner aktiven Militärdienstzeit. Und damit muß ich dem Leser verraten, daß der Stellmacher übel dran war. „Er hierte nämlich a` Bissel gedrange.“ Diese Redewendung ist gelinde formuliert. Seine Schwerhörigkeit grenzte nämlich nahe an Taubheit. Wie sie gekommen, ist schwer  zu erzählen. Sie war jedenfalls eines Tages vorhanden und daraus ergaben sich wohl auch die Schwierigkeiten , die man im Umgang mit ihm zu überbrücken verstehen mußte. Seine Ida hatte einen schlechten Stand, weil sein Mißtrauen und seine Skepsis über das Maß eines gewöhnlichen Schwerhörigen hinausging. Es bedarf damit nicht vieler Worte und dürfte auch zu erraten sein, daß sein Wesen öfter zur Entgleisung kam. Der Wald mit seinem Grundstoff Holz war sein Element und brachte ihn dieser gewöhnlich wieder ins Gleichgewicht. Im Holz ging er auf. Nie habe ich in einer kleinen Stellmacherei so viel Holz lagern gesehen, wie bei „unserem Stellmacher“. Im Laufe der Jahre wurde neben den Holzvorräten , die vor der Tür lagen, noch ein Holzschuppen gebaut, so daß man glaubte, in eine Holzhandlung zu kommen. Geld für Lebensmittel war gewöhnlich nicht vorhanden, da es in den Holzvorräten festlag. Die Rechnungen für die Bauern wurden nur zum Quartal ausgeschrieben. So mußte seine Ida mit den Erträgnissen des Gartens und dem kleinen Re-

sterhandel oft überbrücken. Im ersten Weltkrieg dehnte sich der Holzhunger sogar noch auf die Landstraßen aus, deren Bäume gefällt werden sollten. Er übernahm diese Arbeit und wußte sie zügig auszuführen. Die Stücke, die nicht als Nutzholz verwandt werden konnten, blieben ihm als zusätz-

licher Verdienst. Militärpferdewagen nach Zeichnung waren sein zweiter Schlager, die nur den Nach-teil hatten, daß sie vertragsmäßig (zeitmäßig) geliefert werden mußten. Mit der Verknappung der Nahrungsmittel kam eine andere Ader durch die Kaninchenzucht zum Durchbruch. Was angefangen wurde, mußte ganz getan werden. So gehörte er natürlich auch zum Vorstand des Kaninchenzucht-

Vereins, in dem er wohl Vorträge – unter Hinweis auf seine Zuchtergebnisse – (Deutsche Riesen-

schecken, Belgische Riesen, Angora, Hermelin, Silberkaninchen u.a.) halten, nirgends aber einer befruchtenden Aussprache beiwohnen konnte. Ein solches Gespräch war für ihn viel zu umständlich;

denn selbst, wenn man ihn am Ohr zupfte und ihm mit Mikrofonlautstärke hineinbrüllte, war es nur zu oft der Fall, daß er mit einer ulkigen Grimasse eine Antwort gab, die in keinem Zusammenhang zum Thema gestanden. Das machte ihn selbst aber nicht ärgerlich. Er war dann froh, überhaupt ein  Opfer zu haben, dem er seine Erkenntnisse, Erlebnisse und Offenbarungen mitteilen konnte. Ohne Zweifel, wenn der Gesprächspartner auf all die Dinge einging und genügend Zeit und Muße mit-

brachte, bekam er auch einen Gewinn vermittelt.

Sogar eine ganze Raubtierfamilie (Iltisse) hatte er verstanden im vorbeifließenden Bach seines An-wesens einzufangen. Natürlich wurde das Gefängnis mit Blech ausgeschlagen, um ein Durchfressen der Bretter zu verhüten. Das Skalpieren z.Zt. des Winterfells fand aber nicht statt, weil die Tiere während der Fütterung sich schneller und listiger benahmen als unser Stellmacher ahnen konnte. Bienen wurden sein dritter Schwarm, nachdem es gelungen war, die Liebe zur Kleintierzucht durch  Diebstahl zu untergraben. Damit war er aber auch bald am Ende seines Strebertums angelangt. Mit dem Tode seiner Ida, die während ihres Lebens das Rauhe und Herbe seines Wesens oft drückend empfand, später aber von ihm sehr beweint wurde, war auch sein Leben erfüllt. Die Fertigung von Skiern (Schneeschuhen) , die er in alle Welt sandte, hatte er noch seinem Sohn beigebracht; sie füllte die Lücke des Winters, zumal ihm im Laufe der Jahrzehnte mancher Bauer untreu wurde, weil er bei Anfertigung neuer Wagen und Ausführung von Reparaturen auf besondere Wünsche keine Rück-

sicht nahm und dem Kunden seine Meinung aufoktroyieren wollte.

So kam es, daß er, da ihn auch seine verwitwete Tochter am anderen Ende des Kreises benötigte, die Werkstatt und das Haus seiner Väter an seinen inzwischen verheirateten Sohn abgab. Er konnte stolz sein, auf das was er zurückließ. Die früher mit Fuß- bzw. Handbetrieb vorhandene Bandsäge war längst durch eine solche mit elektr.Antrieb ausgewechselt: eine Hobelmaschine war neu aufgestellt und was sonst die Arbeit eines Ein- bzw. Zweimannbetriebes erleichterte, war vorhanden. Sein Sohn lief in des Vaters Fußstapfen und hatte die Lücken, Schlappen und Einbußen des Vaters (Zurück-

holung der Kunden) bald aufgeholt. Da kam der neue Krieg: er drückte ihn auch nur nach der arbeitsmäßigen Seite. Während an seinem Ausgang der Vater und seine Schwester das Bändel schnürte und im Treck nach Westen zog, versuchte sein Sohn als „Festungsbaumeister“ für Schützengräben, Panzersperren u.ähnlichen Dingen sein Heil in den Hügeln und Wäldern des Kampf-

gebietes. Dresden war das Ziel vieler Schlesier, weil sich hier mancher Verwandter angesiedelt hatte.

Auch „unser Stellmacher“ hatte es sich als Ziel ausgedacht, und es wurde das Ziel seines Lebens überhaupt. In der richtigen Beurteilung der Schwere des Bombenangriffs strebte er aus der Innen-

stadt, wo er sich aufgehalten, in einen Außenbezirk. Behindert durch seine Schwerhörigkeit, mochte ihm aber doch das notwendige Gefühl und damit die Richtschnur beim Heraustasten der schon brennenden Stadt verlassen haben. Jedenfalls ereilte auch ihn das Massaker der Höllennacht mit ihren dunklen Kräften und Mächten, die ihn in ihrem Brand verzehrten.

 

 

 

Entnommen aus „Schles.Bergwacht“ 1955