Weihnachten gab`s Neunerlei in Schlesien

von Kurt Rumpf




Zu Weihnachten wurden in Schlesien der Weihnachtskarpfen in Biertunke, die Mohnklöße oder Hirse- und Erbsengerichte serviert, die man unbedingt essen mußte, um viel Geld zu bekommen; sie gehörten in den Vorstellungskreis, bestimmte Gerichte zu essen, mit denen man Sinnbildliches verband.

Neunerlei“ und „Siebenerlei“ spielte dabei auch eine Rolle. Die Bindungen hierfür waren in früherer Zeit genauer gezogen und bezogen sich auf die „Fruchtbarkeit“, d.h. den Ertrag in allen Dingen, wie Mohn, Hirse, Erbsen und Rogenkarpfen mit ihrer Beziehung auf „Geld“. Örtlich waren die Zusammenstellungen verschieden, wie die Beispiele es zeigen.

Aus dem Grünberger Kreis wurden um die Mitte des vorigen Jahrhunderts folgende siebenfache Schüsselfolge genannt: Grünkohl, Wurst (oder Schweinefleisch) und Sauerkraut, Mohnklöße (auch blaue Husaren genannt) oder Mohnstriegel, auch Mohnfipen, Karpfen, gebackene Birnen und Pilze, (eine Art des schlesischen „Himmelreichs“), Brinkelhirse und Semmelmilch (weiße Dragoner genannt). In der Umgegend von Jauer und Sprottau aß man Neuenerlei: Wassersuppe, gelbe Suppe, Erbsen oder Hirse, Kraut, Karpfen, gebackene Birnen, Pilze, Butternudeln und Mohnklöße. Andernorts, wo man das schlesische Himmelreich, die Mahlzeit aus Rauchfleisch mit Backobst und Klößen (früher auch Pilzen, die neuerdings in Wegfall kamen) bevorzugte, durfte eine Schüssel Erbsen nicht fehlen, wovon sich jeder wenigstens einen Löffel nahm, damit es ihm im neuen Jahr nicht an Geld fehle. Der Weihnachtskarpfen ist eine verhältnismäßig junge Erscheinung, die durch das Aufkommen der schleischen Karpfen-Teichzucht, vor allem in der Gegend von Sulau und Trachenberg, modisch bedingt ist.

In Oberschlesischen Kreisen, z.B. in Leobschütz, aß man Fischsuppe, worin das „Gebündel“ der Fische, vor allem Rogen schwimmen mußte, mit viel „Wurzelzeug“ gekocht, Karpfen in brauner Biertunke durch „Fischkuchen“ gedickt und gebräunt, gebratenen Fisch mit Wurzeltunke, aus Kuchenteig (ohne Rosinen) gebackenen Striegel oder Geelbrot. Die Grafschaft Glatz kannte als Christabendsuppe eine Biersuppe mit viel Zucker, Pfefferkuchen, Rosinen und Mandelkernen. Eine Zusammenstellung aus aus Orten der rechten Oderseite ist auch auf die Zahl sieben abgestellt: Mohn- oder Hanfsuppe mit gerösteter Semmel, gesottener Karpfen mit brauner Tunke, gebratener Karpfen oder Hecht mit brauner Butter, Sauerkraut mit Erbsen oder weißen Bohnen gemengt, Hirse oder Reis mit Pflaumen. Mohnklöße aus Semmeln und Kuchen, Striegel, dazu Äpfel, Nüsse und Pfefferkuchen, die allgemein in Stadt und Land zur schlesischen Weihnacht gehörten.

Wir sind wieder zum Neunerlei zurückgekehrt, welches einer näheren Betrachtung wert ist. Immer wieder verfällt man dem Trugschluß, daß das Neunerlei echtem schlesischen Ursprungs entstamme. Vielmehr ist es das Erzgebirge, wo es eigentlich zuhause ist. Der weihnachtliche Brauch, mit neun symbolischen Speisen den himmlischen Segen zu gewährleisten, war bald nicht nur auf eine Landschaft beschränkt. Wenn auch die Zahl der notwendigen Beigaben, um den Magen oder den Geldbeutel nicht zu sehr zu belasten, gelegentlich schwankte, sieben Teile mußten es aber mindestens sein. Dafür konnten die Qualitäten unterschiedlich ausfallen. Ob an Stelle des Karpfens Heringsalat geboten wurde, spürte der Gaumen schnell.

Eigentlich hat das Neunerlei mit dem Christfest nicht viel zu tun. Es gehörte ursprünglich in die Reihe der Neujahrssitten, und das hat einen sehr einfachen Grund, der häufig vergessen wird. Bis sich in Deutschland der Gregorianische Kalender, den Papst Gregor XIII. Hatte ausarbeiten und 1582 durch eine Bulle verkünden lassen, durchsetzte, galt der 25. Dezember als Jahresanfang. Am Abend vorher wurde, gemischt aus heidnischer und christlicher Überlieferung, alles getan, um die Prognosen für das neue Jahr günstig zu gestalten. Das Neunerlei hatte hierfür eine wichtige Funktion. Daß es tief im Volksglauben verwurzelt ist, spürt man heute noch. Und daß es gerade die schlesischen Landsleute sind, in denen es lebendig blieb, verwundert kaum. Nirgends in Deutschland haben sich die Bräuche von einst so gegenwartsnah erhalten, und sie sind mit den Flüchtlingen und Vertriebenen der Nachkriegszeit hinausgewandert in andere Gegenden.

Johanne Amalie von Elterlein aus dem Erzgebirge hat in ihren sechzehn Strophen des Heilig-Abend-Liedes viel Kultur erhalten. Gleich die erste handelt vom Bleigießen, dem Zukunftsorakel, und bald heißt es dann auch schon:

Mer hobn Neinerlei gekocht,

an Wursch un Sauerkraut,

mei Mutter hot sich obgeplogt,

die alte, gute Haut!“

Die schlichten, aus dem Volkstum schöpfenden Worte ihres Gedichtes treffen das Wesentliche jedoch so charakteristisch, daß fast ein klassisches Heimatopus entstand. Auch das Neunerlei profitiert davon. Wir sehen schon: seine Zubereitung macht Mühe! Und der Duft von Wurst und Sauerkraut weckt die Neugierde, was noch alles dazu nötig ist, um die neun unentbehrlichen Inkredienzien auf den Tisch zu bringen. Also:

Sauerkraut, Sauerkraut und nochmals Sauerkraut. Es erhält, am heiligen Abend gegessen, die Gesundheit!

Dann ist wichtig, daß Fleisch von Tieren oder drei Elemente, Erde, Luft und Wasser, geboten werden. Die Auswahl konnte dem Geschmack oder dem Haushaltsgeld überlassen bleiben, nur paßt nicht alles zum Sauerkraut, und in Schlesien war oftmals Schmalhans Küchenmeister. Wurst oder Schweinefleisch erfüllte somit denselben Zweck.

Hering oder Heringssalat. Da Hering aber nicht jedermanns Sache war und ist, bürgerte sich der Karpfen als „Ersatz“ ein. Die Hausfrau hatte immer vorgesorgt und hielt als Beigericht Grünkohl bereit, dazu Mohnklöße, die Leib- und Magenspeise der schlesischen Gebirgler.

Dann Hirse. Die Natur muß mit etwas Quellendem begrüßt werden, auf daß Wohlbefinden und Wachstum herrsche. Niemand wird sagen, Hirse sei ein Genuß. Da hilft nur Mut, den Magenschock zu überwinden, und ein Trost für Feiglinge sei hinzugefügt: Linsen tun es notfalls auch! Damit die Hirse rutschte, oder zur Ermunterung für erschöpfte Festteilnehmer, folgten, freudig akzeptiert, gebackene Birnen oder Äpfel.

In manchen Gegenden Schlesiens wurde die neunte Speise an den Beginn gesetzt. Sie mußte, weil sie die Familiengemeinschaft für die Zukunft bewahren und festigen sollte, von allen aus einer Schüssel gegessen werden. Es war die erfrischende und belebende Semmelmilch. Als Zutaten wurden Nüsse beigegeben und rohe Apfelstückchen hineingemischt, weil sich in ihnen die Erneuerung des Daseins zeigte. Die Schüssel mit Semmelmilch kreiste um den Tisch. Jeder nahm einen Löffel voll, der Hausherr zuerst, dann die Hausfrau und so weiter bis alle gekostet hatten und die Runde von vorn begann. Die Neige blieb dem Hausherrn vorbehalten. Er nahm den letzten Schluck. Und wer noch Hunger hatte, mußte sich mit Brot und Salz begnügen. Sie waren selbstverständlich immer, den ganzen Abend über, auf dem Tisch, sorgsam in ein Tuch eingewickelt, denn sie hielten Not vom Haus fern und mußten in fester Obhut bleiben, damit der Segen des Himmels nicht entfloh.

Der heilige Abend kennt in Schlesien noch viele Bräuche. Sie werden gepflegt, heute wie ehedem, und vielleicht gerade, weil sie in eine Zauberwelt entführen, widerstehen sie besser als manch andere Volkstumsüberlieferungen den Anfechtungen der Zeit. Nehmen wir uns ein Vorbild! Und planen wir, was für unsere Vorfahren nicht anders denkbar war: Diese Jahr gibt es bei uns Neunerlei zu Weihnachten.



Entnommen aus: Jahrbuch der Schlesier 1988