Das Martin- Luther- Krankenhaus in Hirschberg

M.H.

 

 

 

Als mir unlängst die Photografie vom Martin-Luther-Krankenhaus in Hirschberg/Rsgb. Mal wieder in die Hände fiel, fand ich mich erneut in die dort verlebten Jahre von 1940 – 1947 zurückversetzt, und über diese Zeiten möchte ich heute ein wenig plaudern.

Nicht nur den Einheimischen und den Riesengebirglern wurde das Haus eine Zuflucht in Kranheits-

Zeite, es kamen auch unendlich viele Evakuierte zu uns, ganz gleich, ob mittels „Talbahn“ , per „Fuhre“ oder vom „Himmelreich“, wie die Endstation der Elektrischen hieß. Sie kamen! Waren die Meinungen über den Bau als solchem auch unterschiedlich, so über das Vestibül, die Stationen, usw., des Lobes voll! -

Der Alltag forderte von allen, die dort beschäftigt waren, den ganzen Menschen. Heute noch denken wir Schwestern nur zu gern an den Beginn eines jeden Werktages zurück, versammelten wir alle und doch in der wärmeren Jahreszeit, ei jeder sein „Bunzel-Tippel“ sich mitbringend, auf der unteren Veranda, wo nach vorangegangener Andacht gefrühstückt wurde. Vor uns lagen die Abruzzen, seitlich gesehen blickten wir auf den Riesengebirgskamm in seinem wechselvollen, faszinierendem Bild! - Die Krankenzimmer mit ihren großen, tiefen Fenstern hatten ihre Front zm Gebirge hin, jedem Patienten eine besondere Augenweide! -

Zu dem Steinbau gehörte noch das Infektionshaus aus gleichem Material jedoch reichten die Betten bald bei weitem nicht aus, so wurde hinter dem Hauptgebäude noch eine 60- Betten-Baracke für Diphterie- und Scharlachkranke erbaut, und auf der anderen Seite eine kleinere für Zivil-Ausländer errichtet. Endlich erstand links vom Haupthaus noch eine Holzbaracke, die „nur“ 97 Schritte lang war, im Grunde für erkrankte deutsche Flüchtlinge gedacht. In der Stadt war die einstige „Kunicke-

Klinik“ längst als Ausweichkrankenhaus bezogen, die ab Mai 1945 die polnische Miliz in Beschlag

nahm, wo manch ein Deutscher, redlicher, unschuldiger Mensch nach unvorstellbarer Marter sterben mußte. -

Anfang 1945 kamen die ersten Flüchtlinge aus Oberschlesien, später aus Breslau, zu uns, denen ein nicht endenwollender Strom folgte! Aber über dieses Traurige möchte ich nicht weiter sprechen, ist es doch allen nur zu bekannt, sei es vielen – Gott sei Dank – auch nur durch Bilder! -

Unsere guten Landser nahmen zum Schluß alle mit, die darum baten, um sie z.B. auch bei uns z.T. Abzusetzen, und unvergeßlich bleibt mit ein liebes, schon sehr altes Großel, das , als sie es uns brachten, verängstigt frug: „sein SIE schon die Russen?“ Auch sie mußte im Zuge der Evakuierung weiter. -

Die Lazarett-Züge nahmen, sofern noch Platz, auch andere Zivilisten mit, doch keiner wußte Zeit noch Stunde. Die Sammelstelle befand sich in unserem Vorhof, wohin alle SANKA aufgeboten waren, die nur verfügbar, war es endlich so weit. Oft wurde dadurch für alle die Nacht zum Tage! Besonders beteiligt beim Ordnen waren die leitende Schwester, ein Unteroffizier und ich. Scheint`s hatte dieser früher schlechte Erfahrungen gemacht, jedenfalls trug er jetzt einen Ehering, und als ich ihn nach seiner Frau fragte, sagte er schmunzelnd: „ich bin ja noch gar nicht verheiratet, aber ich fürchtete eine neue Spekulation, doch hier kann ich getrost ohne geh`n „! Wir haben herzlich mit diesem jungen Schwaben gelacht“ -

Kuz vor dem Russen-Einzug, der am 08.05.1945 war, wurden die letzten Patienten mit einigen Schwestern nach Mittelschreiberhau ins ehemalige Eisenbahner-Erholungsheim verlegt; nur sehr schweren Herzens verließen wir das Martin-Luther-Krankenhaus! Aber, es dauerte nicht lange, und die Polen, die von dem Hause Besitz ergriffen hatten, es gleich katholisch weihten, umtauften, for-

derten das Pflegepersonal zurück. So zogen wir denn mit Leiterwagen und sehr weniger Habe nochmals durchs Gebirge hinunter ins Tal, den Inhalt des Wägelchens als - „Sarg“ getarnt! Dabei sahen wir, wie gerade Russen in Bad Warmbrunn das reichsgräflich Schaffgotsche Schloß plünder-

ten, als Vorgeschmack für das, was uns in unseren Zimmern, die wir zuvor in der früheren „Herrn-

stadt-Villa“ wohnten, geboten wurde. Unvorstellbar! Sie glich einem verwahrlosten stinkendem Stall! - Im letzten Jahre unseres Dortseins zählten wir nur noch sieben Diakonieschwestern, aber längst durften wir nicht mehr im Haupthaus arbeiten, halt nur noch in den Baracken, wo wir Russen, Polen und immer weniger Deutsche pflegten. Mäuse, Wanzen, Läuse, man hatte sich an sie gewöhnt, wie an vieles andere, was zuvor nicht denkbar gewesen wäre! -

Butter, Schmalz, Margarine gab es nie für uns, nur billige Marmelade, wie auch kein Fleisch für deutsche Kranke. Ein ganzes Jahr lang war der Briefwechsel von und zur Heimat für uns abgeschit-

ten, auch waren wir ohne Radio und Zeitungen. Aber zu gerne denke ich noch an eine sehr schöne, ungestörte Abendmahlsfeier zurück, das Dunkel der Nacht war schon hereingebrochen! -

Trotz vieler Krankheiten hielten wir durch, bis auch uns die Austreibung erfaßte, sie erfolgte am 31. 05. 1947! Am Vorabend brachten wir noch unseren dort auf dem Cunnersdorfer Friedhof ruhenden Schwestern und der lieben Frau Meybohm all unsere Blumen als letzten Gruß. -

Die polnischen Ärzte benahmen sich bis zuletzt ausnahmslos anständig gegen uns, wie wir Schwe-

stern auch bei dem polnischen Volk oft Zuneigung spürten, ja, es wurde uns sogar Essen als Dan-

keszeichen ins „Lager Hartau“ von einstigen, polnischen Patienten gebracht, bis uns nach drei Tagen Lager bei strengster Bewachung hinter Stacheldraht der Viehwagen aufnahm. Die Fahrt nach Deutschland begann!

 

 

Entnommen aus: „Schles.Bergwacht“ 1955