Kunst und Kunstgewerbe im früheren Schlesien

Charlotte Steinbrucker



Schlesien ist reich an Werken der bildenden Kunst und des Kunstgewerbes, in denen sich westeuropäische Einflüsse mit ostdeutscher Eigenart verbindet.

Aus mittelalterlicher Zeit sind eine Reihe von mächtigen, steinernen Löwen im Gebiet des Zobten erhalten, die an das dort bestehende Kloster erinnern, das später nach Breslau übersiedelte. Die bedeutendste Klosteranlage bildete das St.-Vinzenz-Kloster auf dem Elbing bei Breslau, bei dessen Abbruch zur Zeit der Türkenkriege das Portal der Kirche an die Südseite der dortigen Magdalenenkirche übertragen wurde, und außerdem ein mächtiges Würfelkapitell im Hof der Breslauer Universität erhalten blieb, bei dem sich die Beziehungen zu den Kapitellen der Klosterruine von Paulinzella feststellen lassen. Von dem zweiten Bau des Breslauer Doms des Bischofs Walter wurden einige Säulen aus den Portalen in den dritten Dombau eingefügt, und die Gestalt von Johannes dem Täufer an der Nordseite des Doms aufgestellt. Beide zeigen Anregungen durch die Kunst des deutschen Nordwesten und des östlichen Frankreich. Von den großen Klosterkirchen der Zisterzienser am Anfang des 13. Jahrhunderts lassen sich Spuren in den Bauten von Trebnitz, Heinrichsau und Rauden erkennen. Auf einem Zisterziensischen Grundriß wurde auch der Neubau des Chors des Breslauer Doms unter Bischof Thomas I. ausgeführt. Auf den Durchbruch der Gotik weisen bereits die Kirchen von Goldberg, Münsterberg, der Glogauer Dom und die Schloßkapelle in Ratibor hin. In der Ebene wurde meistens der Backstein angewandt, im Gebirge der Werkstein, und der Reichtum des letzteren führte oft zu einer Verbindung von beiden.

Rein gotische Formen erhielten dann am Ende des 13. Jahrhunderts die Begräbniskapelle der Heiligen Hedwig in Trebnitz und die zur Bestattung für die Piasten von Herzog Heinrich IV. errichtete Kreuzkirche in Breslau. Von dem plastischen Schmuck der Trebnitzer Klosterkirche ist das David- Bersabe-Tympanon von 1230 erhalten. Die um 1290 in der Breslauer Kreuzkirche errichtete Großtumba mit der liegenden Gestalt des Herzogs Heinrich IV. läßt einen Zusammenhang mit der Werkstatt des Naumburger Meisters erkennen, in den trauernden Figuren des Untersatzes mit gleichzeitigen Pariser Plastiken.

Die schlesischen Burgen dieser Zeit stehen mit ihrer durch das Gelände hervorgerufenen Auflockerung und der Gruppierung mehrerer Höfe mit dem runden Bergfried als Kernpunkt zur Verteidigung, wie bei der Bolkoburg und Gröditzburg, fränkischen, thüringischen und hessischen Burgen nahe.

Außerdem findet man, z.B. in Boberröhrsdorf und Trachenberg, den in Südwestdeutschland häufigen vierkantigen Wohnturm. Bei einfachen Wohnbauten entwickelte man aus dem mitteldeutschen Fachwerk – das Umgebindehaus.

Von der regen Bautätigkeit im 14. Jahrhundert zeugen der Weiterbau des Langhauses des Breslauer Doms, die in der Form der Basilika mit hohem schmalen Seitenschiff und niedrigeren Seitenschiffen errichtete Elisabethkirche und Maria-Magdalenen-Kirche in Breslau und die in der Art der Hallenkirche in drei gleich hohen Schiffen des querschifflosen Langhauses, z.B. St. Marienkirche auf dem Sande und die Dorotheenkirche in Breslau, die katholische Pfarrkirche in Oppeln und die Stadtpfarrkirche in Patschkau. In riesigen Ausmaßen gehalten ist die katholische Stadtpfarrkirche in Striegau, eine Basilika, die ausnahmsweise ein Querschiff zeigt. Über mäßigen Futtermauern steigt die Stadtpfarrkiche von Schweidnitz in die Höhe, deren die Stadt beherrschender Turm mit der mehrfach gebrochenen geschweiften Haube bereits der Frührenaissance angehört.

Der Einfluß der Prager Baumeisterfamilie Parler kommt in den katholischen Pfarrkirchen von Habelschwerdt, Guhrau und Glatz zum Ausdruck. Die in der letztgenannten im Fragment erhaltene Grabplatte des Bischofs Arnestus von Pardubitz ist ein bezeugtes Werk der Parler. Auch die Grabtumba des Bischofs Prczeslaus von Pogarell im Breslauer Dom weist den Einfluß der Parlerschen Figurenplastik auf. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zeigen die meisten schlesischen Plastiken, z.B. die Löwenmadonna in Hermsdorf bei Ohlau, die Großaposteln der Magdalenenkirche in Breslau, die Triumphkreuzgruppen in der Corpus-Christi-Kirche und in der Barbarakirche in Breslau, die Kalksteinpieta in der dortigen Elisabethkirche und die Schöne Madonna in derselben Stadt eine stärkere seelische Vertiefung.

Von der böhmischen Kunst beeinflußt ist auch die schles. Malerei dieser Zeit: die Glatzer Madonna aus dem früh. Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, die Dreifaltigkeitstafel des Breslauer Doms, die Wandmalerei mit der Anbetung der Könige in der Mollwitzer Kirche, die Fresken des Boberröhrsdorfer Wohnturmes mit einem Memento mori, der Großfigur des Christophorus und einer Ritterlegende sowie die Biblia pauperus der Kirche in Strehlitz am Zobten.

Von den Profanbauten sind aus gotischer Zeit meistens nur die mächtigen Türme der Rathäuser erhalten, z.B. in Neiße, Glogau und Schweidnitz. Allein bei dem schönen Breslauer Rathaus blieben bei dem späteren Zusammenschluß der verschiedenen Bauelemente der mächtige Turm, der Remter, die Ratskapelle und der spätere Fürstensaal aus dem 14. Jahrhundert erhalten. Trotz aller Ausflüsse von außerhalb zeigen die gotischen Bauten Schlesiens einen diesem Landesteil eigenen Charakter. Von den im 15. Jahrhundert infolge des Hussitensturms entstehenden großen Festungsbauwerken sind nur noch Reste in Löwenberg, Freystadt, Namslau und Patschkau vorhanden. Von der zunehmenden Verbürgerlichung der Kunst zeugt der figürliche Schmuck des im 15. Jahrhundert an das Breslauer Rathaus angebauten Südflügels. Die Innenräume werden immer weiter gestaltet, wie es die Rathaussäle in Löwenberg und Bunzlau und auf kirchlichem Gebiet die Peter-Paul-Kirche in Görlitz zeigen.

In der Plastik und Malerei wurden vielfach Nürnberger Künstler beschäftigt. Der nur durch die im Museumsbesitz befindlichen Reste erhaltene Hochaltar der Breslauer Elisabethkirche ist ein Werk des Nürnberger Malers Pleydenwurff; für dieselbe Kirche schuf der Nürnberger Jodocus Tauchen ein Sakramentshaus im Stile Adam Kraffts, und die Peter Vischersche Gießhütte führte für den Breslauer Dom die Grabtafel des Bischofs Johannes IV. Roth aus. Unter dem Einfluß des Krakauer Marienaltars von Veit Stoß wurden die Marientod-Altäre in der Corpus-Christikirche in Breslau und auf dem Bürgerchor der katholischen Pfarrkirche in Schweidnitz geschaffen. Im selben Stil gehalten sind auch die Plastiken von Beinhardt an St.Maria Magdalena in Breslau und die Goldene Maria in Görlitz von Ollmützer. Von der Entwicklung der schlesischen Malerei in jener Zeit zeugen die gemalten Tafeln des Barbara-Altars in der Barbarakirche in Breslau, die Flügel des Marienaltars in der dortigen Elisbet-Kirche, die Cranachmadonnen im dortigen und im Glogauer Dom. Belegt ist auch die Tätigkeit des Malers Hans Dürer in Schlesien.

Zu hoher Blüte gelangte die Goldschmiedekunst in gotischer Zeit. Erhalten sind neben anderen Arbeiten das Pacifikale von Liebenthal aus dem Jahre 1374, das Dorotheenreliquiar von 1430 in der Breslauer Ratskapelle und die Monstranz von 1495 in der Liebfrauenkirche in Ratibor, die von einem Neißer Goldschmied geschaffen wurde. Erhaltene Arbeiten des im 15. Jahrhundert künstlerisch hochentwickelten Bronzegusses bilden die mächtigen Taufkessel von St. Elisabeth in Breslau und Peter Paul in Liegnitz aus dem 15. Jahrhundert und die mit Metallbuchstaben und figürlichen geritzten Platten aus Messingbronze geschmückten Grabsteine im Breslauer Dom und der Klosterkirche in Leubus. Ein Beispiel des großen künstlerischen Wohlstandes ist die schöne, aus Zinn gegossene, spätgotische Innungs-Schenkkanne von 1497 einer Breslauer Innung. Bereits in den Formen der Renaissance gehalten sind das prächtige Schloß von Jacopo Pahr und die in Oels, Liegnitz, Grafenort und Carolath. Das Innerer der Kirchen wurde durch den Einbau reichgeschnitzter Emporen und prächtiger Epitaphien aus Holz und Stein bereichert, und die Flügelaltäre ersetzte man, vor allem in der Landshuter Gegend, durch feststehende Retabel mit Reliefscenen aus dem neuen Testament. Aus dem 16. Jahrhundert stammen auch die ältesten datierbaren Schrotholzkirchen in Oberschlesien, die vielfach einen nach oben sich verjüngenden Glockenturm, einen Gebäude umziehenden Umgang oder ein auf Knaggen ruhendes Flugdach und häufig reiche Deckenmalereien haben. Ihr Grundriß erhielt vielfach, z.B. bei der Wallfahrtskirche St.Anna bei Rosenberg, eine barocke Bereicherung. Ein Beispiel einheitlicher Renaissancebauweise bildet der Untermarkt in Görlitz mit der schönen Rathaustreppe, dem Archivbau, der Stadtwaage, der Apotheke und dem Schönhof. Die Dekoration der Rathäuser, z.B. in Löwenberg und Prausnitz, wurde bereichert, die Stadttribühne, unter ihnen der Breslauer Torturm in Neiße, mit einem prächtigen attikaartigen Aufsatz versehen, und Bürgerhäuser zuweilen, wie in Brieg, mit Zinnenbewehrung versehen. Westeuropäische Einflüsse überwiegen noch bei Gerhard von Amsterdams Kanzel der Oelser Schloßkirche, der Stadtwaage in Neiße und beim Innenausbau des Carolather Schlosses von 1616.

Eine rege Tätigkeit fand auf allen Gebieten des Kunstgewerbes statt. Meisterwerke sind der Silber-Altar des Peter Nisch im Breslauer Dom und der Hochzeitsbecher des Herzogs Georg Friedrich von Brieg. In Löwenberg läßt sich seit 1547 eine Töpferinnung nachweisen, und großen Ruhm erwarb ein Neißer Meister mit seinen großen, in leuchtenden Glasurfarben bemalten Schüsseln. Eine gesuchte Farbengebung zeichnete die schlesische Malerei des 16. Jahrhunderts aus.

Im 17. Jahrhundert überwiegt der italienische Einfluß beim Wallensteinbau des Schlosses Sagan, dem Schloß der Familie Colonna, den Schlössern Wölfelsdorf und Buchenhöh und dem Gartenhaus im Park des Schlosses Grafenort. Von römischen Vorbildern gingen die Jesuiten bei ihren Bauten aus, z.B. ihrer Kirche in Neiße und der Matthiaskirche in Breslau. Die Letztere wurde später von Christoph Tausch, einem Schüler des italienischen Dekorationsarchitekten, reich mit Bildplastik ausgestattet und von dem bayerischen Maler Rottmayer mit einem riesigen Deckenfresko ausgestattet. Am Ausgang des 17. Jahrhunderts errichtete der Italiener Scianzi im Auftrag des Breslauer Domkapitels einen fast römisch wirkenden Zentralbau am Ostchor des Breslauer Domes, der Elisabethkapelle, die im Innern durch Ercole Ferrate mit dem Grabmal des Bischofs Friedrich von Hessen und plastischem Schmuck am Altar ausgestattet wurde. Baueifrige Äbte ließen auch die mittelalterlichen Kloster gebäude in Heinrichau, Rauden, Leubus, Grüssau und Himmelwitz abreißen und durch Neubauten ersetzten. In dem wie ein großartiges Schloß wirkenden Kloster Leubus wurde das Sommerrefektorium mit dem großen Deckenfresko von Scheffler und der Fürstensaal mit den Bildwerken von Mangold und dem Deckengemälde von Bentum ausgestattet. Reich eingerichtet wurden die berühmte Aula Leopoldina, der Musiksaal und die Apotheke des Kollegiengebäudes der Breslauer Jesuiten, der späteren Friedrich-Wilhelms-Universität, und reich gegliedert wurde der Außenbau mit dem dreigeteilten Portal, dem astronomischen Turm und dem sinnigen Figurenschmuck des Bildhauers Sigwitz.

Ließ man die mittelalterlichen Kirchen bestehen, dann versäumte man es nicht, sie zu barockisieren.

So wurde die katholische Kirche in Glatz durch Carove umgestaltet, in Oberglogau durch Sebastini, einem der größten Dekorateure Schlesiens, und die Augustinerkirche in Sagan durch Martin Frantz.

Die mittelalterlichen Kirchen in Leubus und Heinrichau erhielten als Schmuck imposante Gemälde von der Hand des großen Malers Michael Willmanns und prunkvolle Altäre. Niederländische und italienische Schuleinflüsse verbinden sich in den Fresken der Josephskirche in Grüssau, der Benediktus- und Bernharduskapellen in Leubus und den großen Oelgemälden mit dem Apostelmartyrium im Langhaus der dortigen Klosterkirche.

Neu erbaut wurden am Anfang des 18. Jahrhunderts die Klöster in Grüssa und Wahlstatt. Joseph Anton Jentsch errichtete in Grüssau einen der schönsten schlesischen Kirchenbauten mit einer zwei-türmigen, zum Himmel strebenden Fassade und einem weiten Innenraum mit Querschiff. Diese Kirche zeigt den Einfluß des großen Prager Barockbaumeister Kilian Ignaz Dientzenhofer, ebenso auch die von Martin Frantz erbaute Johanneskirche in Liegnitz und die katholische Pfarrkirche in Seitsch. Dientzenhofer selbst errichtete im Auftrag des Abtes von Braunau in Böhmen an der Stelle, an der 1241 Herzog Heinrich II. In der Mongolenschlacht sein Leben ließ, das Benediktinerkloster in Wahlstatt, dessen Mittelpunkt die Kirche mit der zweitürmigen Fassade bildet, die von dem Prager Bildhauer Hiernle und dem bayerischen Freskomaler Cosmas Damian Asam prächtig ausgestattet wurde. In Breslau errichtete der Wiener Barockarchitekt Fischer von Erlach im Auftrag des Fürstbischofs Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg am nördlichen Seitenschiff des Doms eine zweite Begräbniskapelle, die Kurfürstenkapelle, die von dem Wiener Maler Carlo Carlone mit Fresken und von dem Prager Bildhauer Procoff, der auch den Fassadenschmuck der Grüssauer Marienkirche geschaffen hatte, mit Plastiken ausgeschmückt wurde. Der Wiener Architekt Lucas von Hildebrand schuf das leider schon im 19. Jahrhundert abgerissene Palais Schreyvogel in Breslau. Reichen Barockschmuck im Innern zeigen auch die in Fachwerk erbauten Friedenskirchen in Schweidnitz und Jauer und zahlreiche Grenzkirchen, z.B. in Hochkirch bei Liegnitz, Harpersdorf, Pilgramsdorf, und Probsthain. Einfach im Äußeren, jedoch barock im Innern ausgestattet wurden auch die Bethäuser der friderizianischen Zeit und die im 18. Jahrhundert erbauten Gnadenkirchen, von denen die bedeutendsten von Martin Frantz in Hirschberg und Landeshut erbaut wurden.

Auf Anregung Friedrichs des Großen wurde der Rokokostil nach Schlesien verbreitet und fand bald Anwendung im Websky-Schlößchen in Breslau, dem Neubau des Schlosses Goschütz und auch im Friedrichssaal des Schlosses Breslau-Lissa. Der Rokokostil wurde durch den Klassizismus abgelöst, wie er in den Bauten von C. G. Langhans, Schultze, Geißler, Leisser, sowie dem Schlosse Camenz und der Erdmannsdorfer Kirche von Schinkel und auch in den oberschlesischen Bauten von Krause zum Ausdruck kam. Ein neuer Formwille wurde auch in den Leistungen der nach der Mitte des 18. Jahrhunderts gegründeten Proskauer und Glienitzer Fayencefabriken und des Gleiwitzer Eisenkunstgusses erkennbar.

Große Fortschritte machte auch der Zweckbau und führte zu fortschrittlichen Leistungen in dem Breslauer Wasserhebewerk, der großen Halle mit Eisenkonstruktion des Breslauer Hauptbahnhofs, Mendelssohns Kaufhaus Petersdorff und dem Postscheckamt in Breslau, sowie dem Sportfeld von Richard Konwiarz. Große Anregungen auf baukünstlerischem Gebiet gab auch Hans Peolzig, der das Ausstellungsgebäude in Scheitnig und für die Jahrhunderthalle von Berg die schöne Umrahmung mit Pergola schuf. Für die Weiterentwicklung von Malerei, Plastik und Kunstgewerbe setzte sich nicht nur die Breslauer Kunstakademie, sondern auch die dortige Kunstgewerbeschule, die Holzschnitzschule in Warmbrunn und die Keramische Fachschule in Bunzlau ein, und so haben begabte schlesische Künstler über die Grenzen ihrer engeren Heimat Beachtung gefunden und sich um die Entfaltung der modernen deutschen Kunst verdient gemacht.


Abschrift aus „Schles.Bergwacht“ 1955