Im Tragstuhl über das schlesische Gebirge

von Otto Zimmermann



Heute nahm ich wieder einmal ein altes Büchlein zur Hand, ein Meyersches Reisebuch aus dem Jahre 1902. Ich habe es in meiner neuen Heimat geschenkt bekommen, und der es mir schenkte, wollte mir einen Liebesdienst damit erweisen, was ihm auch voll und ganz gelungen ist. Immer, wenn mich das Heimweh nach unserem lieben Schlesien und seinen Bergen packte, holte ich das kleine rote Bändchen hervor. Und da das oft der Fall ist, ist mir das Büchlein bereits zu einem lieben Kameraden geworden. Behutsam entfalte ich jedesmal seine Karten und Pläne und wandere in Gedanken noch einmal all die vertrauten Wege, auf denen sich mir einst die schlesische Heimat erschloß.

Im Augenblick liegt eine Karte der Grafschaft Glatz vor mir. Dabei fällt mir ein, daß es faßt 50 Jahre her ist, seit ich mit meinen Eltern meine erste Gebirgswanderung unternahm. Sie führte von Reichenstein durch das Schlackental über Rosenkranz nach Landeck, von dort weiter nach Krautenwalde und durch den Krebsgrund nach Jauernig.

Ich war damals noch sehr klein, deshalb kann ich mich auch nur noch an weniges erinnern. Haften geblieben sind eigentlich nur drei starke Eindrücke: In Rosenkranz hatte meine Mutter Angst, weil die Tür des Raumes, in dem wir übernachteten, kein Schloß hatte. Vor Jauernig trafen wir im Walde einen Landauer, in dem Bekannte saßen. Sie nahmen mich mit auf den Wagen, weil meine kleinen Füße, des Marschierens ungewohnt, schlapp machen wollten. Mein stärkstes Erlebnis aber haftet am Krebsgrund. Dort spielte in einem Gartenlokal eine österreichische Militärkapelle, das Gebiet gehörte ja damals noch zu Österreich. Es war aber durchaus nicht die Musik, die mich in ihren Bann zog. Das darf ein Verkaufsstand für sich in Anspruch nehmen, an dem Mohrenköpfe feilgeboten wurden, drei Stück für einen Zehner. Mein Vater schenkte mir einen Zehner. Aber welch eine Enttäuschung! Da ich keinen Heller-Zehner, sondern nur einen Pfennig-Zehner hatte, bekam ich nur zwei Mohrenköpfe.

Heute sage ich immerhin: Was waren das doch noch für Zeiten! Zwei Mohrenköpfe für einen Zehner! Nun, lassen wir uns doch einmal von meinem Büchlein berichten, was man damals überhaupt als Besucher der Berge für sein Geld haben konnte. Mein Büchlein stammt ja aus der Zeit, in die ich hineingeboren wurde.

Preise der einfachen Gasthäuser: Zimmer 1 bis 2 Mark, Kaffee mit Brot 0,50 Pfg., Mittagessen ohne Getränk 75 Pfg. bis 1,50 Mark, Abendessen 60 Pfg. Bis 1.- Mark. Diese Preise muß man auch in den Bauden bezahlt haben, denn die Peterbaude (1288m) verlangte pro Übernachtung und Bett 1,50 Mark. 2.- Mark kostete die Übernachtung in der noch höher gelegenen Prinz-Heinrich-Baude. (1420m).

Doch es waren ja nicht nur einfache Touristen, die das Gebirge besuchten, es kamen auch Ausflügler, die alle bequemen Verkehrsmittel benutzten, stets Führer und Träger zur Seite hatten und in den ersten Gasthöfen wohnten. Für Einspänner zahlte man für ½ Tag 5-6 Mark, für einen Tag 10.- Mark, dazu Trinkgeld. Der Zweispänner kostete den doppelten Preis. Auf der Kammhöhe gibt es keine Fahrzeuge. Wen seine Beine nicht tragen, der lasse sich tragen. In Dörfern, in denen Führer ihren Standort haben, findet man Tragstühle, mit je zwei Trägern. Taxe für jeden Träger pro Tag 6 Mark. Bis zur Schneekoppe und zu anderen viel besuchten Punkten führten Reitwege. Ein Pferd mit Führer kostet für jeden Tag 9 Mark. Trinkgeld nach Belieben. Wer eines Führers bedarf, der sein Reisegepäck tragen soll, hat pro Tag 3 bis 5 Mark zu entrichten.

Wer das Gebirge nicht erwandern wollte oder konnte, mietete sich fest ein. Pensionen gab es genug. Die Pension Hochstein in Nieder-Schreiberhau bietet in meinem Büchlein Zimmer mit voller Verpflegung für 4 bis 4,50 Mark an. Das Kurhaus Schwarzbach im Isergebirge empfielt sich für die Zeit vor und nach der Saison zu einem Pensionspreis von 25.- Mark.

Ist es nicht köstlich, mein Büchlein? Ich möchte es nicht mehr misssen. Mit seinen 274 Seiten Text, 13 Karten , 3 Plänen und 2 Panoramen schlägt es mir jederzeit eine Brücke in die Heimat. Es versetzt mich in glückliche Tage zurück und die Jugend steht wieder lebendig vor mir.


Entnommen aus „Schles.Bergwacht“ SB58/N24/S382