Heimatglocken

Walter Finke



Schon oft ist über unsere heimatlichen Glocken geschrieben worden, welche nicht nur unseren Tageslauf daheim begleiteten, sondern darüber hinaus an besonderen Stationen unseres Lebensweges ihre ehernen Stimmen vom Turm ertönen ließen. Wie froh erklangen sie an Festtagen über Dörfer und Städte! Und wie mahnten sie gar eindringlich an die Vergänglichkeit alles Menschlichen, wenn ein Entschlafener zu Grabe getragen ward.

Auf nebenstehendem Bild grüßt uns der Glockenturm von Tschischdorf als ein lieber, guter Bekannter und Bote aus längst vergangener Zeit. Was könnten die altersgrauen Steine wohl berichten, wenn sie reden könnten! Doch verschwindet leider die Geschichte der einstigen Kirche, deren Überrest der Glockenturm darstellt, völlig im Dunkel. Meinen Landsleuten, insbesondere den älteren, mögen beim Anblick dieser Stätte alte Erinnerungen neu vor dem inneren Auge erstehen, wurde doch mancher ihrer Lieben durch diese Pforte getragen. Und wer erinnert sich nicht des Pilgerzuges am Totensonntag eines jeden Jahres, wenn die Gräber unserer Angehörigen im herbstlichen Schmucke prangten! Schon als Kind in den frühesten Jahren umfing mich der Hauch des Friedens, den wir auf dieser Erde nicht finden, wenn ich an dem Grabe meiner Urgroßmutter stand, welches über und über mit Immer-

grün bewachsen war. Immer wieder zog es mich zu dieser Stätte hin, der ich damals freilich nicht ahnte, wie nahe Tod und Leben nebeneinander stehen.

Ja, und die Glocken! Sie hatte ich ganz besonders in mein Herz geschlossen, schon deshalb, weil sie sehr alt waren, und ich von den Eltern wußte, daß sie nach dem 1. Weltkrieg eine feierliche Heimkehr gefeiert hatten, nachdem man sie zum Einschmelzen fortgeholt hatte. Wer besitzt wohl noch das Photo, Welches den Wagen mit den mit Eichengirlanden geschmückten Glocken zeigt?

Wie oft grüßte mich ihr Klang, wenn ich auf dem Wege nach Langenau, dem späteren Wohnort meiner Eltern, auf dem „Kreuze“ verweilte. Hier stand neben dem alten Sühnekreuz eine Ruhebank des RGV, und man hatte ungehinderten Blick in die Bergwelt des Bober-Katzbach-Gebirges, während von fern die majestätische Gebirgswand des Riesengebirges herübergrüßte.

Im Folgenden wollen wir uns etwas näher mit dem Wesen und der Herkunft unserer Glocken befassen.

Auf dem Tschischdorfer Glockenturm hingen drei Glocken:


Die große Glocke war an der Haube durch einen vortrefflich gearbeiteten Fries geschmückt, welcher eine Landschaft mit Hetzjagd zeigte. Darunter war Christus am Kreuz dargestellt. In großen lataini-schen Buchstaben konnte man die Inschrift lesen:

alles was odem hat lobe den herrn halleluja

lobet den herrn mit cimbaln lobet ihn mit wohlklingenden cimbaln.

Unter den Kreuzarmen standen die Wappen derer von Zedlitz und derer von Falkenhein.

Auf der dem Kreuz entgegengesetzten Seite des Mittelfeldes stand die Widmungsschrift der Glocke:


anno 1592

hat die edle und ehren tugend

reiche frau ursula geb falkenhein

regierende frau zu bartelsdorf sambt

ihrem herrn sohn ein erben der

herrschaft heinrich von zedlitz auf

anhalten der gemeinde von tschischdorf

diese drei glocken gott zum lobe

gießen lassen.


Die Mittelglocke weist dieselben Merkmale auf, sie trägt lediglich noch die Inschrift in großen Lateinischen Buchstaben:

ruf mich an in zeit der not spricht der herr

so will ich dich erretten.


Die kleine Glocke ist mit einem Fries von Akanthusblättern versehen, darunter die Legende:


verbum domini manet in aeternum gott gebiert allein die ehr.


Wie wir ersehen können, besaß Tschischdorf mit die ältesten Glocken im Kreisgebiet.

Seit dem 6. Jahrh. werden Glocken urkundlich zuerst erwähnt. Seit dem 7. Jahrh. führen sie den noch gebräuchlichen Namen „campana“. Dieser Name soll ihnen geworden sein, weil zu Nola in Campanien , begründet durch das Vorkommen reicher und reiner Kupfererze, sehr früh die Glockengießerei blühte. In Deutschland sind im 8. Jahrh. Glocken hin und wieder in Kirchen und Klöstern in Gebrauch. Im 9. Jahrh. erst kommen sie allgemein vor. Schon unter Karl dem Großen befand sich zu Aachen eine Glockengießerei unter dem Meister Tancho von St.Gallen. Ihren Höhepunkt erreicht die Glockengießerei Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh., aus welcher Zeit nicht nur die meisten, sondern auch die größten Glocken stammen.

Das Material der Glocken war und ist ein verschiedenes. Bis ins 8. Jahrh. nietete man sie zumeist aus Eisenblech zusammen, selten goß man sie aus Bronze. Vom 8. Jahrh. an kamen nur gegossene Bronzeglocken zur Verwendung, die dann in neuerer Zeit durch Stahl abgelöst wurden.

Die Bronze, welche man zum Glockenguß verwendete, bestand im allgemeinen aus einer Mischung von 78 Teilen Kupfer und 22 Teilen Zinn. Der Zinngehalt variierte indes manchmal so bedeutend, daß er bis zu 40 Prozent erreichte. Beimischungen anderer Metalle verschlechtert den Ton, deshalb fügte man zuweilen der geringeren Kosten halber Blei oder Zink hinzu. Daß man früher dem Glo-ckengute oder der Glockenspeise, wie die Legierung genannt wird, Silber zusetzte, um den Ton zu verbessern, ist durch Untersuchungen nicht bestätigt. Reines Silber gibt allerdings einen schönen Klang, kam aber wegen des Kostenpunktes nur für die Herstellung kleinerer, für bestimmte Zwecke bestimmter Glocken in Frage.

Was die Größe der Glocken anbelangt, so sind die Ältesten klein. Erst im 11. Jahrh. wurden sie größer und nahmen bis zum 15. Jahrh. zu an Größe und Gewicht. Reiche Kirchen wetteiferten miteinander in Bezug auf die Größe der Glocken. So hatte beispielsweise die Glocke des mittleren Domturmes zu Ölmütz ein Gewicht von 17 900 Kilogramm und die große Glocke im Stephansdom zu Wien ein Gewicht von 17 700 Kilogramm. Die berühmte Kaiserglocke im Kölner Dom, welche in der neueren Zeit entstand, hatte solch ein Gewicht, daß man beim Läuten derselben nur den Klöppel bewegen konnte, da im anderen Falle schwere Schäden für den Turm befürchtet wurden.

Die Gestalt der Glocke war sehr schwankend; bald bienenkorbförmig, bald trichterförmig, bald zylindrisch, bis man nach vielen Versuchen in der letzten Häfte des 13. Jahrh. die noch heute übliche Form als die geeignetste gefunden hatte. Man nennt sie die gotische Form.

Die Glocke unterteilt man wie folgt:

der unterste, Schlagring genannt, hat die größte Weite und Höhe, größte Stärke, weil er die An-schlagfläche für den Klöppel bildet. An den Schlagring schließt sich nach oben die Schweifung an, die allmählich in das Mittelfeld übergeht. Darüber befindet sich der Hals, der oben durch die Haube geschlossen wird. Die Krone oder der Helm besteht aus einem auf der Haube befindlichen Kugelförmigen Zapfen und gewönhlich sechs Oehren oder Henkeln, die mittelst eiserner Binder mit dem Glockenbalken, auch Joch genannt, verbunden wird. Der Zapfen, an welchem der Klöppel befestigt wird, geht durch die Mitte der Haube und wird gleich mit eingegossen.

Die Glocken sind, mit Ausnahme der Ältesten, in der Regel mit Verzierungen versehen, welche an der äußeren Fläche des Schlagringes, des Mittelfeldes und des Halses angebracht sind. Seit dem 15. Jahrh. bestehen diese Verzierungen aus Darstellungen aus der Heiligen Schrift, Jagdszenen usw.

Ab 17. und 18. Jahrh. findet man meist Ranken und Blätterwerk oder Früchte.

Als Schriftzeichen war bis ins 11. Jahrh. die römische Majuskel im Gebrauch. Ihr folgte bis ins 13. Jahrh. ein Gemisch von römischen und gotischen Majuskeln. Ab 14. Jahrh. wurde es üblich, die Inschriften in runden (gebogenen) Minuskeln, der sogenannten Mönchsschrift auszuführen. Im Beginn des 16. Jahrh. fängt man an bei der Inschrift große lateinische Buchstaben zu gebrauchen. Die Minuskel verschwindet nach der Mitte des 16.Jahrh. ganz. Vom 17. Jahrh. an findet man, wenn auch selten, deutsche Schriftzeichen (Fraktur oder Druckschrift).

Wie die Verzierungen der Glocke ein schönes Gewand geben, so ist für sie nicht weniger wichtig der Text der Inschriften. Er bezieht sich entweder auf die Bestimmung der Glocke, oder es sind Gebetsformen, , z.B. ave maria gratia plena – oder auch Bibelsprüche wie: verbum domini manet in aeternum. Desgleichen enthalten sie Angaben über die Zeit der Herstellung, die Namen der Stifter sowie der Kirchen- u.Gemeindevorstände und der Gießer.

Nicht selten gibt die Inschrift Kunde von besonderen Begebenheiten in der damaligen Zeit, so zeigte eine Glocke in der Martinskirche in Siegen folgende Inschrift:

Johann von Duren gosse mich in dem

Jahr 1491 da dort Korn in Siegen

galt sechs gylden un vier wissen penike.

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Auf einer Glocke in Schedlau O/S aus dem 16. Jahrh. stand:


Der libe got steh uns bei wider alle calvinisterei.

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Die Glocke der Kirche in Langwasser, Krs.Löwenberg, bekundet mit ihrer Inschrift folgendes:


bei dem lauten während des bittgan-

ges um die feldfluren den 21. mai

1816 zersprang ich.

joseph gottlieb eckert in lauban goß

mich den 23 october 1816.

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Die große Glocke im Turm der Kirche zu Neuen, Krs.Bunzlau, erwähnt, daß „ anno 1611 diese Glocken frau sabine geb. nostitz zum ersten mal gelaeutet worden ist zum begraebnisse“.

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Die Glocke zu Giehren trägt außer dem Schaffgott`schen Wappen die Inschrift:


hoere loeser meinen klang

sage gott lob ehre dank,


sowie folgende Namen:

H.Caspar Frantz Thienst Pfarr PF

H.Augustin Robertus Brendel Amtsactuar

H.Gottfried Knoerich Richter und Kirchvater

Gottfried Joseph Kirchvater

Hans Christoph Palm Schulmeister.


Um den Schlagring steht:


Johann Ehrenfried Siefert in Hirschberg goß mich anno 1751.

Auf der Mittelglocke sehen wir die Namen:


hans georg söhnel bergrichter

melchior dreßler richter in querbach

jeremias felgenhauer richter in krobsdorf

christian maetzig ger.scholz in

christ, seibt ger.scholz in regensberg.


Der Bergrichter war der Richter in dem kleinen Dorfe Greiffenthal oberhalb Giehren. Das Dorf hieß früher auch die Bergfreiheit, weil die Bergleute, welche das Dorf gründeten, die Abgabefreiheit und andere Gerechtsame genossen. Im nahen Giehren wurde im 16. und 17.Jahrh. Bergbau auf Zinnerze getrieben.

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Die Mittelglocke zu Kunzendorf a. k. B. (Kunzendorf gräfl.) trägt die Inschrift:


o mensch eil zu gottes wort bedenket

das end gewis komt der tod zum lobe

gotes bin ich gosen,

darunter in gr.lateinischen Buchstaben:

im 1602 jar

haben die gemein kunzen und plun*

dorf diese glocke gezeget

hans feist scholz zu ku

matz sammler zu plu

jerge kromer merten dein

er kirchveter.


Die kleine Glocke, etwa 0,6 Meter hoch, von der ältesten Form, hatte keine Inschrift. Sie soll aus der in längst vergangener Zeit in dem Forste zwischen Kunzendorf und Querbach vorhanden gewesenen Einsiedelei, Kapelle zu St.Wolfgang, stammen. Diese Einsiedelei, deren Vorhandensein durch das Auffinden von Pflaster- und Mauersteienen beim Roden des Waldes bestätigt wurde, war ein Wallfahrtsort für die Bewohner der Umgegend. So lautete die Sage.

Recht interessant ist die Inschrift der großen Glocke von Sirgwitz, Krs.Löwenberg, deren großen Glocken die Jahreszahl 1719 ergeben:


Con Cinno onItv tIbI fVnDo nVMen

honores.

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Die kleine Glocke des Kirchleins zu Straupitz, Krs.Hirschberg, gibt den Hinweis, daß einstmals auch in Giersdorf Glocken gegossen wurden. Die Inschrift lautet:


zur ehre gottes gegossen ward zu giersdorf

im jahr MDCLIX

fusa a donato schroettero.


Viele der Glocken unserer Heimatkreise Hirschberg/Löwenberg wurden von dem Glockengießer Johann Georg Siefert in Hirschberg gegossen, wie aus den Inschriften auf Glocken in Crummöls („durchs Feuer floß ich, Johann Georg Siefert in Hirschberg gos mich.“), Giehren, Görisseifen, Hennersdorf, Langwasser, Mauer a.B., Klein Röhrsdorf, Schoosdorf und Spiller hervorgeht. Ferner werden als Glockengießer genannt:


hans pamperger in schweidnitz“ (1601)

christian friedrich siefert“ (1706)


Entnommen aus: „Schles. Bergwacht“ 1955



Nachtrag


Vor kurzem suchte ich die St. Michael-Kirche zu Recklinghausen- Süd auf, um die dort hängende Glocke aus Kunzendorf zu besichtigen. Es trifft nicht zu, daß diese Glocke aus Kunzendorf gräfl.(Krs.Löwenberg) stammt, wie mir aus Hamburg mitgeteilt wurde. Es steht lediglich fest, daß diese Glocke aus irgendeinem schlesischen Kunzendorf stammt; die Kirche hieß St. Katharina. Die Glocke stammt aus dem Jahr 179?; sie weist an der Haube eine deutsch-lateinische Inschrift auf, die ich nicht entziffern konnte, trotzdem ich infolge fehlender Leitern im Gerüst herumgeklettert bin. Die Glocke hängt völlig dunkel und unzugänglich.

Bezüglich der Kunzendorf gräfl. Glocken kann ich folgendes mitteilen: Im Jahre 1880 brannte die Kunzendorfer Kirche ab und mit ihr sämtliche drei Glocken (davon die eine der St. Wolfgang-Kapelle von Giehren). Nach Mitteilung von Herrn Erzpriester L. Faustmann, früh. Friedeberg/Queis, wurden daraufhin drei neue Glocken angeschafft, welche allerdings schlecht im Klang waren, weil zum Guß Denkmalsgut, nicht Glockengut, verwendet worden war. Zwei von den Glocken wurden im ersten Weltkreig eingeschmolzen, Die noch verbliebene Läuteglocke wurde dann im zweiten Weltkriege gegen die Reibnitzer Jubiläumsglocke (1442) – letztere sollte abgeliefert werden – eingetauscht. So ist die Reibnitzer Glocke erhalten geblieben, wogegen von Kunzendorf keine mehr erhalten ist.


W. Finke