Erinnerung an das Dorado der Segelflieger im Riesengebirge.

von P.H. (1956)



Zehn Jahre sind vergangen, daß wir unseren lieben Heimatort Grunau im Riesengebirge, geschunden und gequält an Leib und Seele, verlassen mußten. Voll Trauer im Herzen wurden wir in das Lager in Hirschberg eingewiesen, mit bangen Erwartungen auf das Kommende, sahen wir der dunklen Zukunft entgegen.

Die Erinnerung an die liebe Heimat tritt an manchen Tagen besonders stark hervor, denn sie war nicht nur schön sondern auch durch die Segelflugschule weit und breit ein Begriff, und das für jeden Segelflieger im besonderen. Die Segelflugschule in Grunau besaß Weltruf. Aus allen Ländern der Erde eilten junge Männer herbei, die das Wunder des motorlosen Fluges studieren wollten.

Wie kam nun Grunau zu einer Segelflugschule, wie fing es an, wie endete es? Es war wohl im Winter 1922/23, die Inflation unseligen Gedenkens, beunruhigte alle Gemüter. Da tauchte im Ort ein Gerücht auf und es ging von Haus zu Haus: Hast Du schon gehört, auf unseren Bergen will man Segelfliegen? Segelfliegen, was ist denn das? Kein Mensch hatte je davon gehört, man glaubte an einen Ulk. Zumal dem deutschen Volk das Fliegen verboten war. Doch das Getuschel hörte nicht auf, einige wußten sogar zu erzählen, daß schon zwei junge Kerle gekommen wären, einer mit blondem, der andere mit schwarzem Haar, sie bauten schon an einem Segelflugzeug. Sie sollten beim Heinke-Bauer in einem Schuppen eine kleine Werkstatt haben, aber es sollten ganz arme Kerle sein, die sich meist von Brot und Milch ernährten. Kein Wunder, daß man ihnen zunächst wenig Vertrauen entgegenbrachte, und so blieb es nicht aus, daß, als einem Bauern eine Gans abhanden gekommen war, diese beiden verdächtigt wurden und man den Wachtmeister zu ihnen schickte. Aber diese Verdächtigung fiel bald ins Wasser, denn diese beiden Menschen waren alles andere als unehrlich. Sie waren von einem Idealismus beseelt, Segelflugzeuge zu bauen und damit auf unseren Bergen zu fliegen. Bald wußten wir auch ihre Namen, sie waren Espenlaub und Schneider, doch diese Namen sagten uns zur Zeit noch wenig. Bald sollte das Mißtrauen ihnen gegenüber in Bewunderung umschlagen. Eines Tages wurde bekannt, daß der erste Flug stattfinden sollte. Die ersten Flüge stiegen vom Lämmerberg, welcher auf der Südseite steil abfällt. Es war für die Grunauer ein Ereignis ersten Ranges. Ein Mann wollte mit einem motorlosen Flugzeug fliegen. Wer Zeit hatte, war natürlich dabei. Doch wem der Aufstieg zum Lämmerberg zu beschwerlich war, guckte von unten dem Schauspiel zu. Mit großer Geduld mußte man sich schon wappnen, denn es dauerte lange, bevor der erste Flug vonstatten ging. Doch dann ein Schrei: „Er fliegt!“, und ruhig im Gleitflug kam das Flugzeug zu Tal. Die ersten Probeflüge dauerten zwar nur Sekunden, aber sie waren geglückt und den tapferen Fliegern zollte jeder Bewunderung.

Der Lämmerberg ließ nur Flüge am Südhang zu. darum wurden die ersten Flüge vom weiter östlich gelegenen Galgenberg durchgeführt. Dieser Berg war ideal für Segelflug geeignet, denn man konnte nach Osten, Süden und Norden starten. Zwar standen den beiden Pionieren des Segelflugsportes in den ersten Jahren wenig Mittel zur Verfügung, doch war es gelungen, am Weg zum oberen Friedhof eine Werkhalle zu erstellen, in welcher nun Espenlaub und Schneider ungestört ihre Pläne zur Weiterentwicklung des Segelflugsportes betreiben konnten.

Die Einweihung dieser Werkhalle wurde ein Festakt für die Interessenten und Förderer des Segelflugsportes. Ansprachen von prominenten Persönlichkeiten des Verbandes deutscher Flieger , Breslau, der Kreisverwaltung Hirschberg, der Amts-und Gemeindeverwaltung Grunau u.a.m. hoben den Wert des Segelflugsportes für die Jugend geziemend hervor. Umrahmt wurde die Feier durch Gesangsvorträge des MGV. Grunau und von der Jägerkapelle unter der bewährten Führung des beliebten Stabsmusikmeisters Markscheffel, Hirschberg.

Es folgte die Gründung der „Klubschule für Segelflugsport Grunau“. Der erste Leiter der Klubschule war der Polizeihauptwachtmeister Schwede von der Luftaufsichtsbehörde Breslau. Unter seiner Leitung entwickelte sich die Klubschule, welche die erste für Segelflugsport in Deutschland war, in ungeahnter Weise. Aus der Fabrik, welche Schneider aus kleinsten Anfängen aufgebaut hatte, kamen immer bessere Segelflugmaschinen, so „ESS“, „Motza-Gothl, „Grunau Baby“ u.a. Die letztere „Grunau Baby“, wird heute wieder gerne geflogen; es ist eine schnittige Hochleistungsmaschine. Viele von den in Grunau entwickelten und von der Segelflugzeugfabrik Edmund Schneider gebauten Segelflugzeuge wurden auch ins Ausland geliefert.

Kein Wunder, daß mit diesen Hochleistungsmaschinen und der glänzenden Thermik am Galgenberg wirkliche fliegerische Glanzleistungen erzielt wurden. Im Jahre 1928 gelang ein Flug über den Riesengebirgskamm, und am 21. und 22. Juli 1928 startete Segelflieger Andresen erstmalig mit seinem Segelflugzeug auf der Schneekoppe, Er kam wohlbehalten in Wolfshau zur Landung. Segelflugzeuge, vom Hirschberger Motorschlepp hochgezogen, oder vom Galgenberg gestartet, die unter Ausnutzung des guten Auftriebes durch die „Motzagotel“, jener dem Hirschberger Tal eigentümlichen langestreckten Wetterwolke, schnell in große Höhen gelangten, überflogen die Schneekoppe und segelten in Kehren oft lange über den Riesengebirgskamm. Alljährlich wurden in der Pfingstwoche Wettbewerbe veranstaltet, an welchen Segelflieger von der Wasserkuppe in der Rhön und Rositten teilnahmen. Weltrekorde von 4 000 bis 5 000 Meter Flughöhe und Langstreckenflüge von ca. 100 km wurden dabei erreicht. Etliche Male fiel der große Vehring-Preis nach Schlesien. Journalisten und Rundfunkreporter eilten herbei, um das Wunder des motorlosen Fluges zu studieren und die rapiden Fortschritte zu verfolgen. Bei dem Flug über den Riesengebirgskamm war der unvergessene Ferdinand Schulz aus Ostpreußen dabei. Er landete damals in einer Hochspannungsleitung am Ziel, ohne Schaden davonzutragen. Leider ist er später in seiner Heimat tötlich abgestürzt.

Anfang der dreißiger Jahre wurde die Klubschule zur Reichsschule für Segelflugsport erhoben. Als Leiter wurde Kapitän Becker bestellt, welcher den organisatorischen Aufbau der Reichsschule übernahm und durchführte. Es entstand ein imposantes Verwaltungsgebäude mit aufs modernste ausgerüsteten Werkstatträumen. Gegenüber der Verwaltung wurden Unterkunfts-und Schulungs-Räume erbaut, ein schöner Schmuckplatz davor wurde angelegt. Diese Gebäude lagen am Anfang des Weges zum Galgenberg, also im Dorfe selbst. Auf dem Galgenberg wurden wurden große Hallen zum Unterstellen der Schulungs- und Hochleistungsflugzeuge errichtet. Für die Luftaufsicht wurde ein Beobachtungsturm und für die Sanitätsabteilung ein Verbandsraum gebaut. Schließlich errichtete man noch die kleine aber recht gemütliche Galgenvogelbaude. Letztere war recht nötig für die vielen Besucher der Flugschule. Viele tausende Besucher waren entzückt über die herrliche Aussicht vom Fliegerberg. Zu Füßen lag das Hirschberger Tal mit der Kreisstadt Hirschberg. Im Hintergrund die hohen Gebirgszüge des Isergebirges, des Riesengebirges mit der 1605 m hohen Schneekoppe, der Schmiedeberger Kamm und als Abschluß die Waldenburger Berge, ein wahrhaft bezauberndes Panorama. Von der Gemeinde Grunau wurde ein Fußweg nach dem Fliegerberg gebaut. Eine Bank, von der Ortsgruppe des Riesengebirgsvereins in halber Höhe des Aufstieges zum Fliegerberg aufgestellt, lud zum Verweilen ein, denn der Aufstieg war für ältere Leute anstrengend. An Sonn-und Feiertagen wurde die Flugschule sehr stark besucht, besonders mit Autos, Omnibussen, Motorrädern usw. Um den starken Verkehr im starkansteigenden Oberdorf verkehrssicher zu gestalten, wurde 1934 die Dorfstraße zum Tal verbreitert und mit festem Unterbau versehen. Vom Dorfende bis auf den Fliegerberg hatte bereits der Reichsarbeitsdienst eine Verbindungsstraße erbaut. So war es für alle motorisierten Fahrzeuge leicht, hinauf zu kommen. Bald kamen auch große Verkehrsomnibusse mit Reisegesellschaften ins Dorado der Segelflieger.

Nachdem die Klubschule zur Reichsschule erhoben worden war, nahm der Schulungsbetrieb gewaltig zu. Tausende aus allen Teilen Deutschlands erhielten hier ihre erste fliegerische Ausbildung. Die Reichsschule war die einzige in Deutschland, wo auch Ausländer zur Schulung im Segelflugsport angenommen wurden, zumal der gute Ruf dieser Sportstätte in der Welt einmalig war. So kam es, das man Amerikanern, Engländern, Franzosen, Italienern, Österreichern, Griechen, Dänen, Bolivianern, Chinesen und anderen Ausländern begegnen konnte. Außer den Unterkunftsräumen der Schule, waren solche im Flieger-Kasino vom Kretschambesitzer Heinrich bereitgestellt worden, wo auch die Fluglehrer und Flugschüler ihre Hauptmahlzeiten einzunehmen pflegten. Der Andrang zu den Lehrgängen war oft so groß, daß in Doppelschichten geschult werden mußte. Aber auch Frauen beteiligten sich an den Lehrgängen. Die bekannteste war die Hirschbergerin Hanna Reitsch. Ihr fliegerisches Können und ihre Glanzleistungen brachten ihr den Titel eines Flugkapitäns ein. Ihr Name ist, sowie auch ihre Leistungen, in der ganzen Welt bekannt.

Aber auch eine Grunauerin, Erna Kunisch, legte die Prüfung ab. Wolf Hirth errang einen großen Ruf, der über Deutschlands Grenzen hinausragte. Große Namen, wie van Heusen, Lange, Beck, Steinig und viele andere erzielten hier Weltbestleistungen. Steinig war der Meister im Looping und im Zweisitzer mit Doppelsteuerung. Alle diese großen Namen, vorangesetzt Espenlaub und Schneider, schufen aus dem kleinen Anfang diesen einstigen Musterbetrieb, die Reichsschule für Segelflugsport in Grunau, Ihre Namen dürften in den Annalen des Riesengebirgsdorados für immer festgehalten werden.

Zur Reichssschule für Segelflugsport gehörte noch der C-Hang, ein Startplatz unterhalb des Stangenberges bei Flachenseiffen. Von hier aus wurde bei günstiger Thermik die C-Prüfung geflogen. Es war erhebend, wenn man vom Galgenberg aus bei günstigem Flugwetter oft sechs und mehr Segelflugzeuge stundenlang bei ihren Flügen beobachten konnte. Den Flugschülern fiel es nicht immer leicht, die vorgeschriebene Flugzeit einzuhalten und zur Landung anzusetzen, aber die Flugschüler drängte es gleichfalls, dieses günstige Flugwetter auszunutzen. Sie bildeten Ketten, um den Ihrigen verständlich zu machen, daß sie landen sollten. Weitere Schulungsflüge wurden vom Flugplatz Hartau bei Hirschberg ausgeführt. Die Segelflugzeuge wurden von Motorflugzeugen hochgezogen, und dann ausgeklinkt. Das Segelflugzeug zog nun, unter geschickter Ausnutzung der Thermik seine Kreise, um schließlich auf dem Flugplatz wieder zu landen. Hier konnte der Flugschüler unter Beweis stellen, was er in der Flugschule gelernt hatte. Oft waren diese Segelflugmaschinen so hoch, daß sie nur mit guten Augen gesehen werden konnten. Zum Abschluß dieses Berichtes sei noch eines Namens gedacht, den jeder Flugschüler des In- und Auslandes im Gedächtnis haben dürfte. Es ist Paul Proske, der Marketender der Flugschule. Von früh bis spät war er auf den Beinen, um für das leibliche Wohl der Fluglehrer und -Schüler zu sorgen. Am frühen Morgen rannte er von einem Geschäft zum anderen und kaufte alles ein, was die Schüler den Tag über benötigten. Am Galgenberg rannte er von einem Startplatz zum anderen und versorgte so die Schüler, daß diese bei den Strapazen bei Kräften blieben. Als die Galgenvogelbaude erbaut worden war, übernahm er die Bewirtschaftung. Nun konnte er nicht mehr alles per „Beene“ schaffen und und kaufte sich ein Auto, einen Hanomag, der seine besten Kräfte schon verausgabt hatte. Es kam vor, daß der Hanomag hin und wieder seine Mucken zeigte, besonders Hielschers Berg hatte es ihm angetan. Doch Paul Proske wußte sich zu helfen. Wenn es nicht vorwärts hinauf ging, fuhr er eben rückwärts den Berg hinauf, aber rauf kam er doch. Er hat auf diese Art den Segelfliegern unschätzbare Dienste geleistet.

Das wäre in großen Zügen die Geschichte der Reichsschule für Segelflugsport in Grunau im Riesengebirge.

An vielen Orten der Bundesrepublik wurde der Segelflugsport wieder aufgenommen. - Die Hochleistungsmaschine „Grunau Baby“ ist wieder dabei. Sie wird immer Zeugnis ablegen von der Schaffenskraft eines Pioniers des Segelflugsports in Grunau.

Das Ende.

In der Reichsschule wurde wurde bis zum Ende des Krieges geschult, sodaß der Betrieb den am 8. Mai 1945 gegen 17 Uhr einrückenden Russen unversehrt in die Hände fiel. Flugkapitän Becker als auch Fabrikbesitzer Schneider waren mit ihren Familien geflohen, um einer Gefangennahme und Verschleppung zu entgehen. Die vorhandenen Segelflugmaschinen wurden als Kriegsbeute weggeschafft. Die Wohnung des Flugkapitäns Becker wurde geplündert. Aus Büro und Werkstätten wurde alles beschlagnahmt, und was von Wert war, ebenfalls weggeschafft. Alles andere wurde sinnlos zerstört. Dasselbe Schicksal erlitt die Fabrik für Segelflugsport von Schneider. Beide Musterbetriebe gehören der Vergangenheit an, nur die Gebäude und Hallen sind erhalten gebleiben.



Entnommen aus „Schlesische Bergwacht“ 1956/N22/S389