Ein Gottesdienst in der „Hundskirche“.

(Nach alten Quellen) von Hildegard Teuchert


Hoch oben auf dem Kamm des Bober-Katzbach-Gebirges in der nähe des heutigen Vorwerks Oberammergau bei Kammerswaldau liegt die „Hundskirche“, eine einsame, verborgene Felsenstätte, wo zur Zeit der Gegenreformation die Evangelischen heimliche Andachten, die sogenannten Buschgottesdienste, abhielten.

Es war an einem schönen Herbstsonntag des Jahres 1662. Da stiegen der Kätner Caspar Warmbrunn und der Häusler Melchior Exner aus Cammerswalde früh um 6 Uhr mit schnellen, festen Schritten, einen dicken Krückstock in der Hand, den schmalen Waldpfad empor, der am Ammerbach entlang zu dieser Stätte führt. Auf dem Rücken trugen sie beide einen derben Rucksack mit Äpfeln gefüllt, so daß sie harmlosen Wanderern glichen, die ihren Verwandten oder Bekannten drunten in Tiefhartmannsdorf einen schmackhaften Sonntagsgruß bringen wollten.

Ob der Pfarrer wohl kommen wird?“ zweifelte der Kätner Warmbrunn. Gar gefährlich ist es für unseren guten Jakobus Werner, diese Flur zu betreten, seitdem man ihn aus unserem Dorf verbannt und uns unser schönes Gotteshaus genommen hat.“ „Nur gut“, erwiderte Melchior Exner, „daß er mit seiner lieben Frau Brigitte eine neue Heimstätte gefunden hat in Hapersdorf beim Probsthainer Spitzberg, wo er an der dortigen großen Zufluchtskirche ungefährdet sein Amt ausüben kann. Ich kann garnicht sagen, wie gern ich zu ihm in den Gottesdienst gehe. Doch leider ist ja bis Harpersdorf ein weiter, mühseliger Weg über die Berge. Schon am Samstag nachmittags müssen wir über Kauffung, Schönau, Neukirch und Probsthain dorthin pilgern und jedesmal dort übernachten. Diese Zeit hat man natürlich nicht immer.“ „Um so mehr müssen wir unserem lieben Pfarrherrn danken“, fiel der Kätner Warmbrunn ein, „daß er trotz seines hohen Alters, des weiten Weges und der Gefahr nicht achtend, zu uns in die Hundskirche kommt, um dort Gottesdienst zu halten. Ich erinnere mich noch genau, wie er in jener schweren Pestzeit vor 26 Jahren die Kranken gelabt und gepflegt hat und sie mit unserem treuen Küster Hans Göbel zusammen zu Grabe geleitet hat, ohne Ansteckung und Tod zu fürchten.“ „Ja“, meinte Melchior Exner, „und die armen verwaisten und verlassenen Kinder hat er zu sich ins Pfarrhaus genommen und der liebevollen, mütterlichen Pflege seiner tapferen Frau Brigitte anvertraut.Wir können ihm nicht genug danken. Hoffentlich erwischen ihn die Häscher nicht, die grausamen Lichtensteiner Dragoner, die man bei uns in den Nachbardörfern einquartiert hat, uns durch Fron und Buße mit Gewalt wieder katholisch zu machen. Ich kann mir nicht helfen. Ich traue jenen elenden Konvertiten nicht, den Neukatholischen, die sich um äußeren Vorteils willen haben bekehren lassen. Wenn sie uns nur nicht verraten!“

Unter solchen Gesprächen waren die beiden auf dem Kamm angekommen unweit der „Hundskirche“.

Viele Kirchgänger sahen sie, die gleich ihnen durch Busch und Wald jener einsamen Andachtstätte zustrebten. Durch herzhaften Händedruck begrüßte man sich. Dann ließ man sich auf den Steinblökken nieder, die ringsum verstreut lagen. Schon trat auch der Pfarrer Jakobus Werner hinzu und schüttelte seinen ehemaligen Pfarrkindern freudig die schwielige Rechte. Sein Anzug und seine Schuhe waren verstaubt, man sah es ihm an, daß er einen weiten, mühseligen Weg zurückgelegt hatte. Gar alt war er geworden; doch hell und froh leuchteten seine Augen aus dem gütigen Greisengesicht.

Der Kätner Warmbrunn bedeutete zwei jungen Burschen, vor der Felsenstätte Wache zu stehen und aufzupassen, daß die Lichtensteiner, die gefürchteten Seligmacher, nicht unvermutet überfielen und sie zu Haft und harter Buße mit sich fortschleppten. Mittlerweile hatte der Pfarrer seinen Talar angelegt den er bei dem Bauern Traugott Stumpe in Tiefhartmannsdorf, seinem dortigen Quartierwirt, aufbewahrte, und der Gottesdienst begann. Voller Insbrunst sang man die alten, lieben Lutherlieder und lauschte andächtig den Worten des Pfarrers, der seine Buschgemeinde zu standhaftem Aushalten trotz Fron und Verfolgung und Treue zum evangelischen Glauben ermahnte.

Da plötzlich stürzten angsterfüllt, mit verzerrtem Gesicht, die beiden jungen Burschen herein: „Wir sind verraten! Die Lichtensteiner kommen!“ Laut hallte dieser Schreckensruf von den Felswänden wider. Sofort wurde der Gottesdienst abgebrochen. Durch sichten Busch stoben die Kirchgänger nach allen Seiten auseinander die Abhänge hinab nach Kauffung, Cammerswalde und Tiefhartmannsdorf. Traugott Stumpe riß den Pfarrer, der sich eilends seines Talars entledigt hatte, mit sich auf dem geheimen Waldpfade, der nach Tiefhartmannsdorf führte.

Der Kätner Caspar Warmbrunn und der Häusler Melchior Exner aber schritten ruhig und unbefangen, den Rucksack auf dem Rücken, als seien sie harmlose Wanderer, den Häschern entgegen. Ein Leutnant war es und 10 Mann, die von Hirschberg her auf dem Kammweg sich der geheimen Andachtsstätte nahten. „Wo kommt ihr her, ihr Bauernlümmel?“ schrie der Leutnant schon von weitem die beiden an. „Aus Tiefhartmannsdorf, Euer Gnaden“ antwortete Caspar Warmbrunn. „Nichts für ungut! Meinen Vetter Simon Nothnagel haben wir da besucht. Seht her! Schöne Äpfel hat er uns geschenkt.“ Er deutete auf seinen Rucksack. „Wollt ihr sie mal kosten?“ Sie schmecken gut. Ich möchte wetten, so vortrefflich hat der Herr sein Lebtag noch nicht gegessen.“

Verfluchter Schweinehund! Willst du dich über mich lustig machen? Aus der „Hundskirche“ kommt ihr. Das weiß ich genau. Irgend wo hier oben muß sie liegen. Ich werde sie schon finden und euern hundsföttischen Pfaffen dazu. Des könnt ihr sicher sein!“ Ein Hieb mit der Reitpeitsche nach dem sich schnell duckenden Kätner bekräftigte seine Worte. Eilend trabten die Reiter weiter. Verschmitzt lächelnd aber setzten die beiden Cammerswalder ihren Weg fort.

Forschend und scharf ließen die Häscher ihre Blicke über die zahlreichen Felsblöcke gleiten, die links vom Wege lagen. „Der Henker soll mich holen!“ rief der Leutnant zornig, „wenn hier nicht diese elende Hundskirche ist. Schaut nur die vielen Fußspuren. Derbe Bauernstiefel haben sie hinterlassen.

Diesmal sind mir die Vögel aus dem Garn gegangen. Aber wehe euch, ihr Galgenstricke! Ich werde euch schon kriegen. He! Was ist denn das?“ Mit seiner Degenspitze hob er das weiße Bäffchen auf, das dem Pfarrer in der Eile entfallen war. „Da haben wir ja den Beweis. Schnell nach der Tiefhartmannsdorfer Seite hinunter! Dahin ist der Pfaffe entwichen. Das Bäffchen liegt auf diesem Hang.“

Noch waren Jakobus Werner und Traugott Stumpe nicht weit gekommen, als sie schon Pferdegetrappel, Rossewiehern und Flüche hinter sich hörten, ein Zeichen, daß die Verfolger auf ihrer Fährte waren. „Da hinein in die Felsen!“ flüsterte der Bauer und zog den greisen Pfarrer mit sich in das Dickicht. Hinter einen Steinblock geduckt, erwarteten sie das Erscheinen der Reiter. „Den Hals drehe ich diesem verbrecherischen Pfaffen um, wenn ich ihn erwische!“ rief die grobe Stimme des Leutnants. Ohne zu zucken, vernahm der Pfarrer diese Worte. „Gott schütze uns!“ lispelten seine Lippen ganz leise. Und sein Gebet wurde erhört. Die Soldaten ritten in scharfem Trabe vorüber, ohne die beiden in ihrem Versteck zu bemerken. Still faltete der Pfarrer die Hände und schickte einen inbrünstigen Dank zu Gott empor.

Sein Begleiter riß ihn aus seiner Andacht und tiefem Sinnen. „Nach Tiefhartmannsdorf könnt ihr jetzt nicht mehr, Herr Pfarrer“, sagte der Bauer, „da würdet Ihr den Häschern direkt in die Arme laufen. Doch hier rechts geht es hinunter nach Niederkauffung. Ich bringe Euch zu meinem Freunde Samuel Kehl. Der ist zuverlässig. Er nimmt Euch die Nacht über auf und geleitet Euch morgen ins Schönauische, von wo Ihr ungefährdet den Weg nach Probsthain und Harpersdorf fortsetzen könnt.“ So geschah es . Wie atmeten die Cammerswalder auf, als sie durch geheime Boten von der glücklichen Ankunft ihres geliebten Pfarrers in Harpersdorf hörten!

Dies war der letzte Gottesdienst in der „Hundskirche“. Die geheime Andachtsstätte war verraten worden und zu unsicher. Die Evangelischen aus Cammerswalde und den umliegenden Dörfern scheuten fortan den weiten, zweitägigen Weg nach Harpersdorf nicht, um dort dem sonntäglichen Gottesdienst beizuwohnen.

Die Hundskirche“ aber führt noch heute ihren Namen. Frau Sorge hat sich dieser Stätte bemächtigt. Kommt man des Nachts dort vorüber - erzählt sie – so leuchtet einem schon von weitem strahlendes Kerzenlicht entgegen. An einem Tisch sitzt ein Mönch, eine aufgeschlagene Bibel vor sich. Seine Hände und Füße tragen Ketten. Mit leiser Stimme murmelt er gebete, oft unterbrochen von dem heiseren Kläffen einer großen braunen Dogge, die den Eingang zur Höhle bewacht. Mit dumpfem Knurren läßt sie den Wanderer vorüberziehen. Doch o weh! Die brennende Kerze löst sich von dem Tisch und begleitet den Fürwitzigen , der sich des Nachts an diese Stätte traut, bis hinab nach Kammerswaldau. In derselben Nacht aber geht in dem Dorf ein Haus in Flammen auf.

Entnommen aus „Schles.Bergwacht“ 1955


Erstellt von W.Schön, Mail:genealogie@wimawabu.de, 23.05.05