Die versunkene Glocke von Arnsdorf

von W.Bellardi, Pastor u. Superintendent (1950)



Wie ich schon in meinem Weihnachtsbrief (im Arnsdorfer Lomnitztalboten) berichtet habe, ist die mittlere Glocke des Geläuts der Arnsdorfer evangelischen Kirche wiedergefunden worden. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, um etwas von unseren Glocken zu erzählen.


Das Arnsdorfer Bethhaus, das im Jahre 1755 an der Stelle, wo das erste Bethaus aus dem Jahre 1742 gestanden hatte, gebaut worden war, hatte nur einen Dachreiter, in dem seit 1756 eine kleinere, 7 Zentner schwere Glocke gehangen hatte. Auf die Dauer gefährdete aber diese Glocke den Dachstuhl. Als man sich deshalb im Jahre 1862 zum Bau eines festen Turmes entschloss, ging man auch an die Beschaffung eines vollen Geläutes. Die Glockengießerei Fr. Gruhl in Kleinwelke bei Bautzen goß aus einer russischen und einer italienischen Kanone drei schöne, auf des-Moll gestimmte Glocken, die am 21. Oktober 1863 bei der Einweihung des Turmes in Gebrauch genommen wurden. Die größte von ihnen wog 28 Zentner und trug die Inschrift:

Ehre sei Gott in der Höhe – Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!“

Die mittlere, fast 16 Zentner schwere, verkündigte „Friede auf Erden – Meinen Frieden gebe ich euch!“. Die kleinste, achteinhalb Zentner von Gewicht, rief ins Land: „Den Menschen ein Wohlgefallen – Heiliget Gott den Herrn in euren Herzen!“.

Im zweiten Weltkrieg wurden die beiden großen Glocken beschlagnahmt. Viele von uns erinnern sich noch daran, wie wehmütig uns ums Herz war, als sie ausgebaut und abgenommen wurden. Schmerzlich bewegt hielt unser bald darauf heimgegangener Superintendent Schloßbauer mit der Gemeinde die Abschiedsfeier. Nur die kleinste der drei Glocken blieb uns. Sie läutete bei den ersten Evakuierungen den Abschiedsgruß. Immer wenn der Evakuierungszug aus Krummhübel herunter kam und viele Zurückbleibende den Scheidenden zum Abschied aus der Heimat winkten, grüßte sie als Stimme der Heimat noch einmal die, deren Leben ihr Geläut begleitet hatte. Es dauerte nicht lange, da verbot uns die polnische Staatspolizei dieses Abschiedsgeläut. Aber bis zum letzten Gottesdienst in unserem Arnsdorfer Gotteshaus hat der Glockenmund die Gemeinde ins Gotteshaus gerufen und unsere Toten auf ihrem letzten Wege begleitet. Unsere treuen Gehilfen, Küster Lissel und Totengräber Liebig, haben die letzte Glocke ganz besonders gepflegt und gehütet.

Niemand weiß, was aus der großen Glocke geworden ist. Sie gehört zu den Verschollenen des letzten Krieges. Es wird kaum noch festzustellen sein, ob sie eingeschmolzen wurde oder in fremde Hände fiel. Vermißtenschicksal!

Die mittlere Glocke befand sich, soviel wir wissen, auf einem Lastkahn im Hamburger Hafen, als das Kriegsende nahte. Sie ist dann mit diesem Kahn im Hafen versunken. Bei den Aufräumungsarbeiten im Hafen fanden Taucher die versunkenen Glocken, bargen sie und stellten sie auf dem sogenannten „Glockenfriedhof“ ab. Lange Nachforschungen und Untersuchungen waren nötig, bis die Herkunft der einzelenen Glocken geklärt werden konnte. So stellte sich denn auch auf Grund der Glockeninschrift und des Glockentones heraus, daß eine von ihnen die mittlere Glocke unseres Arnsdorfer Geläuts war.

Alles weitere ergab sich dann bald. Die evang.-lutherische Gemeinde Hamburg-Sassel, in der der frühere Schmiedeberger Pastor Konrad Feige amtiert, erbat sich von der Hamburger Kirchenbehörde unsere Glocke zu treuen Händen, da sie noch kein eigenes Geläut besaß. In einem feierlichen Gottesdienst soll sie nun am 1. Advent (2.Dezember) dieses Jahres zum zweiten Male geweiht werden. Um diesen Dienst hat die Gemeinde mich als den letzten Arnsdorfer Pfarrer gebeten.

Es ist eine besondere Fügung, daß es die Friedensglocke ist, die uns auf so wunderbare Weise erhalten blieb. Es ist uns wie ein Vermächtnis unserer schlesischen Heimat, daß die vertriebene Glocke Frieden verkündet. Möge die neue Gemeinde ihre Botschaft recht hören und aufnehmen und die Glocke mit treuen Händen hüten und bewahren! „Friede sei ihr erst` Geläut!“


Entnommen aus „Schles. Bergwacht“, SB1950