Die „gute alte Zeit“
von Adolf Melke aus Buchwald (1964)
Die gute alte Zeit, die von vielen Leuten so gepriesen wird, war in Wirklichkeit nur für die besitzende Klasse, aber nicht für`s gewöhnliche Arbeitervolk gut. Ich will einiges schildern, was ich selbst so bis zum Jahr 1900 und noch darüber erlebte. Mein Vater Wilhelm Melke, geboren am 08.06.1845 in Erdmannsdorf, mußte noch nach Lomnitz zur Kirche gehen, da erst in späteren Jahren eine Kirche in Erdmannsdorf erbaut wurde. Auch ein Turm wurde gebaut, der aber vor seiner Fertigstellung einstürzte. Darüber kam ein Vers auf: In Erdmannsdorf wurde ein Turm gebaut von Buttermilch und Sauerkraut, der Turm der kriegte Ritze, das merkte Pastor Fritze. - Der Pastor der neuen Kirche hieß Fritze und durch seine Aufmerksamkeit ist niemand schwer zu Schaden gekommen.
Es war damals eine sehr schlechte Zeit für Handweber im Riesengebirge, worüber Gerhard Hauptmann seine „Weber“ geschrieben hat. - Weder Kranken- noch Invalidenkassen bestanden und es gab keine Arbeitslosenunterstützung. Die Löhne waren so klein, daß im Sommer kein Mensch für den Winter etwas zurücklegen konnte. In den strengen Wintern kamen die Bauarbeiten zum Erliegen, nur wenige Arbeiter konnten zum Steineklopfen angenommen werden. Die Steine wurden in Meter gesetzt und es gab für den Meter ungefähr drei Mark. Diese Arbeit war in zwei Tagen kaum zu schaffen, denn die Steine waren so hart, wie der blaue Basalt.
Mein Großvater ging im Winter zu den Bauern, um mit Flegeln das Korn zu dreschen, Für eine Tagesarbeit bekam er das Essen und wenn der Bauer gutmütig war, noch ein Stück Brot für Frau und Kind. Wenn sonst keine Arbeit war, machte er Birkenbesen zum Verkauf. Er mußte die Ruten kaufen oder bekam welche vom Bauern, dafür mußte er ihm eine Anzahl fertiger Besen liefern. Den Rest konnte er selber verwerten. Mein Vater hat mir oft erzählt, daß früh oft kein Brot im Hause war und er beim Bauern um eine Schnitte bitten mußte, ehe er in die Schule ging. Später war er Hütejunge, und nachdem er aus der Schule war, wurde er für`s ganze Jahr zum Bauern vermietet. Als 17-jähriger Bursche war er in Tiefhartmannsdorf Krs. Schönau als Knecht. 12 Taler Jahreslohn. Essen und Schlafstelle wurde verdient. Die Arbeitszeit dauerte im Winter und Sommer von früh 4 Uhr bis abends 7 oder 8 Uhr. Im Winter wurde früh von 4 bis 6 Uhr mit dem Flegel gedroschen, dann wurde das Vieh gefüttert, nachher gab es für ihn selbst Frühstück. Danach wurde mit Pferd und Ochsen Holz im Walde geholt, oder Steine und Ziegel gefahren. Im Sommer mußten nach dem Ausspannen auch noch die Ochsen bis zum Dunkelwerden gehütet werden. So war das Leben für einen jungen Burschen Damals.
Einige Jahre später ging er dann in die Erdmannsdorfer Spinnerei und Weberei; dort wurde etwas mehr verdient. Die Arbeitszeit war von 5.30 bis 19.30 Uhr, das waren lange Tage. Später wurde von 6 – 19 Uhr gearbeitet, aber 11 Stunden blieben bis zum Jahre 1900.
Als ich geboren wurde, wohnte mein Vater in Herischdorf, meine Mutter stammte aus Baberhäuser. Vater war am Dominium als Mäher den ganzen Sommer über beschäftigt. Angefangen beim Heu über Roggen, Hafer, Gerste und Weizen und Grummet wurde alles mit der Sense geschnitten. Wenn die Rüben geerntet waren und starker Frost herrschte, ging es an die Teiche zur Schilf- und Rohrernte. Im Januar 1881 wurde mein Vater entlassen und bekam über den Winter keine Arbeit. Erst als die Eisenbahn von Hirschberg nach Schmiedeberg gebaut wurde, konnte er wieder etwas verdienen. Er zog dann mit der Familie nach Quirl, von dort aus hatte er es näher. Als diese Arbeiten beendet waren, ging er in die Ziegelei im Pfaffengrund, die zum Dominium Buchwald gehörte. Tagelohn war 1,30 Mrk, wenn die Tage länger waren 1,40 Mrk. Im Sommer wurden mit der Hand Ziegel geformt. Für tausend Stück gab es 4,00 Mrk. Wenn ein Arbeiter in der Woche 10–12 Mrk verdienen wollte, mußte die Frau mithelfen. Wenn ich als 16-Jähriger 10 Mrk verdienen wollte, mußte ich tüchtig schaffen, denn ich war zu aller Arbeit allein. Der Lehm mußte zurecht gemacht, die Ziegel geformt und auf Bretter in Stöße gesetzt werden. Wenn sie dürre waren, kamen Männer, die sie in den Ofen fuhren, wo sie mit Kohlen zusammengesetzt und gebrannt wurden. -
Später im September 1896 ging ich dann in die Bleiche in Schmiedeberg und verdiente 1,30 bis 1,40 Mrk pro Tag. Ein starker Mann brachte es auf 1,60 bis 1,70 Mrk. Im Spetember 1897 kam das große Hochwasser, was in Schmiedeberg großen Schaden anrichtete. Eine ganze Straßenfront wurde weggerissen und ein Mann, namens Trautmann kam ums Leben. Er wurde in Quirl an Land gespült. Nun begann eine Brslauer Firma mit den Aufräumungsarbeiten und dem Bau von Wassermauern. Sie zahlte 25 Pfennige die Stunde. Da liefen die besten Leute hin, um mehr zu verdienen. Auch ich ging für ein halbes Jahr, dann waren die Arbeiten beendet. Nachher war ich Haushälter in der Schmiedeberger Kerzenfabrik Böhm & Sohn, in der Gartenstraße. Von 1902 bis 1904 war ich in Jauer beim Militär und wurde danach im selben Ort Kerzenmacher und Wachsbleicher. 1907 wurde ein Mädchen aus Buchwald geheiratet. Ich zog zu meinen Schwiegereltern. 1914 kam ich zum Reserveregiment 19 zu den 395ern. Aus dem Krieg kehrte ich unversehrt zurück und übernahm 1920 das Anwesen der Schwiegereltern. Im Jahre 1908 ging ich zur Feuerwehr und wurde 1912 dort Brandmeister. Durch einen Unglücksfall kam unser 1. Brandmeister Reimann ums Leben und ich kam 1925 bis zur Ausweisung im Jahre 1946 an seine Stelle. Nun lebe ich hier im Westen mit meinen Kindern. - Als alter Feuerwehrmann grüße ich alle Kameraden von Buchwald mit einem dreifachen „Gut Wehr“.
Entnommen aus „Schles.Bergwacht“, SB1964/N19/S349