Vor 228 Jahren:

Die Auswanderung der Zillerthaler aus Tirol !

 

 

Im Jahre 1962 - als 125 Jahre seit der Auswanderung der Zillertaler aus Tirol vergangen waren, seit auch 125 Jahre vergangen waren, daß im schlesischen Riesengebirge eine neue Ansiedlung Zillerthal entstand - trafen sich vom 3. bis 5. August in Mayrhofen in Tirol 84 Frauen und Männer, Nachkommen jener ausgewanderten Tiroler die zwischen dem 31. August und dem 4. September 1837 um des Glaubenswillen ihre Bergheimat verließen.

Zu diesem erinnerungsvollen Treffen hatte der in Wiesbaden ansässige Rechtsanwalt Wolfgang Egger , auch ein Nachfahre der ausgewanderten und in Schlesien seßhaft gewordenen Tiroler, eingeladen.Pfarrer Alfred Glatz, letzter evangelischer Gemeindeseelsorger von Zillerthal - Erdmannsdorf im Riesengebirge, hielt bei den evangelischen Festgottesdienst, welcher in der Turnhalle Mayrhofen stattfand, die Festpredigt. Doch stand diese ganze erinnungsvolle Begegnung keineswegs im Zeichen der alten Glaubenskämpfe, sondern Angehörige beider Konfessionen - Protestanten wie Katholiken - nehmen dran teil, und es fiel kein Wort des Streites mehr, sondern die festliche Zusammenhang verlief im "Zeichen gegenseitiger Hochachtung", wie die Tiroler Presse schrieb.

Der Bürgermeister der Gemeinde Mayrhofen, Franz Krötl, schrieb gar für diese friedlichen Tage des Gedenkens ein Lied, zu dem der Schuldirektor in Mayrhofen, Josef Fleidl, die Melodie schrieb. Das Lied Franz Krölls hat folgenden Wortlaut:

 

"Wir ziehen weit in ferne Lande,

die Heimat duldet uns nicht mehr,

ihr habt uns ausgestoßen alle,

wie fällt der Abschied uns so schwer!

So lebt den wohl, ihr trauten Berge,

lebt wohl, lebt wohl, ihr Lieben alle.

Wir sehen euch wohl niemals wieder,

wir sehen euch wohl niemals wieder,

die Heimat, die Heimat, unser Zillertal !"

 

Den Urenkel erst sollte es vergönnt sein, die Stammheimat, das Zillertal in Tirol wieder zu sehen. Der Urgroßvater des genannten Rechtsanwalts Wolfgang Egger in Wiesbaden - Jakob Egger - war ein alter blinder Mann von 84 Jahren, als er die Heimat verließ und nach Schlesien zog. Sein zehnjähriger Enkel Peter führte ihn. Als müder, blinder Mann kam er in die neue Heimat, doch schon im Jahr darauf (1838) starb er. Er war der allererste Tiroler, welcher auf dem Friedhof vom Erdmannsdorf im Riesengebirge in die schlesische Erde gebettet wurde.

 

                                              Alte Kirchenbücher berichten.

Was aber hat sich damals in Tirol zugetragen? Was war die Ursache dafür, daß so viele Menschen insgesamt 420 , ihre schöne Tiroler Heimat verließen, und in das ferne Schlesien gingen, um dort, unter der Obhut Königs Friedrich WilhelmIII. von Preußen eine neue Heimat zu finden?

In den alten Kirchenbüchern der katholischen Gemeinden des Zillertals - etwa in Hippach und Mayrhofen - kann man darüber einiges nachlesen und ausfindig machen, was uns Aufschluß gibt.

Pfarrer Sponring in Hippach - er lebt jetzt im Ruhestand und wird am 12.11.1967 105 Jahre alt, 50 Jahre seines Lebens hat er als Seelsorger in Hippach gewirkt - legte uns bereitwillig alle Bücher, in die wir Einsicht nehmen wollten, vor. Und auch sein Amtsbruder Johann Magreiter, ein jüngerer Herr von 40 Jahren (1967), der in Mayrhofen amtiert - war freundlich und hilfsbereit, als wir ihm baten, uns in seine Bücher Einsicht zu nehmen zu lassen, weil wir den Spuren der Auswanderung, die sich 1837 vollzog, nachspüren wollten. In der Hippacher Pfarrchronik steht vermerkt:

 

"Am St. Stephanstage 1829 kamen Männer ins Vikariatshaus und erklärten sie wollten lutherisch werden. Sie bekräftigten ihr Auftreten mit Faustschlägen auf den Tisch.

Einen Tag darauf geschah ähnliches in Zell bei Dekan Gottamer und in der Landgerichtskanzelei. Dieses Auftreten war unerwartet, doch nicht ohne vorhergegangenes Beispiel, daß hier seit Jahrhunderten das Luthertum eine unsichtbare Kirche halte."

 

In der Chronik wird weiter berichtet, daß es sächsische Bergknappen waren, die schon zu Zeiten der Reformation in Deutschland nach Tirol kamen und die neue Lehre nach Österreich brachten. Im Arntal, im Pinzgau konnte es jedoch durch die eingeleiteten Gewaltmaßnahmen des Erzbischofs von Salzburg unterdrückt werden, auch im Inntal wurde es durch die eifrige Tätigkeit der Prälanten, Priester und Missionare wieder ausgerottet. Nur im Zillertal blieb es "bis auf die neusten Zeiten isoliert und sich selbst überlassen".

Hier befanden sich viele alte lutherische, manche stammen aus jenen Jahren im Anfang des 17. Jahrhunderts. Sie wurden als kostbarer Familienschatz vom Vater auf dem Sohn vererbt, mit Kupfer- und Eisenblech beschlagen, um sie vor dem Verfall zu retten.Wörtlich heißt es in der Hippacher Pfarrchronik:

 

"So hat sich in vielen unserer Leute jene undurchdringliche Kruste angesetzt, der Verdacht gegen Priester und Bischöfe, welcher alles Ansehen vernichtet."

 

In der Pfarrchronik - und auch das soll nicht verschwiegen werden, um die Ereignisse verstehen und recht beurteilen zu können - steht auch, daß der katholische Schullehrer Kostaller dem Pfarrer berichtet habe, daß zuvor in Hippach der Pfarrer amtiert hätte, "die bei wildesten Tänzen mitgemacht, uneheliche Kinder zeugten, selbst bei der Notzüchtigung durch einen solchen Herrn war die Rede".Es hat also von Seiten der Würdenträger der katholischen Kirche Verfehlungen - menschliche Verfehlungen - gegeben, die dazu führten, daß sich die Menschen vom Glauben abwandten und dem Luthertum anhingen.

 

                                              In ungeweihte Erde begraben.

Die Kirche wollte natürlich nicht tatenlos zusehen, wie sich die Zillertaler von ihr abwandten.  Sie versuchte durch ihre Priester, die Abtrünnigen zurück zu gewinnen. Aber das gelang selten. Und wenn ein solch Abtrünniger - er wird in den Kirchenbüchern von Hippach "Apostat" und in den Büchern von Mayrhofen "Renitent" genannt - starb, dann erhielt er kein christliches Begräbnis, sondern er wurde außerhalb des Friedhofs in ungeweihter Erde, auf dem Feld oder auf einem Acker begraben. Als am 5.10.1832 die Ehefrau des Matthäus Kreidl - Maria geb. Sporer - in Traxler am Rauchenwalde im Kirchspiel Mayrhofen stirbt, da steht der Eintrag ihres Todes klar und deutlich vermerkt:

 

"N.B. wurde außer dem geweihten Erdreich unweit Rauchenwalde in Gegenwart des Gerichtsdieners begraben, weil sie als öffentliche Renitentin gestorben ist".

 

Am 2.4.1833 steht im Sterbebuch von Mayrhofen vermerkt, daß der 19 jährige Michael Tropmayr an "Gedärmentzündung" gestorben sei. Und auch hier ist als Bemerkung hinzugeschrieben:

 

"Starb als Renitent und wurde in Gegenwart des Gerichtsdieners außerhalb geweihter Erde am Schlappertal begraben."

 

Am 12.4.1833 starb Josef Goedler im Alter von 83 Jahren:

 

"War seit 36 Jahren Apotat bei der kath. Kirche, starb als solcher ohngeachtet öfters gemachter Ermahnung und ward als solcher in seinem Felde von seinem Anhängern begraben."

 

Ohne den Segen des Priesters, ohne den Choral und Gebet begraben zu werden, mag hart gewesen sein, härter vielleicht für die Hinterbliebenen als für den Toten. Aber noch manchen der Renitenten oder Apostaten ist es genauso ergangen, etwa den Bauer in Hollenzen Simon Strasser, der am 10.9.1833 an Gehirnentzündung stirbt und von dem Sterbebuch in Mayrhofen berichtet:

 

"Starb als Renitent und wurde am 13.9. um 9 Uhr Vormittags in Gegenwart des Gerichtsdieners im Feld begraben."

 

In Gegenwart des Gerichtsdieners begraben zu werden, das geschah sonst nur mit Verbrechern. Hier hat man also die Apostaten oder Renitenten sehr hart angepackt. Druck erzeugt Gegendruck! Die Situation war keineswegs erfreulich und beglückend.

 

                                                 Schmerzvoller Abschied.

Um den unguten Verhältnis, das hier in Zillertal in Tirol herrschte, ein Ende zu bereiten, erging im Frühjahr 1837  vom österreichischen Kaiser ein Befehl, daß alle Protestanten binnen 6 Monate zum katholischen Glauben zurückkehren sollten oder auswandern müßten. Die gesetzte Frist war im September 1837 ausgelaufen.

Der Kreishauptmann Anton von Gasteiger hatte die Auswanderung der Zillertaler, die auch jetzt nicht bereit waren, zum alten Glauben zurückzukehren, zu überwachen. Wohl mit inneren Widerstand und mit Bitterkeit gegen die Gewalthaber im Herzen, voll Mitgefühl für die Betroffenen, biederer Bewohner seines Amtsbezirks, mußte der Kreishauptmann den Verbannungsbefehl vollziehen.

Beim Verlassen der Heimat machten die Hippacher den Anfang; am 31.8.1837, des Morgens um 7 Uhr, begaben sie sich auf den Weg in die Fremde. Nur wenige Neugierige sahen ihrem traurigen Zuge nach. Eine alte Frau, die gerade aus der Kirche trat, um den Davongehenden einen Gruß zuzurufen, wurde vom Schlage gerührt und starb auf der Stelle. Die Hippacher Kirchenbücher nennen uns den Namen dieser Frau: Katharina Rauch, verw. Frankhauser, die 70 jährig von der Not der Heimatlosen derart erschüttert wurde, das ihr das Herz still stand.

Wie viele Tränen mögen geflossen sein, als es hieß, Abschied zu nehmen von Haus, Hof. Herd, Wald und Feld, von den geliebten Bergen, dem Penken, der Mayrhofen überragte! Wie hart mag es gewesen sein, wenn der Trennungsriß mitten durch die Familie ging, wenn sich der Vater von Frau, die Kinder von den Eltern trennen mußten. Der Landrichter Porta in Zell am Ziller, selbst ein Katholik, nahm an den grausamen Schicksal der evangelischen Zillertaler herzlichen Anteil.

Er hat später wortwörtlich niedergeschrieben, was er beim Auszug der ev. Zillertaler empfunden hatte:

 

"Es war ein herzzereißender Anblick - dieser Auszug. Mit Tränen in den Augen drückte man sich die Hände und sagte sich schluchzend und wehmutsvoll Lebewohl. Manche Träne fiel auf meine Hand, und meine Herzbewegung war so groß, daß ich sie oftmals zu verbergen genötigt war."

 

Noch einmal ergreift die Dahinziehenden aller Abschiedsschmerz, als sie an der letzten Wegebiegung, an der Zillerbrücke beim Ausgang aus dem Zillertal, Halt machen und der von Tränen umflorte Blick noch einmal die verlassene Heimat sucht und grüßt.

Der Tiroler Maler Matthias Schmidt hat diesen ergreifenden Augenblick in einem Gemälde dargestellt. Da sehen wir sie alle, die Männer, die Frauen, Kinder bekleidet in Tiroler Tracht, wie sie sich noch einmal zurück wenden. Ein erschütterndes Bild weil es uns erkennen läßt, wie Intoleranz und Hartherzigkeit schon 1837 das Schicksal der Heimatlosigkeit über Menschen brachte, ein Schicksal das sich im 20. Jahrhundert wiederholen in vieltausendfacher Weise sollte.

Die Vertrieben wurden oftmals angefeindet und verhöhnt, ehe sie die österreichischen Lande verließen. Und unterwegs haben sie das Exulantenlied angestimmt, das schon 100 Jahre zuvor den Zug der Salzburger, die auch aus Glaubensgründen ihr Land verließen, begleitete:

 

"I bin a armer Exulant,

a so tu i mir schreiba,

ma tuet mi aus'm Vaterland

um Gotteswort vertreiba."

 

                                                Neuer Anfang in Schlesien.

Am 20.9.1837 betraten die Tiroler bei Michelsdorf im Kreis Landeshut den preußischen Boden. Hier bereitete der Ortsgeistliche - der spätere Konsistorialrat Bellmann - in der Kirche einen herzlichen Empfang. Über Schmiedeberg - wo sie seit längeren Aufenthalt nehmen mußten - gelangten die Tiroler schließlich nach Erdmannsdorf, wo ihnen durch den König von Preußen neue Bauerngehöfte - ganz wie die alten Zillertaler daheim - errichtet wurden. Hier haben dann die Tiroler ihr Leben gefristet. Ihre Gerichte der Tiroler Küche - Fleischknödl, Mürbeblatel, Apfelküchel, Strauben. Gerbennudeln, Krapfen - kochten, brieten und backten sie auch in Schlesien. Und die hohen Käse, die sie daheim angefertigt hatten, wurden vorerst auch noch im Zillertal in Schlesien angefertigt. Ja, die Tiroler Schulkinder bekamen  - wie sie es von daheim gewohnt waren - statt des Brotes Käse mit in die Schule. Die Tiroler waren nämlich von ihrer Heimat her gewöhnt, mit dem Brot sehr sparsam umzugehen, weil es im Tiroler Zillertal mehr Weideland als Ackerland gab und das Brot daher so knapp war wie das Brotgetreide, wogegen Milch und Käse immer reichlich vorhanden waren.

Eine der häufigsten Mahlzeiten der Zillertaler in Schlesien war der Köch, ein steifer Brei aus gerösteten Mehl, Butter und Milch. Er wurde mit runden Löffeln gegessen, die sie selbst in der Winterzeit aus Holz zu schnitzen pflegten. Und war die Mahlzeit beendet, dann wurde dieser runde Holzlöffel fein säuberlich abgeleckt und in den  Tischschub gelegt. So war es daheim in Tirol Sennerbrauch gewesen; es währte geraume Zeit, bis die alte Gewohnheit des Löffel ableckens abgelegt war.

 

                                   Vermögende Gönner in der neuen Heimat.

Es ist hinreichend bekannt wie die Gräfin von Reden auf Buchwald für die heimatvertriebenen Zillertaler eingesetzt hat. Es ist auch hinreichend bekannt, daß Friedrich Wilhelm III. ein fürsorglicher Landesvater für die Zillertaler wurde. An einem der Zillertaler Häuser war deshalb - in die hölzerne Brüstung des Altans eingeschnitten - "Gott segne den König Friedrich Wilhelm III." Als der König am 7.6.1840 - am Pfingstfest - im Berliner Schloß starb, wurde, wie an vielen anderen Orten Preußens, auch in der evangelischen Kirche zu Erdmannsdorf ein Trauergottesdienst abgehalten, bei welchem der Erdmannsdorfer Pastor Roth die Gedächtnispredigt hielt und wörtlich darlegte:

 

"Gemeinde Erdmannsdorf! Der hochselige König hat deinen Namen eine Bedeutung verliehen, die dich weiterhin nennt im Lande. Er hat dich im schönen Tal gemacht zu einem Glanzpunkt, den zu sehen sie nah und fern kommen. Er hat deinen Dürftigen Brot und deinen Händen Arbeit zum Broterwerb gewährt. Er hat dir ein eignes Kirchensystem und einen eigenen Seelsorger gegeben und baute dir auf ein herrliches Gotteshaus und hat sein Bestehen gesichert mit königlicher Milde.

Gemeinde Zillerthal, was soll ich dir erst sagen? Daß du bist und was du bist, es ist durch ihn! Er nahm dich auf, die heimatlose Herde in Sein Land, gab dir, was du allein suchtest: Glaubensfreiheit, gab dir mehr: Er speiste und versorgte dich ein Jahr lang mit Nahrung und Notdurft des Lebens, baute dir Häuser und teilte dir seinen Acker zu. O, du bekennst heute in deinen Schmerze, was Einzelne unter dir mir so oft bekannt haben: Einen solchen König gibt es weiter nicht!"

 

Doch auch des verstorbenen Königs Sohn - Friedrich Wilhelm IV. von Preußen - war ein treuer Landesvater dieser in Schlesien seßhaft gewordenen Tiroler. Als er zum ersten Male die ev. Schule in Mittel - Zillertal im Riesengebirge besuchte, sangen die Schulkinder ein von ihrem Lehrer Hartmann gedichtetes Lied:

 

"Einen Schatz uns zu bewahren,

führte treue Elternhand

uns in unseren Kinderjahren

in das neue Vaterland.

Freundlich hieß man uns willkommen,

war besorgt um Groß und klein,

der ins Land uns aufgenommen,

mußt ein guter Vater sein!

Einen Schatz uns zu bewahren,

lenkte Gott sein Königherz,

ließen Eltern ihre Heimat fahren,

wo ihr Schatz, da war ihr Herz!

Unsere Kinderherzen schlagen

Auch für unseren neuen Herrn,

können dies nicht ganz so sagen,

und wir möchten doch so gern!"

 

Zu den besonderen Gönnern der schlesischen Zillertaler, die das Wohlergehen der eingewanderten Tiroler mit herzlicher Anteilnahme verfolgten, gehörte die Familie des Prinzen Wilhelm von Preußen auf Schloß Fischbach, eines jüngeren Bruders König Friedrich Wilhelms III. von Preußen.

Prinz Wilhelm war seit dem 12.1.1804 mit der Prinzessin Marianne von Hessen - Homburg vermählt. Aus dieser Ehe gingen 4 Kinder - 2 Töchter und 2 Söhne - hervor. Die älteste Tochter - Prinzessin Elisabeth von Preußen - heiratete am 22.10.1836 den Prinzen Carl von Hessen und bei Rhein. Als die Zillertaler aus Tirol nach Schlesien kamen, weilte sie nicht mehr im elterlichen Schlosse Fischbach im Riesengebirge.

Die jüngere Tochter aber - Marie von Preußen, am 15.10.1825 geboren - war noch daheim. Sie hat - zusammen mit ihren Eltern oftmals auch allein - die Zillertaler besucht. Oft ging sie zu den Kindern der Eingewanderten und beschenkte sie mit Kleinigkeiten und ließ sich von der alten Heimat in Tirol und den Lebensgewohnheiten der Tiroler Zillertaler erzählen.

Am 12.10.1842 wurde diese Prinzessin die Gemahlin des bayrischen Kronprinzen Maximillian von Bayern. Doch auch, als sie Kronprinzessin von Bayern und später Königin Mutter war, bewahrte sie den schlesischen Zillertalern eine herzliche Freundschaft. So ist uns überliefert, daß sie auch - als Königin von Bayern - oft das Haus des Johannes Freidl in Mittel - Zillertal besuchte und auch nach dessen Tod - er starb im Januar 1853 - dessen Frau Sara geb. Bagg, die Treue hielt.

Bei diesem Besuche, als die Königin von Bayern wieder einmal in dem Tirolerhause zu Mittel - Zillertal bei Sara Freidl Einkehr hielt, regnete es schrecklich. Es „goß wie in Kannen", wie man in Schlesien sagte. Da sagte Sara Freidl zu der Königin in natürlicher ungekünstelten Weise: "Frau Königin, du beschlumperst dir dein schönes Kleid!"

 

                     Ein Brief von Zillertal in Tirol nach Zillertal in Schlesien.

Die gebürtige Prinzessin von Preußen wurde also Kronprinzessin von Bayern. Als solche unternahm sie im zweiten Jahr ihrer Ehe eine Reise nach Tirol, nach dem Zillertal, der Heimat ihrer alten Freunde in Schlesien. Und wie sehr sie sich den schlesischen Familien auch als Kronprinzessin von Bayern noch verbunden fühlte, beweist ein Brief, den sie aus Zell den Tiroler Zillertal am 18.6.1844 an die Zillerthaler im Riesengebirge richtete:

 

"Meine lieben Freunde! Von hier - Eurer Heimat - muß ich Herzlich guten Abend und tausend Glück wünschen. Hier bin ich immer mit Euch in Gedanken und bete recht für Euch. Ach, wie bin ich froh, hier sein zu und Eure Häuser kennen zu lernen, Eure Verwandten zu sehen und zu sprechen. Auf jeden Weg und Steg denke ich an Euch und wünsche, ich könnte Euch Eure herrliche Heimat wieder zu zeigen, in der ich ganz zu Hause fühle; ich möchte fast nicht mehr fort von hier.

Gestern Abend 11 Uhr kam ich hier an, bleibe heute den ganzen Tag bis morgen noch den halben Tag bis 12. Heute besuchte ich recht viele von Euren Verwandten, morgen will ich nach Ramsberg, ehe ich fortgehe und oben frühstücke. Ein anderes Mal erzählte ich, wen ich heute von Euren Verwandten besuchte, denn heute ist schon spät, doch diese paar Worte drängt es mich aus Eurer Heimat zu richten."

 

Nach einer reichlichen Woche - am 27.6.1844 - wird dieser in Tirol begonnene Brief in Bad Bocklet bei Bad Kissingen fortgesetzt:

"Im Zillertal konnte ich diesen Brief nicht beschließen, denn ich sehnte mich nach Ramsberg und Barleiten. In Bichl, sah ich Dein Haus Fleidl, und hätte Dir gerne ein Holz geschickt, woraus du sonst Schuhe gemacht hast und welche mir die Wechselbergerin ( so heißt sie, glaube ich, die deinem Hause wohnt?) zeigte, dagegen schicke ich Dir durch Elisabeth ( gemeint ist die Schwester des bayrischen Kronprinzessin, Elisabeth von Hessen) Blätter von Deinem Birnbaum, der so schön Dein Haus beschattet. Die Wechselbergerin läßt Dich herzlich grüßen, sie freute sich recht herzlich, von Euch zu hören und fragte sehr viel nach Euch."

 

Johann Freidl war - wie uns allen bekannt ist - der Anführer der Zillerthaler. In Taubichl in Tirol war er Schuhmacher und Hausweber gewesen. In Schlesien besaß er eine kleine Landwirtschaft, die er bis zu seinen Tod bewirtschaftete und die später in den Besitz seines Schwiegersohnes Johannes Hechenleitner gelangte. Fleidls Sohn Johannes lebte als königlicher Förster in Wildpark bei Potsdam.

Nachfolgend richtet sich die Kronprinzessin in ihrem Brief an die Familie des Tiroler Bauer Bartholomäus Heim:

 

"Auch Dir -  lieber Heim - und Deiner Miedel soll ich recht viele Grüße bestellen und von Euren Verwandten. Ich sah Deine Eltern, Deinen Bruder, dessen Frau und Kinder, liebe Miedel Heim. Dein alter Vater war besonders bewegt, wie alle Deinen, als ich von Euch sprach, von Euren hübschen Häusern und Kindern."

 

Dieser Bartholomäus Heim bewirtschaftete eine Bauernstelle in Mittel - Zillerthal. Seine Ehefrau Marie geb. Schönherr, starb 1846 an einem Krebsleiden. Heim suchte Trost bei seinem vielen Büchern, die er besaß und von denen er manches schon aus der Tiroler Heimat mitgebracht hatte. Er besaß eine wertvolle Ausgabe von Martin Luthers Werken, die er aus dem Nachlaß des Kandidaten der Theologie Alberti in Schmiedeberg erworben hatte. Eine Lutherbibel hatte er aus Tirol mit nach Schlesien gebracht; er übereignete sie der evangelischen Kirche in Schmiedeberg, Im Jahre 1866 - kurz vor Ausbruch des Krieges zwischen Preußen und Österreich - starb Bartholomäus Heim im Hause seiner Tochter Marie, Ehefrau des Joseph Geisler.

Wenn wir uns jetzt wieder den Brief der Kronprinzessin von Bayern zuwenden, so erfahren wir, daß sie dem Bauern Johann Strasser in Mittel - Zilllerthal Grüße ausrichtete:

 

"In Hollenzen sah ich auch die Base von Johannes Strasser, die Dich und alle recht herzlich grüßen läßt, lieber Strasser. Dein Haus hatte ich nicht mehr zu sehen, auch regnete es so stark, daß ich beim Bendler bleib."

 

 In Tirol erinnert sich die Kronprinzessin auch des Joseph Stock in Hohen - Zillerthal, der in Schlesien einen beachtlichen Viehhandel mit Schafen und Ochsen betrieb:

 

"In Finkenberg frühstückte ich Kartoffeln und Milch bei Deiner Schwester, lieber Joseph Stock. Sie hatte unendlich Freude über die Nachrichten, die ich ihr von Euch gab. Sie hofft, Du besuchst sie bald wieder. Oft wiederholte sie, wenn sie Dich nur einmal wieder sehen könnte. Sie und ihr Mann lassen Euch recht schön grüßen. Elisabeth ( die bereits genannte Prinzessin von Hessen ) bringt Dir eine Blume mit, die sie mir für Euch aus ihrem Garten gab und einen Kronenthaler für ihre Pate, Dein Kind. Sie weinte viel vor Freude, mit ihr über Euch sprechen zu können, und ist unserem König dankbar, daß er Euch so schöne Häuser, Felder und Alles gab, was Ihr wünschtet."

 

In Hohen - Zillerthal waren zwei Brüder Oblasser angesiedelt, da die Kronprinzessin in Tirol ihrer Mutter begegnete, so schreibt sie darüber an die Brüder im Riesengebirge:

 

"Beim Rückweg stieg ich an der Stiege in den kleinen Wagen, den ich von Zell nahm. Ehe ich einstieg, schickte ich zur alten Lise Gitsche, um ihr von ihren Söhnen, den Oblassers sprechen zu können. Sie ließ sagen, es würde ihr zu schwer, bis an den Wagen zu gehen, ob ich nicht hinkommen könnte. Da wollte ich auch ins Haus gehen, doch ich begegnete sie schon vor dem Haus; sie ging am Stock, sah recht wohl aus, freute sich - wie auch ihre Schwiegertochter - von ihren Söhnen zu hören. Ihr verheirateter Sohn war nicht da, nur seine Frau. Mutter und Schwägerin lassen euch schön grüßen, lebe Oblassers. Ich erzählte ihr, daß der eine Oblasser Wirth ist und Spinnradl macht, das freute die alte Mutter."

 

Nachfolgend werden von der Prinzessin Grüße für Georg Schönherr bestellt, der in Mittel - Zillerthal wohnt. Die Brüder Geisler, die ebenfalls in Mittel - Zillerthal eine Heimstatt gefunden hatte, erhielten Grüße von ihrer Schwester Anna, die zugleich auch die alte Geisler Mutter im schlesischen Zillerthal grüßte und der Kronprinzessin schluchzend gestand: "Ach, meine Mutter, meine Mutter, die möchte ich mal wiedersehn!"

 

Und gar viel noch berichtet die Kronprinzessin den Zillerthalern nach Schlesien, wie sehr sie ihre Angehörigen in Tirol noch immer lieben, wie sehr sie auch über den Berichten der Prinzessin über den Tod derer ergriffen waren, die sich des Lebens in der neuen Heimat nicht lange erfreuen konnten und bald auf den Gottesacker unweit des Anwesens von Johann Freidl ihre letzte Ruhe fanden.

Unter den Zillerthalern, die im Riesengebirge eine neue Heimat gefunden hatten, war auch ein Bauer Andreas Egger, der um seines Glaubenswillen aus Tirol ausgewandert war, seine Frau und die Kinder aber in der alten Heimat zurück gelassen hatte, weil sie die Frau weder von ihren Eltern noch von ihrem Kindern trennen suchte.

Auch die Frau Andreas Eggers - Anna geb. Rieser - mit ihren Kindern, wurde von der Kronprinzessin besucht. Darüber stand in dem Briefe ein ausführlicher Bericht für den einsamen Mann im schlesischen Riesengebirge, welcher Besitzer einer Landwirtschaft von 25 Morgen geworden war und in Mittel - Zillerthal das Anwesen Nr. 26 bewirtschaftete:

 

"Beim Wirthaus in Ramsau fand ich Andreas Eggers Frau mit 3 Kindern, die anderen sind auch sehr wohl, konnten aber nicht mit. Den Kleinen hatte ich expreß bestellt, um Dir - lieber Andreas Egger - Nachricht von ihm zu geben, den Du immer im Bette hattest. Deine Frau sah sehr recht wohl aus, wie auch der älteste Sohn, der Schullehrer, dieser mußte sprechen, denn Deine Frau weinte immer vor sich hin. Der kleine Franzel Franziskus Egger, geb. am 26.4.1836, gest. 1918 als Fürstbischof von Brixen, sah recht wohl aus und ist ziemlich groß für sein Alter. Alle die Deinen lassen Dich grüßen, die Frau, der Sohn, das Mädchen und der kleine Franzel. Ich erzählte von Dir, das Du oft an sie denkst und sie gern wiedersehen möchtest. Das möchten sie wohl auch, sagten alle. Dein ältester Sohn sagte: "Wir möchten den Vater wohl bitten, daß uns nicht vergißt und nicht böse auf uns ist!"

 

Was die Kronprinzessin jetzt schildert, offenbart uns noch einmal die menschliche Not, von der die betroffenen Familien betroffen wurden, wenn der eine fortgezogen, nach Schlesien gegangen, war und der andere zurückblieb:

 

"Als ich ihnen Lebewohl sagte und fortfuhr, wollte Deine Frau den Wagen festhalten. Es tat ihr weh, ihn fortrollen zu sehen", und tröstend fügt die Briefschreiberin hinzu:

 

"Aber es geht ihnen gut, sie sind wohl und denken recht viel an Euch. Um 1 Uhr verließ ich Zell am Ziller und Eure heimatlichen Berge. Es tat mir weh von dort zu scheiden, wo man mich überall so freundlich aufnahm, ehe man oft nur wußte, wer ich sei. Ein jeder bewies mir Liebe und Freundlichkeit dort, und ich fühlte mich am wohlsten und am heimischten in diesem überaus schönen  Tal in mitten von Euren Verwandten. Über Flügen bei Straß verließ ich das liebe Tal, noch solange zurückblickend als möglich, und betete recht für Euch und Eure Verwandten.

Nun lebt wohl, Gott mit Euch allen! Betet für mich und denkt oft an Eure Freundin Marie."

 

                                           Das Schicksal des Andreas Egger.

Wie es aber diesem Andreas Egger, dem die bayrische Kronprinzessin so ausführlich über seine Frau und die Frau berichtet, so weiter ergangen ist? In den Kirchenbüchern von Hippach fand ich die Namen und Lebensdaten seiner ganzen, recht zahlreich zählenden Familie verzeichnet. Er selbst - am 29.11.1787 "an der Grube Schwendberg" geboren - heiratete am 19.10.1818 zu Hippach die

Anna Rieser im Mühltale. Neun Kinder gebar die Anna Rieser ihrem Ehemanne, der ein Bauerngut im Mühltale - vielleicht das seiner Schwiegereltern – bewirtschaftete.

 

Bei der großen Auswanderung 1837 mußte er allein den Wanderstab ergreifen. Die Frau, die Kinder blieben zurück, weil sie sich dem kath. Glauben verbunden fühlten als der Vater. Die bäuerliche Wirtschaft in Mittel - Zillerthal in Schlesien veräußerte er 1852 an Matthias Oblasser aus Hohen - Zillerthal. Er lebte vorerst bei seinen Wirtsleuten als Auszügler.

 

Der älteste seiner im Zillertal verbliebenen Söhne - Johannes geb. am 5.6.1819 in Mühltal Hippach - hat daheim in Tirol das väterliche Gut übernommen. Er hat aber auch seinen alten Vater in Schlesien besucht. Auch Andreas Eggers Sohn Georg - geb. am 23.4.1821 in Mühltal - besuchte den Vater in Schlesien. Der Sohn war Schulmeister geworden und hat besonders den alten Vater zugeredet, doch nach Tirol zurück zu kehren. Er versprach ihm auch, man werde ihm bei seinem Glauben lassen, wenn er nur wieder heimkehre und seiner Familie wieder nahe sei.

 

Der jüngste der Söhne - Franziskus, Franzl genannt, am 26.4.1836 in Mühltal geboren - besuchte 8 Jahre das deutsche Kolleg in Rom und studierte Theologie.

Er schrieb stets fleißig an seinen Vater und suchte ihm zu überzeugen, daß er sich auf einem Irrweg befände. Aber Andreas Egger wollte den lutherischen Glauben nicht verleugnen. Der ev. Pastor von Zillerthal im Riesengebirge hat alle seine Briefe an den Sohn - der 1918 als Fürstbischof von Brixen starb - beantwortet und immer hatte Andreas Egger erklärt, er wolle dem ev. Lauben treu bleiben und könne nicht mehr katholisch werden.

 

Egger hatte auch einen Sohn Markus - der am  23.3.1834 in Mühltal geboren - der als österreichischer Soldat der Schlacht bei Solferino teilgenommen hatte. Nach dem österreichisch - italienischen Kriege übernahm er in seiner Tiroler Heimat eine Alpenwirtschaft. Auch er besuchte seinen Vater in Schlesien, und er brachte soviel Zeit mit zu Bleiben, bis sein Vater entschlossen war, sein einsames Leben zu beenden und mit ihm nach Tirol zurück zu kehren. Das geschah im Jahre 1862, nachdem Andreas Egger lange einsam und voll Sehnsucht nach seiner Familie im Herzen seiner Tage in Schlesien zugebracht hatte.

 

Sein Haar war in den 25 Jahren seines Lebens völlig weiß geworden. 1868 ist er in seiner Tiroler Heimat verstorben. Die Zeitungen berichteten, daß er vor seinem Tode in den Schoß der katholischen Kirche zurück gekehrt sei, so erhielt er auch ein Grab in geweihter Erde, in der Erde seiner Heimat, im Tiroler Zillertal.

 

Ursprünglich veröffentlicht im „Schlesischen Gebirgsboten“ von Hein Kulke 1967 in den Ausgaben 33 bis 35.

 

 

Erstellt: W.Schön; Mail: genealogie@wimawabu.de