Die Schneekoppe

von Oskar Günzel

 

 

„Für den richtigen Schlesier bleibt das Riesengebirge die Krone aller Gebirge und die Schneekoppe ist unser Gaurisankar und Aconcagua:

 

Wohin Du immer steigest,

stets ist die Schneekoppe das letzte Ziel!

Steige! Steige!

Sterne stehen über Dir! -

Sterne führen Dich liebevoll!“-   H.Z.

 

Mit unserm Hans Zuchold war uns die Schneekoppe der Inbegriff alles Hohen und Erhabenen, des Höchsterreichbaren. Sie ist uns in der Fremde auch heute noch ein unverlierbarer Heimatbegriff. Wir können, wie bei einem lieben Menschen, nie genug von ihr hören.

Es gelang mir, mit dem altbewährten Koppenwirt Heinrich Pohl ins Gespräch zu kommen. Wie immer, wenn schlesische Landsleute sich treffen, kamen wir beim Plaudern vom Hundertsten ins Tausendste; - es erstanden die Zeiten, wie es vordem auf der Schneekoppe aussah. Heinrich Pohl erzählte:

„Zunächst befand sich auf dem Koppengipfel nur die im Jahre 1668 von Graf Christoph von Schaffgotsch erbaute Laurentiuskapelle; sie bot wohl dem müden Wanderer auch einigen Schutz vor Wind und Wetter. Irgendwelche Erfrischungen – außer eigener Marschverpflegung – fand man nicht vor, wenn nicht Führer und Träger an der äußeren Kapellenmauer aus mitgebrachten Knieholzreisern ein Feuerchen zum Erwärmen von Getränken usw. herrichteten.

Das wurde besser, als im Jahre 1824 der Warmbrunner Gastwirt Siebenhaar die Erlaubnis erhielt, die Kapelle als eine kleine Gaststätte einzurichten. Dieser Zustand bestand bis 1850. In diesem Jahre wurde die von Friedrich Sommer erbaute Deutsche Schneekoppenbaude in Betrieb genommen. Dem Grundbesitzer Graf  Schaffgotsch in Warmbrunn war eine Grundpacht zu entrichten. Die Kapelle wurde nun ihrem ursprünglichen Zwecke wieder zugeführt.

Die Baude, die zweimal in den Jahren 1857 und 1862 abbrannte, wurde jedesmal von Sommer wieder aufgebaut. Sie war eine Fachwerkbau in drei Stockwerken; das hohe Dach bestand aus doppelt gedeckten Schindeln. Zu dem festen Steinfundament wurde der Granit des Koppenkegels verwendet. Das gesamte Baumaterial usw. mußte durch Träger heraufgebracht werden.

Die Baude hatte eine Anzahl untereinander verbundenen Blitzableiter. Da auf der Koppe (1605 m), als höchste Erhebung des Riesengebirges, Grundwasser für die Blitzerde nicht zu finden war, wurde in einer kleinen Quelle am Rande des oberen Melzergrundes, die über 200 m tiefer lag, eine gute Erde hergerichtet, zu der als Erdleitung vom Koppenhause ein starkes Kupferseil führte. Später wurde auch die neu angelegte Wasserleitung als Erde benutzt.

Im Jahre 1868 erbaute Blaschke aus den Grenzbauden die Böhmische Baude, die bis auf einige An- und Umbauten in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieb. Sie war während des ganzen Jahres geöffnet.

Im Winter wurde sie von Johann Kirchschläger betreut, der als österreichischer Telegraphist ständig fungierte. Im Jahre 1880 wurden ihm auch die regelmäßigen Aufzeichnungen der Instrumente für die Wetterbeobachtung von der naturwissenschaftlichen Sektion der Vaterländischen Gesellschaft in Breslau, bis zur Inbetriebnahme des Observatoriums, 1900, übertragen.

Im Jahre 1875 erwarb mein Großvater Friedrich Pohl die deutsche und die böhmische Schneekoppenbaude.

Als er  im Jahre 1886 starb, gingen sie auf meinen Vater Emil Pohl über. Er erbaute im Jahre 1901 im Melzergrund das „Einkehrhaus am Melzergrund“ (1100 m). Es wurde leider schon im folgenden Jahr, 1902, von einer Lawine völlig weggerissen, nur die Fundamente waren noch zu erkennen.

Nach dem Heimgange meines Vaters im Jahre 1921 kamen die Bauden in meinen Besitz.

Während bisher die deutsche Schneekoppenbaude im Winterhalbjahr geschlossen blieb, wurden nun die beiden Bauden im Winter wechselseitig offen gehalten. Durch Kauf erwarb ich den Grund und Boden der Böhmischen Baude; dadurch entfiel die bisher an den Grafen Czernin zu entrichtende Grundpacht; auch die von ihm im Jahre 1911 erbaute Wasserleitung konnte ich erwerben. Sie war auf der böhmischen Seite am Kiesgraben im Riesengrunde mit 120 000 Kronen entstehenden Kosten angelegt worden, hatte eine Steigung von 450 m, also einen Druck von 45 atü zu überwinden. Betrieben wurde sie durch ein Peltonrad und Benzinmotor. Dadurch erübrigte sich das Heraufholen von Wasser das bis dahin in Fäßchen dem Goldbrunnen (Goldborn,1380 m), nahe der  Einmündung des Gehängeweges auf dem Koppenplan entnommen wurde.

Im gleichen Jahre, 1911, wurde der Fahrweg über Brückenberg, Schlingelbaude, Hampelbaude, Koppenplan ausgebaut. Somit konnte sämtlicher Bedarf der Baude, der bisher von unserem Depot in Krummhübel durch Träger heraufgetragen werden mußte, von Pferdegespannen nach dem neu errichteten Depot auf dem Koppenplan, unterhalb der Koppe, gefahren werden. Kraftwagen durften die Kammwege nicht benutzen. Doch blieb immerhin noch genügend Arbeit für die Träger, die nun die Lasten den steilen Aufstieg zur Höhe der Koppe herauftrugen, übrig.

Wohl jeder Wanderer in unserem Hochgebirge ist diesen wackeren Männern begegnet, die bei jedem Wetter, ob bei Sonnenglut, Kälte, Regen, Hagel- und Schneesturm unverdrossen die schweren Lasten auf ihren Hucken auf dem Buckel trugen. Einige erstiegen mit ihren Lasten täglich zweimal, von Krummhübel aus, über das steile Gehänge die Koppe. Es sollen die mit unserem Gebirge so innig verwachsenen Männer unvergessen bleiben. Es waren aus Krummhübel: Liebig Hermann (während 45 Jahren), der hauptsächlich das Observatorium versorgte, Lindau und Maiwald , die ältere Generation; - Sagasser, Guttstein und Kleinert, die Jüngeren. - Aus Großaupa und Sagasserbauden (also Böhmen) die Hofers, Sagasser, Hintner und Mitlöchner. Der älteste war  Johann Hofer, geb. 1859, gest. 1934; er war bereits bei Sommer tätig und dann bei allen drei Generationen Pohl; im ganzen 50 Jahre.

 

„Ist ihnen, mein lieber Herr Pohl, noch die Raumeinteilung der Schneekoppenbaude in Erinnerung?“

Ja, gewiß! Im Erdgeschoß befand sich der große Gastraum mit gediegenen, zweckmäßigen Möbeln; neben zwei kleineren Zimmern lag die große Küche, mit Neben- und Lagerräumen; von zwei Büfetts wurden die Gäste bedient. Die Trägerbaude, ein Verkaufsraum für Andenken und die Postagentur waren in der Nähe des Eingangs untergebracht; ebenso ein Raum für Heizmaterial.

Im ersten Stock gab es 17 Zimmer für Gäste und das Büro. Im zweiten Stock lagen noch acht Gastzimmer, nebst Kammern und Personalzimmern; auch ein Massenquartier konnte eingerichtet werden.

Wenn die Übernachtungsmöglichkeiten voll belegt waren, was in der Hochsaison oft vorkam, wurde eine große rotweiße Flagge gehißt; diese Einrichtung gab man 1919 wieder auf.

Sämtliche Räume hatten gute Doppelfenster und meist Fensterläden. Die Wirtschafts- und Wohnräume besaßen Kachelöfen, die Fremdenzimmer konnten durch Petroleumöfen geheizt werden.

Zur Beleuchtung dienten Kerzen, Petroleumlampen und Spiritusglühlicht. Im Jahre 1943 erhielten wir elektrisches Licht durch Kabel.

Die Gastwirtschaft bot in den Speisen-und Getränkekarten die gleiche Auswahl, wie im Tal. In großen Mengen wurde Erbsensuppe mit Würstchen verzehrt, auch war rege Nachfrage nach Schiwasser, einer Mischung mit Himbeer und Zitronen. Bier kam aus verschiedenen deutschen Brauereien, es wurde sogar mit Kohlensäure verschänkt.

„Wie in allen Gebirgsbauden, deren Leitung in den Händen der Besitzer lag, standen auch uns die  Ehefrauen und Familienangehörige treu zur Seite. Auch das Personal ist erwähnenswert; zumal die besonderen Verhältnisse hier oben den Betrieb erschwerten und es irgendwelche Abwechslung nicht gab; manche der Getreuen war während vieler Jahre unsere Hilfe.“

 

„Wie war denn die Verpflegung in der Böhmischen Baude?“

„Im allgemeinen die gleiche; doch gab es einige böhmische Spezialitäten zu essen, dazu das gute echte Pilsner, aber auch Trautenauer und Hohenelber Bier, darauf einen Sliwowitz, den guten Pflaumenschnaps. Die Baude wurde gern aufgesucht, Nachtgäste nahm sie auch auf, doch in geringerem Maße.

Bis zum Ende des ersten Weltkrieges gehörte die Böhmische Baude bekanntlich zu Österreich, zum Land Böhmen. Nachher, mit der gleichen Grenze, zur Tschechoslowakei.

 

„Hatten Sie in ihrer Höhe sehr unter Kälte und Nässe zu leiden?“

„Im allgemeinen nicht. Wir hatten ja stets genügend Kohlenvorrat; auch war unsere Kleidung dem  jeweiligen Wetter angepaßt. In manchen Kachelöfen wurde ja fast stets, auch im Sommer geheizt, denn das Wetter war meist stürmisch, kalt und feucht. Das Jahresmittel betrug 0,2 Grad Celsius, der Höchststand 16 bis 17 Grad; das Barometer im Mittel 625,6 mm. Im Winter gab es auch Temperaturumkehr, so daß mitunter im Hirschberger Tal mehr Kältegrade waren, als im Hochgebirge. Es kamen auch Stunden, namentlich vor Gewittern, ohne jeden Luftzug, so daß die Wanderer im Freien lagerten und die Gattin des Meterologen das Jüngste im Kinderwagen unbesorgt draußen stehen lassen konnte. Es gab aber auch Zeiten, in denen die Koppe tagelang in  den Wolken oder darüber lag und keinerlei Sicht war. Oft trug die Koppe „die ale Gaake“, am Frühmorgen noch die von Paul Keller in seinem „Bergkrach“ belustigt erwähnte „weeche mollige Nachtmütze“, die dann ein frischer Morgenwind lüftete. Manchen Besuchern bekam die dünnere Höhenluft gar nicht, sie mußten bald wieder in tiefere Regionen absteigen; ebenso ging es Empfindlichen, die in unserer Höhenlage keinen Schlaf finden konnten.“

Wie in allen Gebirgsbauden war auch in unserer Schneekoppenbaude die schlesische Gemütlichkeit zu Hause. Wenn auch draußen Rübezahl auf seiner Wetterorgel sämtliche Register aufzog und der nächtliche Sturm mit Donnerstimme die Baude erzittern ließ, störte das den frohen  Baudenbetrieb nicht; nur schwere Gewitter dämpften manchen Übermut.

 

„Welche Unterhaltungsmöglichkeiten wurden den Gästen geboten?“

„Im Gastraum stand ein Klavier von Ed.Seiler, Liegnitz; das Spezialgehäuse war mit Gebirgsblumen bemalt. Doch gab es in beiden Bauden hauptsächlich Zithermusik, deren heimischen Weisen man gerne lauschte; bei frohen Klängen wurde flott das Tanzbein geschwungen, Doch ging der Baudenbetrieb wegen der Nachtgäste, die ja den Sonnenaufgang genießen wollten, nur bis 23 Uhr.“

 

„Möchten Sie etwas von Ihren Wetterbeobachtungen, besonders bei Gewittern, erzählen?“

„Darüber ist Manches zu sagen!“ Der hohe Gebirgswall des Riesengebirges, der die beiden Ebenen,  das weite schlesische Tiefland, mit seinem kontinentalen Klima, und die Fläche des Böhmerlandes trennte, bildete eine Wetterscheide. Die ganz verschiedenen klimatischen Verhältnisse der großen Gebiete verursachten wohl in ihrem Ausgleich die bekannten plötzlichen Wetterstürze, für die der  Berggeist Rübezahl herhalten mußte. Häufig fegten unvermittelt von der hohen Iser her, in der allgemeinen Windrichtung, Hagel- und Wetterstürze den Kamm entlang zur Koppe.“

„Das konnte man von Hirschberg aus, während im Tal schönes Wetter war, gut verfolgen. Es war interessant, wie die tiefgehenden Wetterwolken von West nach Ost  fortschritten und  mitunter den Kamm plötzlich in winterliches Weiß kleideten.“

„Hierzu kamen die völlig verschiedenartigen, vertikal aufsteigenden Luftströmungen über den teilweise kahlen Gebirgskamm, neben den Hochmooren, - aus den Gruben und Gründen mit manchen Schneefeldern; wie aus den wasserreichen, tiefen Tälern mit ihren Wiesen und Wäldern, - doch auch über den beiden Meeraugen, dem Großen und dem Kleinen Teich. (550 u.250 m lang.)

Diese Luftsäulen über dem Gebirge, verschieden in Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt, beeinflußten, wie oft beobachtet, den Zug der Wolken und die Tragfähigkeit der Luft für Flugzeuge.

All diese auf verhältnismäßig kleinen Raum zusammengedrängten Faktoren hatten großen Einfluß auf die Wetterbildung der ganzen Landschaft.

Bei schweren Gewittern schlug es oft in den Bauden und im Observatorium ein, es entstanden aber niemals Schäden. Man mußte nur, wenn es so krachte, die Ruhe bewahren. Nicht selten befanden wir uns mitten in den Gewitterwolken, mächtige Naturgewalten tobten sich aus, doch fühlten wir uns im Schutze unserer erprobten Blitzsicherungen geborgen.

Bei neblig feuchtwarmen Wetter, oder kurz vor Gewittern, zeigten sich geheimnisvolle Elmsfeuer an manchen erhabenen Punkten auf dem Koppengipfel. Auch das sogenannte Brockengespenst war, wenn auch selten, in der Richtung nach dem Melzergrund zu sehen. Die Wanderer wurden oft schon  beim Verlassen des Bannwaldes von starkem Weststurm erfaßt, so daß sie notgedrungen zur Erreichung der Höhen auf allen Vieren kriechen mußten. Mitunter warf sie der Orkan beim letzten Stück vor der Koppenbaude noch gegen die Eingangstür.

Wenn erforderlich, stand eine „Erste Hilfe“ zur Verfügung. Mit einem „Gottseidank endlich unter schützendem Dach“ -  versuchten sie zunächst im Vorraum wieder Haltung zu gewinnen, um in der Gaststube wenigstens einigermaßen menschlich zu erscheinen.

Es gab wiederum häufig amüsante Bilder, wenn Wanderer und besonders Wanderinnen in ungeeignter Kleidung und mit Stöckelschuhen in die Berge kamen und, vom Wetter zerzaust oben anlangten. Sie wurden von denen, die nun geborgen waren, mit „teilnehmendem“ Hallo begrüßt, auch wenn Rübezahls Tücke manchen Hut entführt hatte.

Da drängten die Durchnäßten gern nach dem warmen Kachelofen, der mit allerlei Kleidungsstücken zum Trocknen drapiert war. Frohe Weisen auf der Zither trugen dazu bei, die glücklich überstandenen Mühsale zu vergessen. Wenn nun gar ein Paar ein Tänzchen wagte, folgten alsbald andere, und alles fand sich schnell in unbeschwerter, sorgloser Gemeinschaft.

Mitunter lösten Gäste den Zitherspieler am Klavier ab, manch heimatliches Lied wurde gesungen. Doch erfreuten auch künstlerische Darbietungen; in diesem Rahmen wurden die Gaben besonders dankbar und beifallfreudig entgegengenommen.

 

„Die Koppenbesucher kamen doch gewiß mitunter von weit her, das muß doch sehr interessant gewesen sein?“

„Aus aller Herren Länder kamen sie, wie man so sagt. Von manchen, aus fernem Land, erhielt ich oft freundliche Grüße und die Versicherung, wie gut es ihnen in Schlesien gefallen hat. Die Gäste gaben vielfach Gelegenheit zur Beobachtung ihrer landsmännischen Eigenart und Lebensanschauung. Besonders freuten wir uns, wenn Wanderer aus dem Westen des Reiches den Weg zu uns fanden.

Sie waren überrascht von von der Gestaltung des Riesengebirges mit der Ausdehnung der Hochgebirgskämme, die auch über den benachbarten Brunnberg, 1550 m, weit ins Böhmerland reichten.

Sie hörten erstaunt, daß oberhalb der Baumgrenze, 1200 m, die Gesamtfläche der Kämme und Abhänge 70 qkm betrug.

Ebenso wie der Blick in die Tiefen des Riesen- und Melzergrundes erfreute das Bild des gebirgs- umrahmten weiten Hirschberger Tales mit seinen Waldbergen, und den reichbewohnten Ortschaften, dazwischen manche Wasserflächen.

All diese Großartigkeit hatten sie nicht erwartet.

Selbst die Berliner, denen doch sonst selten etwas imponiert, waren hier oben ganz klein; bei ihrem Abschied sagten sie oft: „hierher kommen wir wieder“.

Doch war die Wesensart der Landsleute aus der engeren schlesischen Heimat bemerkenswert. In froher Runde bei Wort und Lied, auch in manchem Zwiegespräch, gaben sie ihrer Freude und ihrem Stolz, unsere heimatliche Schneekoppe bestiegen zu haben, bewegten Ausdruck. Hochstehende Persönlichkeiten, wie auch der einfache Mann, waren überwältigt von der Erhabenheit der Gottesnatur, dem Rundblick in weite Fernen und über ihr zu Füßen liegendes schlesisches Heimatlandes.

Gleiche Empfindungen fanden sich auch in den Fremdenbüchern; wir haben sie im Kriege vorsorglich dem R.G.V.-Museum in Hirschberg übergeben.

Wilhelm Busch besuchte auch das Riesengebirge und die Schneekoppe. Er hatte schon mit dem Wetter Pech. „Nebel war am ganzen Tage – und der Aufstieg eine Plage.“ Als er oben ankam „hier nun auf der höchsten Spitzen Preußens , wollt acht Tag ich sitzen – oben, dacht ich, hast du Ruh – schrumm! schließt Pohl die Bude zu!“ - Mein Großvater war im Begriff, die deutsche Baude für die Überwinterung zu schließen -, doch verewigte  sich Wilhelm Busch schnell noch im Fremdenbuch mit dem Segenswunsch:

 

„Darum sei auch dieser Klause,

 -bleibt der Wirt auch nicht im Hause -

Glück und Segen, Lust und Freud`

einbeschert für allezeit! -

Dies der Wunsch und nun der Schluß,

viel Vergnügen – Wilhelm Busch.“

Schneekoppe den 30.Sept.1882

 

Ein großer Freund und Kenner unserer Berge war Theodor Fontane; sein Roman „Quitt“ findet hoch oben am Gehänge seinen tragischen Ausgang; Fontane war mit der Familie des Amtsgerichtsrats Georg Friedländer in Schmiedeberg, durch jahrzehntelange Freundschaft verbunden. Oft wohnte Fontane in Krummhübel Nr. 25 bei Tischlermeister Schreiber. - Der in seiner Erzählung „Eine Nacht auf der Koppe“ erwähnte Pohl war mein Großvater. Er starb an jenem Abend. ; noch in der gleichen Nacht wurde der Verstorbene ins Tal getragen. Fackelträger begleiteten den kleinen Kondukt. Der Großvater fand im Erbbegräbnis der Familie Pohl auf dem Friedhof in Hischberg seine Ruhestätte. Es war im Jahre 1886“.

 

„Sie hatten doch auf der Koppe einen lebhaften Postverkehr wie zu beobachten war, in welcher Weise hat er sich entwickelt?“

„Aus kleinen Anfängen, - mit einem Briefkasten, Doch wurde bereits am 1. Juni 1872 eine Postagentur errichtet, die jahrzehntelang Johann Kirchschlager versah. Er verwaltete auch die österreichische Postagentur in der Böhmischen Baude, die ihre tägliche Post vom Postamt Petzer erhielt. Nach dem Ableben des braven Kirchschlager im Jahre 1918 wurde der Dienst der Postagentur in der Deutschen Baude von uns verpflichteten, sogenannten Postfräuleins versehen.

Abrechnungspostanstalten waren zunächst das Postamt in Arnsdorf/Rsgb., dann von der Mitte der neunziger Jahre ab die geschaffene Postagentur Krummhübel, die später Postamt wurde. Schließlich gehörten wir zum neu erstandenen Postamt Brückenberg.

Etwa 1895 bestellte der Posthelfer Robert Fleiß aus Krummhübel die Post als erster Koppenbriefträger. Nach Errichtung des Postamtes in Brückenberg versah er von dort seinen Dienst bis ins späte Alter. Ebenso wie die Träger nahm Fleiß den Gehängeweg zum Aufstieg; er war zwar steiler und bei schlechtem Wetter weniger geschützt, aber etwas kürzer. Seit der Entstehung der Ansichtspostkarten nahm das Gewicht der ins Tal mitzunehmenden Postsachen ständig zu; an einem Tage wogen sie fast 80 Pfund. Die ersten Ansichtskarten der Schneekoppe stellte mein Großvater durch einen Aufdruck mit einem Gummistempel auf die Postkarten selbst her. Die auf der Koppe versehentlich in den unrechten Briefkasten geworfenen Briefe wurden, wie postseitig genehmigt, oben kurzerhand umgetauscht.

Neben der Telegrafie mit Morsebetrieb erhielten wir in der Deutschen Baude im Jahre 1911 auch einen Fernsprechanschluß, der wegen der erhöhten Blitzgefahr besonders gesichert wurde. Großer Pflege bedurften die Drahtleitungen auf die Koppe, die allem Sturm und Wetter ausgesetzt waren; am sichersten lagen sie im Winter, geborgen im tiefen Schnee. In den Jahren 1923/24 wurden Kabel gelegt.

Wir Gebirgler waren durch Telegraphie und Fernsprecher dem fernen Weltgetriebe ja schon nicht mehr so fern, wie ehedem. Doch wurde unsere Vereinsamung durch den Rundfunk fast völlig aufgehoben. Häufig störten allerdings atmosphärische Einflüsse, doch hatten wir auch recht guten Empfang, selbst von weit entfernten Sendern. Neben der Nachrichtenübertragung konnten wir einwandfrei Musik hören, die oft im Lautsprecher zum Tanz aufspielte.

Zu den seit langem bestehenden drei Aufstiegswegen zm Koppengipfel, dem steilen Zickzackweg vom Westen her, den Wegen von den Grenzbauden und über die Leischnerbauden, kam der sogen. Jubiläumsweg hinzu, den der Riesengebirgsverein im Jahre 1905 bei seinem 25 jährigen Bestehen anlegte. Wenn er auch durch seine geringere Steigung einen bequemeren Aufstieg ermöglichte, war er im Winter durch Schneeverwehungen und Vereisung unpassierbar, da die Gefahr des Abrutschens in den Melzergrund bestand, er wurde deswegen gesperrt. Wer nicht völlig schwindelfrei war, mußte ihn, ebenso wie den Zickzackweg, schon sommers meiden. Der Jubiläumsweg besteht nun schon 50  Jahre.“

 

„Welche entfernt liegenden Orte und Gebirge konnten Sie von der Koppe aus sehen?“

„Bei klarer Sicht und mit gutem Glas erkannte man den Turm der Elisabethkirche in Breslau, auch die Pfarrkirche in Schweidnitz und die Türme von Liegnitz. Von Prag konnte man nur den Hradschin und den Weißenberg sehen.

An Bergen sah man neben dem Zobten die Hohe Eule, den Glatzer Schneeberg, die Hohe Mense und den Altvater. Nach Westen waren sichtbar der Gröditzberg, die Landeskrone bei Görlitz und die Zittauer Berge, der Jeschken bei Reichenberg, der Milleschauer, dahinter die Gegend von Zinnwald im Sächsischen Erzgebirge.“

„Es wird sie, mein lieber Herr Pohl, interessieren, von welchen Orten wiederum die Schneekoppe zu erkennen war. So konnte man die Koppe von weit her auf der rechten Oderuferseite noch sehen, selbst von den Weinbergen bei Grünberg; das sind etwa 120 km.

Doch auch von Böhmen her, sogar vom Fichtelgebirge und Bayrischen Wald, vom 1374 m hohen Lusengipfel, unter dem der Schweidnitzer Landmann Heinz Koslitz das Lusenschutzhaus erbaute. Die weiteste Fernsicht zum Riesengebirge wurde beobachtet vom Dreisesselberg im Stifterlande, 40 km nördlich von Passau, an der Donau; das waren 250 km.

 

„Kam auf der Koppe irgendeine Sportbetätigung in Frage?“

„Nein das war ausgeschlossen. Abgesehen von den großen Felsblöcken und Granitgeröll auf dem Koppenkegel, wodurch jeder Sport unmöglich war, verbot dies auch die unübersichtlich verlaufende  Landesgrenze. Doch erklomm einmal ein tschechischer Pkw aus Trautenau über über die Leischerbauden infolge einer Wette die Koppe. Auf deutscher Seite war das Autofahren auf den Kammwegen, die wir Baudenbesitzer instand halten mußten, verboten. Sie waren dafür auch ungeignet; so z.B. der schmale Jubiläumsweg mit seinen Stufen.

Sie fragten was wir im Winter und in den Zeiten ruhigeren Verkehrs begannen. Während der Weihnachtszeit und zu Sylvester fanden sich regelmäßig Gäste ein die fern aller Erdenschwere und allem Trubel die festlichen Tage oben bei uns begehen wollten. Sie schlossen sich gern unterm Lichterbaum unserer Familienfeier und der Feierstunde an, die wir unserem Personal bereiteten. An Sylvester herrschte neben den ernsteren Gedanken, die mit dem Jahreswechsel einhergehen, wie in allen Gebirgsbauden, eine freudige hoffnungsvolle Stimmung.

Bei schwächerem Wanderverkehr gab es genug Arbeit, wofür die Finanzämter und sonstige hohe Behörden sorgten. Auch persönliche Besuche in den Amtszimmern des Amtsbezirks, Gebirgsbauden, in Arnsdorf und des Landkreises Hirschberg, sowie bei den Behörden in Petzer und

Trautenau usw. beanspruchten manchen Zeitaufwand. Hinzu kamen noch Besuche und Besprechungen mit den Berufsgenossen im Gebirge. So gab es keinerlei Langeweile.

Man hatte dann auch mehr Muße zur Beobachtung des Wetters und der dauernd wechselnden Beleuchtung der Landschaft, insbesondere, bei tiefer stehender Sonne, zumal in dieser Zeit, die wir die goldne Stunde nannten, der meist heftige Wind nachließ. Die Sonnenuntergänge brachten dann in ihrer Mannigfaltigkeit, wenn auch hunderte Male gesehen, stets neue Erleben.

Überwältigend war in hellen Nächten, der unbeschreibbare Anblick des Sternenhimmels, doch auch der Blick ins Tal, mit den unzähligen Lichtpunkten in den Ortschaften.

Als vierte Baulichkeit auf dem Koppengipfel entstand im Jahre 1900 das Preußische Observatorium. Der imposante Turmbau war während des ganzen Jahres bewohnt. Man war, ebenso wie unsere Koppenbauden, für alle Lebensbedürfnisse von Trägern abhängig. Das Observatorium benutzte auch unser Depot am Koppenplan. Mit dem Observator Ludwig Schwarz, der aus Karlsruhe O/S stammte, und mit seiner Familie bestand gute Nachbarschaft und Freundschaft. Einige der Kinder wurden hier oben geboren. Schwarz war von 1900 bis 1933 hier im Dienst. Sein Nachfolger war Dr. Heinr. Renier. Er blieb, wie seine Nachfolger, fortan nur ein Jahr oben. Das Observatorium wurde 1945 zunächst von Russen besetzt und später von den Polen übernommen.“

 

„In ihrer Abgeschiedenheit sahen sie wohl wenig Tiere?“

„Auf dem Koppenkegel waren nur Wasserpieper und Alpenflühvögel, Turmfalken und Bussarde zu beobachten. Hasen und Rehwild kam nur bis auf den Kamm. Auch Füchse und Mauswiesel gab es. Rotwild kam in der Brunftzeit hin und wieder bis oben hin; doch hörte man in den Herbstnächten oft in den umliegenden Gründen viele viele Hirsche röhren; es war ein wunderbares Erlebnis.

Im Frühjahr und im Herbst zogen große Schwärme Zugvögel über das Gebirge; einst wurde ein Polartaucherpaar geschossen.“

 

„Von der Koppe haben sie gewiß in Krieg und Frieden manche Luftfahrzeuge gesehen, die sie bei der weiten Sicht gut Verfolgen konnten?

„Freiballone, Luftschiffe, Flugzeuge und Segelflieger konnten gut beobachtet werden. Die Koppe wurde oft als Ziel angeflogen, doch kam auf den Gipfel mit seinen Baulichkeiten und der unebenen, mit Felsstücken durchsetzten kleinen Fläche von knapp einem Morgen eine Landung nicht in Betracht.

Die Liegnitzer Zeppeline zogen öfter in stolzem Flug über das Gebirge und flogen bis tief in den Sudetengau; über Trautenau warfen sie einst eine schwarzweißrote Fahne ab.

An einem sonnigen Tage geriet ein zylinderförmiger Zeppelin, älterer Bauart, in ein Luftloch, in eine vertikalaufsteigende kalte Luftströmung und sackte durch. Das Luftschiff fiel so schnell, daß die ausgelöste Wasserhose die Hülle traf und auch eine Motorgondel durchnäßte, wie uns später Luftschiffer erzählten.

Den Stuka-Flugzeugen war die Schneekoppe ein gutes Übungsziel. Kaum hatten sie den Sturz abgefangen, stiegen sie im Steilflug wieder in die Höhe, um den Sturz zu wiederholen; mit großem Getöse fingen sie sich über dem Riesengrund wieder.

Die vom Hirschberger Flugplatz startenden Rundflüge, längs des Gebirges, waren eine tägliche Erscheinung. Schon in den ersten Jahres des Flugsportes besuchten mutige Flieger und Segler mit ihren damals noch recht primitiven Apparaten das Riesengebirge.

Sie machten damals schon gleich mit den Vertikalböen aus den Schluchten ihre Erfahrung. Am 21 und 22. Juli 1928 startete Segelflieger Andresen aus Hirschberg erstmalig mit seinem Segelflugzeug auf der Koppe, er landete wohlbehalten in Wolfshau.

Segelflugzeuge, vom Hirschberger Motorschlepp hochgezogen, oder vom Segelflughafen Grunau, die unter Ausnutzung des guten Auftriebes durch die Motzagotel, jener dem Hirschberger Tal eigentümlichen zeppelinförmigen Wolkenbildungen, schnell in große Höhen gelangten, überflogen die Koppe, und segelten in Kehren oft stundenlang über den Kamm.

Zu Beginn es Polenfeldzuges, im Herbst 1939, konnten wir den Aufmarsch der Luftwaffe mit den großen Transportflugzeugen beobachten. In den Jahren 1944/45 überflogen uns fast täglich und oft mehrere Male am Tage feindliche Luftgeschwader. Von Bombenwurf blieben wir verschont.“

 

„Nun mein lieber Herr Pohl, wie gestaltete sich denn der Betrieb in ihren beiden Bauden im Laufe und am Ende des Krieges?“

„Der Krieg machte sich auch bei uns immer mehr bemerkbar. Die Träger waren alle eingezogen, ebenso die Pferde.  Es gab nicht genügend Kohle, die Lebensmittelversorgung wurde ständig schlechter. Da auch der Fremdenverkehr nachließ, wurde die Deutsche Baude 1940 geschlossen; nur die Böhmische Baude blieb geöffnet, sie blieb bis zuletzt in Betrieb.

Die Deutsche Reichspost schuf in der Böhmischen Baude von März 1943 ab umfangreiche An-und Umbauten und errichtete eine Sende-und Empfangsanlage für drahtlose Telegraphie, die von der Wehrmacht übernommen wurde. Die Deutsche Baude wurde Anfang 1945 vom Luftgaukommando Breslau belegt.

Am Ende des Krieges übernahmen die Tschechen die Böhmische Baude in ordentlichem, betriebs-fähigen Zustande, sie führten den Wirtschaftsbetrieb sofort weiter.

Ich muß bemerken, daß ich mit den Tschechen während der ganzen Jahre keinerlei Zusammensstöße; auch mit den Behörden kam ich immer gut aus.

Wir gaben die in drei Familiengenerationen Pohl gehaltenen Schneekoppenbauden, am Ende des Krieges, schweren Herzens auf und siedelten nach Krummhübel um, bis wir am 1. Juli 1947 ausgewiesen wurden. Die Russen erschienen am 9.Mai 1945 in Krummhübel.

Nach unserem Verlassen wurde die Deutsche Baude gründlich ausgeplündert, die gesamte Einrichtung zerstört und die Fenster zertrümmert. Da es nun jahrelang hineinregnete umd -schneite, ging alles kaputt. Nun soll die Deutsche Baude, da das Gebäude wegen Schwamm usw. nicht mehr zu retten ist, von den Polen neu aufgebaut werden. Wir selbst kamen nicht mehr hinauf, da das Betreten des Kammes nur noch mit Sondergenehmigung möglich war. Während auf der schlesischen Seite kein Wanderer mehr anzutreffen ist, geht auf der tschechischen Seite der Verkehr ungehindert weiter; es wurde sogar eine Seilbahn in Form der bekannten Schi-Aufzüge von Petzer aus auf die Koppe gebaut“.

„Zum Schluß will ich Ihnen, mein lieber Freund, noch sagen, daß ich kürzlich Carl Hauptmanns Rübezahlbuch in die Hände bekam, in dem er erzählt, wie der Musikstudent Gustav Reichardt mit sangeskundigen Freunden unser Gebirge besuchte. Reichardt vertonte in der Laurentiuskapelle das von Ernst Moritz Arndt im Jahre 1813 gedichtete „Was ist des Deutschen Vaterland.“ Das Lied erklang bald vierstimmig in der Kapelle.

Nach fünfzig Jahren, im Jahre 1875, wurde das inzwischen allgemein bekannte Lied von vielen Sängern auf der Koppe wieder gesungen und dem Komponisten, der nun als 78 jähriger Pensionär in Berlin wohnte, eine Glückwunschadresse gesandt.“.

 

 

Entnommen aus „Schlesische Bergwacht“ 1956/N12/S204

 

Erstellt von W.Schön,Mail: genealogie@wimawabu.de