Die Pest im Dorfe

aus der Schloßchronik Kammerswaldau (Krs.Hirschberg)

 

 

 

Man schrieb das Jahr des Heils 1636. Mühsam wankte eine zerlumpte Jammergestalt von Maiwaldau her nach Cammerswaldau hinauf. Ein Kranker war es, ein alter Mann, schweißverklebt mit wirrem Haar. Große schwärzliche Beulen bedeckten Gesicht und Hände. Vor dem ersten Hause des Dorfes, des Kätners Warmbrunn, brach er zusammen. Bestürzt eilte der Kätner herbei. „Herrgott! Die Pest!“ rief er. „Zurück!“ schrie erseine Frau Marte an. „Ein Pestkranker! Dieser Vagabunde bringt uns die Seuche ins Haus.“ Röchelnd lag der Kranke im Hof. Der herbeigeholte Bader bestätigte die Vermutung des Kätners, daß es sich hier um einen Fall der gefürchteten Beulenpest handle, die in Hirschberg schon furchtbare Opfer gefordert hatte. Die Dörfer ringsum waren bisher verschont geblieben. Wenige krampfhaftige Zuckungen und der unglückliche Fremdling war verschieden. So schnell wie möglich wurde sein Leichnam der Erde übergeben.

 

Die Schreckenskunde „Die Pest im Dorfe“ erscholl wie eine teuflische Fanfare durch den ganzen Ort. Überall in den Häusern flammten Räucherkerzen auf, mit scharfen Essenzen bestrich man die Tür- Schwellen, den schwarzen Würgeengel zu bannen. Doch vergebens! Heimtückisch forderte er seine Opfer. Wo er einmal Fuß gefaßt, ließ er sich sein Reich nicht mehr nehmen. Die beiden Kinder des Kätners Warmbrunn waren die Ersten, die der Seuche erlagen. Am Mittag des nächsten Tages erwartete Frau Marte die Kleinen vergebens zum Essen. Laut rief sie ihre Namen durch Hof und Garten. Voller angst, in der Vorahnung von etwas Schrecklichem, begab sie sich auf die Suche. Da, am Sandhaufen lagen sie, besinnungslos, beide sich in konvulsiven Krämpfen wälzend. Wachsgelb starrten ihre Gesichter, Schaum stand vor ihrem Mund, blau gefärbt waren die Nägel, dunkle Beulen zeigten sich am Hals. Selbst am ganzen Körper zitternd, brachte die arme Mutter sie schnell zu Bett, kochte ihnen heilsamen Tee und erwärmte ihre erkaltenden Körper mit heißen Ziegeln. Ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein, verstarben sie zwei Stunden später in ihren Armen. Am Abend desselben Tages folgte die treue Mutter ihren beiden Lieblingen in den Tod.

 

Nun hatte die fürchterliche Seuche dieHerrschaft gewonnen. Jetzt gab es kein Halten mehr. Durch verriegelte und verschlossene Türen drang sie in die Nachbarhäuser, pflanzte sich mit unheimlicher Geschwindigkeit fort durch das ganze Dorf, überall Schrecken und Jammer zurücklassend. Der Pfarrer Jakobus Werner und seine Frau Brigitte gingen unermüdlich von Krankenbett zu Krankenbett, ordneten die Kissen, reichten den Verschmachtenden einen kühlen Trunk oder einen kleinen Imbiss und sprachen ihnen ein Wort des Trostes und göttlicher Verheißung zu. Ihre beiden Kinder, den kleinen Johannes und die zarte Sabine, hatten sie in der Burg untergebracht, wo die edle Schloßherrin von Zedlitz sie in liebevolle, mütterliche Pflege nahm. Wie durch ein Wunder blieben Jakobus und seine Frau von der Seuche verschont. Kaum ein Haus gab es im Dorf, wo nicht ein Toter zu beklagen war. Ganze Familien würgte die gespenstige Krankheit dahin. Auf allen Vieren krochen die von dem Übel befallenen vor ihre Tür auf die Dorfstraße, gräßlich stanken ihre eitrigen schmerzenden Beulen. Stöhnen drang aus ihrem Munde. Ängstlich, in großem Bogen schlichen die Gesunden an ihnen vorbei. Selten wagte es jemand, sich ihrer zu erbarmen und ihnen einen Liebes-Dienst zu erweisen. Leichengeruch erfüllte die Luft. Verzweifelt und schreiend irrten verwaiste Kinder umher, bis der Pfarrer sich ihrer annahm und sie seiner Frau zur Betreuung ins Pfarrhaus überwies. Zaghaft fühlte er sich eines Tages von hinten am Rockschoß gefaßt. Sich umwendend, gewahrte er die kleine Bärbel des Kätners Stumpe, die ihn, ohne ein Wort zu reden, mit sich in die elterliche Stube zog. Vater und Mutter lagen dort steif und kalt im Bett, beide bis zur Unkenntlichkeit von der grausamen Pest verfärbt und entstellt. Zwischen ihnen schlummerte rosig und frisch ein Säugling, daß kaum 8 Monate alte Hänschen. Ein Schauer durchrieselte den Pfarrer, als er so das Bild jungen frischen Lebens neben dem eines unerbittlichen, schrecklichen Todes sah.

 

Mit starken Armen ergriff er das Knäblein und brachte es mit dem tapferen Schwesterlein zu seiner Frau, die die Kinder liebkosend empfing. Zwei Opfer waren dem schwarzen Würgeengel entrissen. Kaum hatte Jakobus das Pfarrhaus wieder verlassen, als ihm eine Frau mit aufgelösten Haaren, nur mit dem Hemd bekleidet, laut schreiend und heftig gestikulierend , rasenden Laufes entgegenstürzte. Die Frau des Häuslers Exner war es, welcher der grausige Tod den Mann und 5 Kinder geraubt hatte. Schreck und Schmerz hatten sie Wahnsinnig gemacht. Ungestüm entriß sie sich dem Pfarrer, der sie aufzuhalten suchte, sprang vor seinenAugen in den nahen Dorfteich und ertrank dort, ehe er ihr zur Hilfe eilen konnte. Erschüttert sank er auf die Knie und betete für ihre arme Seele. Ähnliche Schreckensscenen ereigneten sich alle Tage.

 

Kaum vermochte man die Leichen der Erde zu übergeben, in großen Massengräbern versenkte man sie in der Nacht. Jakobus und der Küster waren die einzigen, die ihnen das Geleit gaben. Scheu mied man die Dorfstraße. Westwärts hinter den Häusern von Cammerswalde, auf einem Feldweg schlich man sich durch den Botenhain nach Hirschberg, die notwendigsten Einkäufe zu machen. „Pestweg“ wurde dieser Pfad sehr bald genannt.

Endlich hatte die Seuche ihren Höhepunkt überschritten. Vertrieben Gebete den schwarzen Würgeengel oder war seine Mordgier gestillt? Langsam entfaltete er seine Schwingen, sich heimlich, wie er gekommen war, davon zu stehlen. Die Zahl der Sterbefälle ließ nach. 400 Opfer hatte die unheimliche Seuche in dem kaum 600 Seelen zählenden Dorf gefordert. Schon glaubte man sie erloschen. Da war es eines nachts, als girre ein fürchterliches, gespenstisches Lachen durch die Luft. Hatte sich der teuflische Engel  noch einen besonderen Scherz ausgedacht? Fast war es so. Des Pfarrers holdseliges Töchterlein Sabine, das in der abgeschlossenen Burg treulich behütet wurde, erkrankte plötzlich an Fieber. Frau Brigitte wich nicht von ihrer Seite, umfing sie mit den Armen Tag und Nacht, als wolle sie ihre Gesundheit in den zarten Körper des Kindes strömen lassen. Doch vergebens! Bald zeigten sich die schwärenden Beulen. Trotz inbrünstigen Flehens und Betens der armen Mutter nahm die Unholdin Pest das liebliche Mägdlein in ihre nachtschwarzen Fittiche und entfloh mit ihm in Finsternis und Nebel. Doch nun war ihre Blutgier gestillt. Die kleine Sabine war ihr letztes Opfer. Tröstend zog der Pfarrer am Abend seine weinende Frau an seine Brust und zeigte gegen den leuchtenden Sternenhimmel. „Weine nicht!“ sagte er sanft. „Hörst Du nicht, wie unser Sabinchen an die Himmelstür klopft? Wie lieblich klingt ihr holdes Stimmchen im Chor der Engel.“  Hell blinkte ein einzelner Stern hernieder. War es das neue Englein, das sein Laternchen angezündet hatte, Vater und Mutter zu grüßen? -

Etwa 10 Jahre später hat die Pest noch einmal das Hirschberger Tal heimgesucht; doch ihrer Mordgier wurde diesmal schneller Einhalt getan. Die Zahl ihrer Opfer war bedeutend geringer. Nie wieder hat sie seitdem das stille Gebirgstal betreten. Doch die Erinnerung an die furchtbare Seuche lebt fort in der Bezeichnung „Pestweg“, der bis auf den heutigen Tag seinen Namen behalten hat.

 

Abschrift von Hildegard Teuchert (1955)