Die Inflation

 

                Ursprünglich veröffentlicht im „Schlesischen Gebirgsboten“ von E. Kunick am 20.5.1967.

 

 

 

Der Friede 1919 war kein Friede, wie ihm ein Bismarck weitschauend ohne Haß

und Angstgefühl schuf, der 1866 den Gegner von gestern zum Bundesgenossen von

morgen machte, 1871 dem anderen Gegner volle Lebensbedingungen beließ und ihm

die Möglichkeit zu neuen Anfang gab. Der Friede des Unheils 1919 sollte - das

war der Wille seines Schöpfers - dem deutschen Volk Schwäche, Not und dauernde

Vereledendung bringen, daß er die Quelle für das Unglück der ganzen Welt

werden würde.

Die Not traf zuerst unser deutsches Volk und mit ihm auch unser Landeshut.

Die riesigen Reparationszahlungen, die wir nicht etwa in Papiergeld sondern in

festen Werten leisten mußten, zerrütteten unsere schon durch den Krieg sehr

geschwächte Wirtschafts- und Geldlage. Die Inflation, die Geldentwertung, machte

nach 1919 rasche Fortschritte. Pfennig und Mark sanken herab in die

Unendlichkeit der Nullen, der Millionen, Milliarden , Billionen. 1923 schnellte der

Preis für ein Brot von 3 Pfund nach den Niederschriften der Landeshuter

Bäckerinnung wie folgt in die Höhe:

15. Jan. = 750 M

3. Jul. = 4000 M

8. Aug. = 40000 M

25. Aug. = 400000 M

5. Sep. = 1000000 M

20. Sep. = 12000000 M

9. Okt. = 72000000 M

1. Nov. = 10000000000 M = 63 Goldpfennig

5. Nov. = 630000000000 M = 63 Goldpfennig

Am 6.11. betrug das Porto für einen gewöhnlichen Brief eine Milliarde Mark.

Die höchsten Preise erreichte das Brot noch im November mit 63 Milliarden

Papiermark = 63 Goldpfennig, die um 12 Uhr Mittags noch den Wert hatten, galten

nach der Mittagspause, in der der Kurs gemeldet worden war, nichts. Die

Menschen versäumten die Arbeit; sie hatten nur dafür zu sorgen, schnell ihre

Milliarden wieder los zu werden, irgendwelche Ware dafür zu erwerben. Wer es versäumte

oder Geld sparen wollte, konnte bald die wertlosen Scheine wegwerfen. In

rasenden Taumel gingen Wirtschaft und Leben weiter. Die Nerven waren zum

Zerspringen. Nervös aufgeregt "schnauzte" das eins das andere an.

Zu der Geldentwertung kamen andere Schwierigkeiten. Die Lebensmittel und fast

alle anderen lebensnotwendigen Dinge reichten in keiner Weise und blieben

noch jahrelang unter Zwangsw3irtschaft und Rationierung. Zur Lebensmittelnot trat

Wohnungsmangel. Jahrelang mußten Zuziehende oder junge Ehepaare mit einem

möblierten Zimmer vor Lieb nehmen, vereinzelt selbst zwei Familien in einem

Zimmer gemeinsam wohnen. Bei den fast unerschwinglichen und stetig wachsenden

Baupreisen setzte die private Bautätigkeit fast ganz aus.

Nur kurze fehlte es an Arbeitsgelegenheit. Schon wenige Monate nach

Kriegsende arbeiteten unsere Fabriken infolge der Inflation auf Hochtouren. Das

Auslandsgeld behielt seinen Kaufwert, nur unser Geld sank. As Ausland kaufte daher

unsere Waren und damit unsere Arbeit billig und immer billiger ein. Scharenweise

kamen Tausende von Tschechen in unseren Grenzkreis, die für sie günstige

Valuta auszunutzen. Die Auslandsaufträge an unsere Leinenfabriken stiegen so, daß

sie kaum bewältigt werden konnten. Unsere Leinenwaren, unsere Kohle, unser

Brot gingen in fremde Länder, indes wir hungerten und froren. Unsere Gruben

konnten nicht genug fördern. Mehr als 700 Männer fuhren täglich aus Landeshut und

Umgebung mit der Bahn nach den Waldenburger Gruben zu Arbeit.

Doch all diese Blüte war Scheinblüte. Der Deutsche arbeitete, schaffte

fieberhaft, doch am Ende mußte er feststellen, daß er für nichts gearbeitet hatte.

Deutschland wurde an Waren "ausgepowert". Trotz des scheinbaren Reichtums und

des Wohllebens  Einzelner wurden wir bettelarm. Da kam endlich ( amtlich am

1.12.1923 ) die Festmark als Rentenmark oder Reichsmark (RM) im Wert von einer

Billion Papiermark.

Doch die Umstellung ging nicht ohne Not vorüber. Alle Sparer und

Kleinkapitalisten - oft auch Großkapitalisten - kurz alle, die ihren Besitz nicht in Grund

und Boden oder anderen Sachwerten angelegt hatten, waren durch die Inflation

fast um ihren Besitz gekommen. Mühsam unter jahrzehnte langen Darben für den

Lebensabend Zusammengespartes war zu nichts geworden. Hypotheken von 100000 und

mehr Friedensmark waren mit dem Werte einer Postkarte abgegolten worden. Für

eine ganze Landwirtschaft, die der Verkäufer am Anfang der Inflation reell

verkauft hatte, erhielt den Wert eines Pfundes Butter; denn Papiermark ist gleich

Goldmark, lautete die Bestimmung. Die Aufwertung war eine Abwertung auf ein

Achtel des ursprünglichen Wertes. Zudem erfaßte sie nur einem Teil der Werte.

Viele kleine Gläubiger gingen leer aus. Wieviel Not kam dadurch über die Alten?

Eins freilich brachte das Ende der Inflation: Die deutsche Wirtschaft konnte

wieder neu aufbauen.

 

MfG. Reiner Tannhäuser