Die Herren von Reibnitz,

ein schlesisches Rittergeschlecht

von Walter Finke

 

 

Wenn der Reisende auf der Bahnstrecke Greiffenberg – Hirschberg seinen Blick dem Gebirgskamm zuwendet, erblickt er bei dem Dorfe Reibnitz die Trümmer einer Burganlage. Die wenigsten wissen, daß die aus dem Laubdach der Bäume hervorragende Ruine die Wiege einer der bekanntesten und weitverzweigtesten schlesischen Adelsfamilie ist: der Herren von Reibnitz. Der Volksmund nennt dieses alte Gemäuer kurzweg „Läusepelz“, eine Verstümmelung der alten Bezeichnung Pallas Laudamus.

Nicht viel ist von der einst festen und stolzen Burg geblieben, nur die Reste eines Turmes und einige von Grün umrankten Mauern. Dieser alte Herrensitz muß einst sehr prachtvoll gewesen sein, denn kein geringerer als Kaiser Karl IV.  soll zwischen 1346 und 1378 hier residiert haben, wenn er nach Schlesien kam.

Die Geschichte des Hauses liegt, wie bei vielen der schlesischen Ritterburgen, fast völlig im Dunkel verborgen, wie auch der Stammvater des Geschlechtes urkundlich nicht zu ermitteln ist. Nach einer Überlieferung soll dieser im Gefolge der Herzogin Hedwig nach Schlesien gekommen sein (1212). Ungenau und nicht mehr nachzuprüfen ist auch die Nachricht, daß in der Schlacht bei Wahlstatt (1241) drei Männer des Geschlechts, nämlich Conrad, Hans und Thyme  von der Rybnicz gekämpft haben. Hans soll sogar derjenige gewesen sein, der dem Herzog Heinrich ein frisches Pferd gebracht und sich dann durchgeschlagen hat.

Eine andere Quelle erwähnt im Jahre 1245 einen Ordensritter Joanne Reybenitz; letzterer soll zu Kulm in einem Streit getötet worden sein.

Die ältesten Urkunden reichen bis in das Jahr 1271 zurück; da werden uns Jesco und Henricus de Rybnicz genannt. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erscheinen sieben Brüder: Ritter Hentschel, Conrad, Nicol, Peter, Heinrich, Diprand und Thyme. Sie sind als die Stammväter der verschiedenen Häuser und abzweigenden Linien anzusehen.

Hentschel saß 1374 auf Rohnstock, Conrad war der Stammvater des erloschenen Hauses Kaubitz und der abzweigenden Linie Jäschwitz. Nicol war bereits 1351 Herr auf Wederau und Polkau; von ihm geht die heute noch blühende Linie der Freiherren von Reibnitz aus. Peter war geistlicher Herr  und Kaplan. Der fünfte Bruder, Heinrich, saß auf dem Stammschloss Reibnitz. Unter seinem Sohn Nicol ging es 1423 in fremden Besitz über, wie die Jahrbücher von Schweidnitz-Jauer aufweisen. Diprand wurde der Ahnherr des Hauses Falkenberg. Von den Nachkommen des Ritters Thyme stand 1410 einer im Sold des Deutschen Ordens und ist wahrscheinlich der Begründer des ostpreußischen Zweiges Kerschitten. Zusammengefaßt sei erwähnt, daß sich noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts 43 Güter, hauptsächlich in Schlesien, im Besitz der Familie von Reibnitz befanden. Vornehmlich in den Kreisen Goldberg, Hirschberg, Löwenberg, sowie im Glatzer und Waldenburger Land und in Niederschlesien.

Der Name des Geschlechts hat oftmals gewechselt: von 1300 bis 1400 nannten sich alle Sprossen „von Rybenicz“, wodurch ihre Zugehörigkeit zu dem gleichnamigen Ort bei Hirschberg dokumentiert ist. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts änderten die Mitglieder der Familie die frühere Schreibweise in das heutige „Reibnitz“ um.

Das Wappenschild – in Silber zwei rote Querbalken – ist seit uralten Zeiten dasselbe geblieben. Im 15. Jahrhundert und später erscheint es mit Helmzier, bestehend aus zwei Büffelhörnern. Nur die Linie der Freiherren hat bei der im Jahre 1724 erfolgten Erhebung in den Freiherrenstand eine Änderung des Wappens insofern erfahren, als auf das Stammwappen die Freiherrnkrone gesetzt worden ist, auf welcher zwei Helme ruhen.

Nach einer alten Familiensage soll der Ahnherr in einer Schlacht seinen Fürsten mit seinem Leibe gedeckt und dabei zwei Schwertwunden empfangen haben. Als Dank schlug ihn der Fürst zum Ritter und verlieh ihm das Wappen mit zwei roten Querbalken.

Nach diesem kurzen Überblick soll uns ein Gang durch die Jahrhunderte führen und uns die persönlichen Schicksale der Träger dieses ruhmreichen Geschlechts aufzeigen. In ihm spiegelt sich zugleich die Geschichte der näheren und weiteren Heimat wieder.

Die Frühgeschichte des Hauses derer von Reibnitz liegt, wie schon eingangs erwähnt, im Dunkel, daher  fehlen oftmals die nötigen Zusammenhänge. So erscheint vor dem Jahre 1410 bereits ein Reibnitz im Deutschen Ritterorden. Jener Reibnitz war schon eine bedeutende Persönlichkeit, denn er nahm am „Ehrentisch des Hochmeisters Konrad Zöllner“ teil. Unter dem „Ehrentisch“ verstand  man eine Lagebesprechung vor einem Feldzug, der sich ein Gastmahl anschloß. Dieser Zusammenkunft wohnten nur 10 – 12 Mann bei, nämlich die Fürsten, Grafen, Ritter und Edlen, „die ihren Namen in Kämpfen und ritterlichen Taten und ausgezeichneten Ruhm verherrlicht hatten und  als tadel- und makellose Ritter gekannt und gepriesen wurden.“

Als nach der Niederlage von Tannenberg (1410) der nachmalige Hochmeister Heinrich von Plauen die die Marienburg mit 5 000 Mann zur Verteidigung besetzte, befanden sich darunter die „vorzüglichsten Ritter Deutschlands“, zu denen neben einem Tann von Seydlitz, Wenzel von Dohna, Albrecht Haugwitz ein George von Reibitz gehörte. Auch in der Folgezeit nahmen die Reibnitze im Ritterorden verantwortungsvolle Posten ein.

Ein Reibnitze von der Linie Jäschkittel, Hans Caspar, diente in der kaiserlichen Armee gegen die Türken und kam mit den österreichischen Truppen nach Dänemark. Hier verheiratete er sich am 12. Dezember 1630 mit Brigitte von Brahe, einer Nichte des berühmtem Astronomen Tyche de Brahe. Hans Caspar erwarb sich sodann den Edelhof Kongensgaarden in Jütland und ließ sich naturalisieren. Er liegt mit seiner Gattin in der Kirche zu Wiborg begraben.

In Schlesien tritt als erster der Reibnitze Adam von der Linie Rathen hervor. In jungen Jahren zu Lauban und Goldberg ausgebildet, studierte er Theologie und gelangte an den bischöflichen Hof zu Neisse. Nach dem Feldzug in der Niederlande wurde er „wegen seines hohen Verstandes und ehrlicher Tugenden“ in das königliche Mahnrecht zu Breslau gewählt. Als Königsmann und Abgeordneter der Stände übermittelte er am 9. Oktober dem König Matthias von Ungarn im Namen des Fürstentums Breslau die Erbhuldigung.

Vier Jahre nach seinem 1614 erfolgten Tode begann mit dem Aufstand in Böhmen der erste Akt einer großen Tragödie, in deren Verlauf Schlesien von den Kriegswirren heimgesucht wurde. Kaiserliche und Schweden wechselten sich im Brennen und Morden ab und verwandelten große Teile des Landes zur Einöde. Der Wohlstand seiner Bewohner, auch der Ritter, wurde bis auf die Wurzel vernichtet. Interessante Eindrücke, wie es u.a. auch auf den Gütern der Reibnitze aussah, vermitteln uns einige Schreiben aus dieser turbolenten Zeit. So wendet sich am 9. Januar 1633 Barbara von Reibnitz, Besitzerin von Daetzdorf und Girlachsdorf, an den Kaiserlichen Rat Melchior von Lest und bittet um Erlass der ihr auferlegten Kontribution, „da sich in Daetzdorf und Girlachsdorf eine große Einquartierung befände, wie in wenigen Dörfern, so daß man weder Pferde noch Ochsen zur Bestellung des Landes habe und nur noch vier Bauer übrig gebleiben.“

Bereits ein Jahr später wird als Besitzer von Girlachsdorf Christoph von Reibnitz genannt. Der Landeshauptmann verfügt am 16.2., daß hier „vorläufig keine Kontribution und Steuern erhoben werden sollen, da dasselbe (Girla.) gänzlich verbrannt verwüstet worden sei.“

Wie schnell der Wohlstand sinken konnte, dafür gibt uns Wirwitz, einem Adam von Reibnitz gehörig, ein erscheckendes Beispiel. Dieser besaß im Jahre 1636  110Personen an Untertanen, dazu gehörten 120 Pferde, 146 Kühe sowie 400 Schafe. Ein Jahr später waren ihm nur noch 14 Untertanen geblieben und zum Viehbestand gehörten noch 4 Pferde und 5 Kühe.

Das Gut Oklitz, Sitz eines Hans Albrecht v. Reibnitz, bot zur Osterzeit 1645 einen traurigen Anblick. Das Gutshaus selbst stand zwar noch, doch hatte es weder Zäune, Türen, Fenster und Einrichtung, und war im Begriff, einzufallen. Sämtliche Nebengebäude, wie Stallungen, Schuppen und Scheunen waren vernichtet. Die Mühle leer, der Müller entlaufen und kein Stück Land bebaut. Im ganzen Dorf lebten noch drei Männer.

Das Inventarverzeichnis der Herrschaft Kadlau, welches 1653 der Jungfrau Elisabeth v.Reibnitz als Erbe ihres Vaters Albrecht zufiel, weist bei ihrem Besitzantritt auf: „ 2 verzinnte Löffel, 6 hölzerne Löffel, 12 Tontöpfe, 6 Schüsseln, 4 Milchschüsseln, 1 Reibeisen, 1 Bett, 1 Truhe“, an sonsten außer den verfallenen Gebäuden noch „2 Wallache, 2 Kühe, 1 Hahn mit 2 Hennen, 1 Bretterwagen und  1 alten Pflug, Getreide weder gedroschenes noch ungedroschenes.

Nicht wenige der Reibnitze büßten in diesen bösen Zeiten auch noch ihr Leben ein, wie uns das Beispiel des Gutes Wederau, Krs.Bolkenhain, zeigt: zwei Brüder, Wolfert und Nickel, hatten sich mit ihren Mannen und Bauern auf den einen der beiden Höfe zurückgezogen, als die Hussiten anrückten. Um den Widerstand zu brechen, stach der Feind das Wasser des Wallgrabens ab und füllte diesen mit Gehölz und Reisig. Als die Verteidiger dann dem Belagerer mit Pechtonnen einheizen wollten, verfing sich eine Tonne in der Verschanzung und setzte das Herrenhaus in Brand. Da es kein Entrinnen gab und keiner in die Hände der Hussiten fallen wollte, verbrannte die  gesamte Besatzung, darunter die zwei Brüder v. Reibnitz sowie zwei Vettern.

Auch nachdem Schlesien begonnen hatte, preußisch zu werden, hörten die Mitglieder des Geschlechtes nicht auf, ihrem Vaterlande zu dienen. Georg Wilh. v.Reibnitz auf Leipe gehörte zu den Männern, die vom Alten Fritz noch während des ersten schlesischen Krieges betraut wurden, wichtige Änderungen in der Verwaltung vorzunehmen. Aus diesem Anlaß wurde auch Georg   Wilhelm nebst anderen Edelleuten vor den König geladen, um „denselben die Allerhöchsten Gedanken über die künftige Landeseinrichtung umständlich zu eröffnen.“ Georg Wilhelm setzte sich auch sofort  für den Bau evangelischer Kirchen ein. Er ging mit bestem Beispiel voran und richtete auf seinem Gut Leipe ein Bethaus ein. Seine Mutter baute die ev. Kirche in Lang-Hellwigsdorf und die in Ober-Baumgarten. Als Georg Wilhelm starb, rühmte man ihm nach, „er sei fromm gegen Gott, treu seinem Landesherren, liebenswürdig in seinem Hause und redlich gegen jedermann gewesen.“

An den verschiedenen Schlachten der schlesischen Kriege waren die Reibnitze stets beteiligt und hefteten erneuten Ruhm an das Wappen ihres Hauses.

Johann Friedrich aus dem Hause der Kerschitten finden wir in dem Treffen von Kunersdorf, wobei er verwundet wurde und danach zum Major avancierte. Bei Torgau führte er bereits als Rittmeister mit großem Schneid ein Regiment. Der Alte Fritz war bei der Attacke selbst zugegen und drückte dem Regiment seine besondere Zufriedenheit aus. Johann Friedrich erhielt darauf den Orden Pour-le-mérite.

Eine verwegene Gestalt begegnet uns in Oswald Gottlob Abraham v. Reibnitz aus der Girlachsdorfer Linie. Letzterer war Ordonnanz des berühmten Reitergenerals von Seydlitz. Was die Reitkunst und Kühnheit anbelangt, scheint er seinen Meister noch weit übertroffen zu haben. Nach einem Erkundigungsritt sprach Seydlitz zu ihm: “ich befehle ihnen, nicht so toll zu reiten, man bricht den Hals nur einmal, - damit aber ihr Pferd bei Kräften bleibe und mehr Fleisch bekomme,  so nehmen Sie diese 20 Taler und meinen Dank für ihren Eifer!“ Reibnitz erreichte den Dienstgrad eines Majors und zählte zu den besonderen Vertrauten des Generals; jener nannte ihn „den besten Reiter der Armee“.

Als Seydlitz auf dem Sterbelager lag, tröstete er seinen Untergebenen: „Reibnitz, seien sie ruhig,  hilft mir Gott noch einmal, so ist ihnen auch geholfen, wo nicht, so sind sie der Gnade des Königs empfohlen.“

Auch in dem Unglücksjahr 1806 standen die Glieder des Hauses bereit, ihr Leben für das Vaterland einzusetzen. Hans Ernst aus dem Hause Wederau führte in der Schlacht bei Jena eine Eskadron, für welche er aus seinem Vermögen 2 500 Taler aufgewendet hatte. Bei dieser Niederlage wurde seine Einheit fast völlig aufgerieben; er selbst verlor seine gesamte Ausrüstung. Hans Ernst war anschließend Präses des Ehrengerichts, in welchem die Offiziere über ihr Verhalten in dieser unglücklichen Schlacht zur Verantwortung gezogen wurden.

In den Gefechten bei Merseburg und Großgörschen tritt Ferdinand August v. Reibnitz (Linie Rathen) als Secondelieutenant im I.R. Nr.5 besonders hervor. In der letzteren Schlacht unterlagen die preußischen Truppen trotz größter Tapferkeit. Nach der Niederlage ritt York mit abgenommener Kopfbedeckung die Front des Regiments Nr.5  entlang und sprach: „Ihr habt heute wieder Euern alten Ruhm bewährt, Ihr seid das Erste Regiment der Armee!“ Später konnte es sich an der Katzbach, bei Leipzig und später in Frankreich erneut auszeichnen.

Als schließlich Friedrich Wilhelm III. 1813 sein Volk zu den Waffen rief, folgten allein 13 Sprossen des Geschlechts derer von Reibnitz und kämpften in der preußischen oder russischen Armee gegen Napoleon.

Eine bedeutende Persönlichkeit stellte Karl Stanoslaus v. Reibnitz aus der kurländischen Linie dar. Er tat in der russischen Armee die Schlacht bei Pr.-Eylau mit und erwarb sich hier den Pour-le -mérite. Während des polnischen Aufstandes führte am 25. Febr. 1831 als Generalmajor und Kommandeur der 25. russischen Inf.-Brigade seine Truppen in das mörderische Gefecht von Grochow. Hier wurden auf beiden Seiten mit äußerster Verbitterung gekämpft, und die Russen verloren 16 000 Mann. Aber auch die Polen hatten 8 000 Tote zu beklagen.

Vielfach ausgezeichnet – er war Träger des St. Annenordens I.Klasse und des Goldenen Degens für Tapferkeit – wurde er Mitglied des russischen Kriegsrates. Der Zar schenkte ihm für seine Verdienste das Gut Wolborz als Majoratsbesitz. Hier beendete Karl Stanislaus sein Leben und wurde noch auf dem Totenbette zum General der Infanterie ernannt.

Auch in der Folgezeit taten die Reibnitzer immer ihre Pflicht und gelangten zu hohem Ansehen.

So vielfältig wie die Geschichte unserer Heimat ist, so mannigfaltig sind auch die Schicksale der  einzelnen Träger des Geschlechtes derer von Reibnitz. Möge dieser Streifzug in vergangene Jahrhunderte dazu beitragen, die alte Burgruine Reibnitz der Vergessenheit zu entreißen.

 

 

Entnommen aus „Schlesische Bergwacht“ 1956/N23/S406