Die Heß`sche Bleiche in Wernersdorf

Von Dr. Scholz.


Abseits von der großen Heerstraße, die im Zackenthal aufwärts an den Fuß des Gebirges führt, liegt Wernersdorf, den meisten Touristen wohl kaum dem Namen nach bekannt. Kurz vor den ersten Ansiedelungen von Nieder-Petersdorf stoßen die Häuser von Wernersdorf in starkem Winkel auf den Zacken und reichen, von seinem Thal sich immer weiter entfernend und unmerklich in Kaiserswaldau übergehend, bis an den Fuß der Bibersteine hinauf. Und doch verdient Wernersdorf diese Vergessenheit nicht; von hier aus bieten sich kleine und in ihrer Abgeschlossenheit reizvolle Bildchen vom Hochgebirge, und kaum von einem andern Punkte aus erscheint der Kynast mit seinem steilen Absturz nach dem Höllengrunde so stattlich. Gleich das erste Gebäude, das wir treffen, wenn wir von Petersdorf oder Hermsdorf kommen, ist die sogenannte Heß`sche Bleiche. Ein langgestreckter Bau mit zwei vorspringenden Flügeln und in seinen formen dem bischöflichen Gartenhause ähnlich, das noch vor dreißig Jahren in Schaffgotsch`s Garten oberhalb Breslaus lag, erinnert die ganze Anlage an die Zeiten, wo die Architektur von dem prunkhaften Stil Ludwigs XIV. zu größerer Einfachheit der Bauten zurückkehrte. 1725 ist das Wernersdorfer Landhaus von Johann Martin Gottfried erbaut worden, in der Zeit, wo die "königlichen Kaufleute" Hirschbergs nicht bloß ihre Wohnungen in der Stadt würdig schmückten, sondern auch ländlichen Grundbesitz erwarben und geschmackvolle Bauten hier aufführten.


Ein eigenes Verhängnis schwebte über allen diesen Familien. Die anscheinend fest gegründete Macht der Handelshäuser hielt dem Wechsel der Zeiten nicht stand und brach im Anfang unseres Jahrhunderts unter dem Druck der Napoleonischer Kriege ganz zusammen; der reiche Grundbesitz, der noch unter der österreichischen Herrschaft erworben worden war, musste veräußert werden, und endlich erloschen, in männlicher Descendenz wenigstens, diese Geschlechter fast sämtlich. Außer wohlthätigen Stiftungen erinnert kaum noch etwas an sie, als die schönen Kupferstiche, die auf dem oberen Flur des Hirschberger Rathhauses hängen und die reichen Kaufherren des vorigen Jahrhunderts, die Ullmann, Martens, Smith, Tietze, Glafey, Baumgart, Buchs, Gottfried, Jäger, Schneider Mentzel darstellen. Kaum dürfen diese Bilder den Anspruch erheben, lebenswahre Porträts zu sein, denn wie die Unterschriften beweisen, sind sie erst nach dem Tode der einzelnen gezeichnet und gestochen worden, aber sie vermitteln uns doch das Verständnis einer hinter uns liegenden Zeit. Unter einer männlichen Perücke tritt bartloses, energisches Gesicht hervor; die eine Hand ruht meist auf einem mit Schriften bedeckten Tisch, oder Globen und physikalische Apparate zeigen die wissenschaftlichen Neigungen des Verewigten an, und den landschaftlichen Hintergrund bilden die stattlichen Gartenhäuser, umgeben von parkähnlichen Anlagen und Orangerien.


Mit diesen Familien hängt die Heß`sche eng zusammen; sie ist durch Erdmuthe Heß, die Tochter Smith`s, die Enkelin Gottfrieds` die Urenkelin Mentzel`s, mit den angesehensten Häusern der Hirschberger Patrizier verschwägert. Diese Frau stand mit berühmten Zeitgenossen um die Wende unseres Jahrhunderts in brieflichem Verkehr und ward in allen geistigen Bestrebungen von ihrem Gemahl unterstützt, der trotz des Umfanges seiner Handelsbeziehungen Lust und Zeit für höhere Interessen hatte und als welterfahrener und gebildeter Mann auch in den Kreisen namhafter Gelehrter und Künstler geschätzt wurde. Er war der Gönner Reinhard`s, des vortrefflichen Landschaftsmalers, der im Auftrage der Berliner Akademie der Künste hier in Hirschberg weilte und zwölf Bilder, deren Sujet er dem Gebirge entnommen hatte, malte; er findet eine ehrenvolle Erwähnung in dem jetzt noch lesenswerten Buche, das Adams, der Gesandte der Vereinigten Staaten in Berlin, der spätere Präsident der Union, über seine Reise in Schlesien veröffentlicht hat. (Briefe über Schlesien. Geschrieben auf einer im Jahre 1800 unternommenen Reise. Breslau bei W. G. Korn 1803) Hier bei Reinhard, dessen Gemälde er betrachtete, hatte Adams den Hirschberger Kaufherrn kennen gelernt, und dieser war nun tagelang der Begleiter des Amerikaners bei den zahlreichen Ausflügen, die unternommen wurden, um die Industrie des Gebirges kennen zu lernen. In Hirschberg selbst ward die Zuckerraffinerie besichtigt, die Friedrich der Große am Pechwinkel angelegt hatte, und die als erste in Deutschland den folgenreichen Versuch machte, den Zuckergehalt der Rübe zu verwerten. Eine noch größere Aufmerksamkeit aber ward der Leinenindustrie gewidmet, die ihre Erzeugnisse nicht zum kleinsten Teile in die Vereinigten Staaten sandte. Lassen wir Adams selbst darüber berichten.

"Nach der Kirche hatte uns Herr Heß, unser gestriger Begleiter, nach der Zuckerraffinerie, und einer der angesehensten Kaufleute der Stadt, nach Warmbrunn zum Mittagessen an der öffentlichen Tafel eingeladen. .... Nach dem Mittagessen nahm uns Herr Heß mit sich auf eine ihm gehörige Leinwandbleiche, die sich in seinem Hause auf dem Lande, ohngefähr eine Meile von Warmbrunn befand."

Dann beschreibt Adams die einzelnen technischen Vorgänge beim Bleichen und fährt fort: . . "Ein großer Teil der hiesigen Leinenausfuhr ging vor dem Kriege nach Cadix, von wo sie nach den spanischen Kolonien verschifft wurden. Seit der Blockade von Cadix ist dieser Handel größtenteils ins Stocken geraten. Gegenwärtig werden große Quantitäten nach Hamburg, ja selbst nach England versendet, von denen kein kleiner Teil zuletzt nach den Vereinigten Staaten geht. Die Leinwandexportation der ganzen Provinz beläuft sich auf jährlich gegen eine Million Pfund Sterling, und davon wird wenigstens der vierte Teil von Hirschberg versendet."


Durch Erbschaft ging nach dem Tode des Kaufmanns Heß die Wernersdorfer Besitzung auf dessen Neffen, den Schwiegervater der verw. Frau Amtsgerichtsrat Heß über, welche sie noch jetzt besitzt. Nur geringe Änderungen sind, seitdem Adams das Landgut besuchte, daran vorgenommen worden; sie ergaben sich als unabweisbar, als der Betrieb der Bleiche einging und Landwirtschaft dafür eintrat. Im Innern des Hauses dagegen ist mit pietätvollem Sinne alles geschont worden, was an die Vergangenheit erinnerte. So bietet es ein besonders kulturhistorisches Interesse, wir fühlen uns um anderthalb Jahrhunderte zurückversetzt, und ein unermüdlich thätiges, ehrenhaftes Geschlecht, welches ganz in den engbegrenzten Pflichten des Hauses und der Familie aufging, das eigene Heim am höchsten schätzte und gewissermaßen für eine Ewigkeit schmücken wollte, steigt aus der Vergangen-heit vor unserem geistigen Auge herauf.

Ein Zimmer des rechten Seitenflügels ist ganz mit Delfter Platten – es mögen 2000 sein – ausgelegt, die teils biblische Stoffe, wie den Sündenfall und die Geschichte des Heilandes, teils landschaftliche Motive wiedergeben. Andere Räume enthalten prächtige Schränke mit reicher Intarsiaarbeit, an denen wir die peinliche Sorgfalt und Geschicklichkeit einfacher Handwerker bewundern können; und diese Schreine sind gefüllt mit kunstvoll geschliffenen Gläsern, die noch das Wappen der Gottfried`schen Familie tragen, mit Delfter Fayence und mit Porzellan, das fast bis auf die Zeiten Johann Friedrich Böttgers, des Erfinders, zurückreichte. Ein Meißener Kaffeeservice, noch im chinesischen Stil gehalten, stammt aus dem Jahre 1729 und ist wahrscheinlich das Geschenk eines auswärtigen Geschäftsfreundes an Johann Martin Gottfried, dessen Name in Form einer Briefadresse nebst Datum auf dem Krug zu lesen ist.

Das Prunkzimmer des Hauses ist der den ganzen Mittelbau zwischen den beiden vorspringenden Flügeln umfassende Saal. Eine Decke mit reichem malerischen Schmuck krönt ihn. Wenn diese Gemälde dem bekannten Maler Willmann "dem schlesischen Raphael" zugeschrieben werden, dessen Schöpfungen auf dem Gebiete der Historienmalerei erstaunlich groß sind, (vergleiche Patschovsky, die Kirchen des ehemaligen Klosters Grüssau nebst einem Abriß der Geschichte des Klosters und dem Lebenslauf des schlesischen Males Michael Willmann S. 62 ff.), so entsprechen dieser Annahme nicht die Thatsachen. Willmann war schon am 21. August 1706 gestorben, und auch die ganze Art der Komposition weist auf eine spätere Zeit. Auf den beiden Schmalseiten des Saales sind in besonderen Feldern die Wernersdorfer Bleiche mit ihren Gebäuden und über der Eingangsthür eine Ideallandschaft dargestellt. Auf einem mit Eisbergen gedeckten Meere steuern Schiffe der nahen Küste zu, die mit ihren offenen Säulenhallen und der Pracht der Gärten an südliche Landschaften erinnert. Der Umfang des Leinenhandels, der von der arktischen Zone bis zum Äquator sich seine Absatzgebiete erobert hatte, soll dadurch veranschaulicht werden. Den mittleren Raum der Fläche nimmt ein allegorisches Bild von großen Dimensionen ein. Aus Wolken tritt eine männliche Gestalt hervor, die das Attribut der Sense als Kronos kennzeichnet, und neben ihm ruhen auf einer Erdkugel, die von Feldstücken und Fahnen gestützt wird, zwei eng an einandergelehnte Gestalten, welche sich durch eine Waage und das entblößte Schwert als Justitia und Mars charakterisieren. Diese Allegorie weist auf die Zeit hin, wo der preußische Adler seinen Siegesflug nach Schlesien genommen hatte und die neue Provinz der Segnungen des Hohenzollernstaates teilhaftig geworden war.

Zahlreiche Porträts von Mitgliedern der Hirschberger Patrizierfamilien bedecken die Wände; den schönsten Schmuck aber erhalten sie durch die beiden Originallandschaften Reinhard`s. Die eine stellt das Heß`sche Landhaus mit der großen Bleiche dar, und den Abschluß bildet der Nebelberg mit den Bibersteinen, die andere die kleine oder Storchenbleiche mit dem Wernersdorfer Teiche im Vordergrund.

Ein besonderes Zimmer ist dem Andenken Friedrichs des Großen gewidmet. Wertvolle Beweise seiner landesväterlichen Fürsorge besitzt noch Frau Amtsgerichtsrat Heß. Er hat nicht bloß die alten auf der Wernersdorfer Besitzung ruhenden Gerechtsame bestätigt, sondern auch erweitert. In diesem Zimmer sind eine Anzahl Gegenstände aufbewahrt, die der König selbst benutzt hat und die dadurch eine besondere Weihe erhalten haben: eine Tasse, aus der er getrunken, der Stuhl, auf dem er zweimal während seiner Anwesenheit in Hirschberg geruht hat. Er trägt auf einem Messingschild eingegraben die Inschrift, dass der König während seines Besuches am 17. und 18. August 1765 und am 26./27. Juli 1777 ihn benutzt habe. Diese Gegenstände stammen aus dem ehemals Heß`schen Hause in Hirschberg (Bahnhofstraße Nr. 29) in dessen Front vor mehreren Jahren eine Marmortafel eingelassen wurde, die daran erinnert, daß auch am 7. Juli 1759 Friedrich II. in ihm gewohnt hat.

Besonders aber lenken in diesem Zimmer drei Bildnisse des großen Königs die Aufmerksamkeit auf sich. Das eine zeigt ihn uns als den jugendlichen Helden, welchem Geist und fröhlicher Wagemut aus den Augen sprühen, und welcher der Schar seiner Feinde getrost entgegen zieht. Doch welcher Gegensatz auf den beiden andern Stichen! Hier sehen wir Friedrich in den späteren Jahren seines Lebens, so wie er unserer Vorstellung geläufig geworden ist. Das Haupt ist etwas geneigt, das hagere Antlitz von tiefen Runzeln durchfurcht, und die ernsten Augen sind weit geöffnet, gleich als wollten sie alles sehen, alles überwachen.

So hat ein pietätvoller Sinn getreulich alles bewahrt, was an die reiche Vergangenheit unserer Gegend erinnert, und der Freund der Heimatskunde und der vaterländischen Geschichte kann manchen seltenen Schatz in dem Wernersdorfer Landhaus heben.

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Hans-Werner Teichmann

Heimatforschung im Riesengebirge / 2008 –hawete–

(Formulierungen und Schreibweise des Originals wurden in die Abschrift übernommen)


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