Erhard Krause

Die Flucht des geächteten

Freiherrn vom Stein


Durch Schlesien über Sagan, Bunzlau, Löwenberg

nach Schloß Buchwald im Riesengebirge



Es war Anfang Januar 1809, als der gestürzte preußische Staatsmann und Minister, Reichsfreiherr vom Stein (1757 -1831), in Berlin durch den dortigen holländischen Botschafter von dem Ächtungsdekret erfuhr, das Napoleon am 16. November 1808 in Madrid gegen ihn erlassen hatte, und das lautete:

"Erstens: ein Mann namens Stein, welcher Unruhen in Deutschland zu erregen sucht; ist zum Feinde Frankreichs und des Rheinbundes erklärt. Zweitens: die Güter, welche der besagte Stein, sei es in Frankreich, sei es in den Ländern des Rheinbundes, besitzt, werden beschlagnahmt. Der besagte Stein wird überall, wo er durch Unsere oder Unserer Verbündeter Truppen ergriffen werden kann, verhaftet, werden."



Dieses Dekret und der Umstand, daß der Anfang Januar 1809 in Berlin

eingetroffene neue französische Gesandte Graf St. Marsan Stein mitteilen ließ, er habe Befehl, sofort die Beziehungen zu Preußen abzubrechen, wenn er den Geächteten noch hier vorfände, zwangen den Freiherrn zur überstürzten Flucht, die ihn an den französischen Garnisonen vorbei durch Schlesien und über das verschneite Riesengebirge nach Böhmen führte. Wir lesen darüber in dem Werk von Franz Herre "Freiherr vom Stein - Sein Leben, seine Zeit" (Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1973) u. a.:

"Hals über Kopf, ohne die Seinen, verläßt er Berlin. Fluchtziel ist Österreich, das nächstgelegene Land, in das Napoleons Arm nicht reicht. Am 7. Januar gelangt er nach Sagan in Niederschlesien, totmüde, frierend, verängstigt; denn Glogau, eine Festung mit französischer Garnison, ist nicht weit. Nur wenige Stunden wagt er zu schlafen, dann hastet er weiter. Am nächsten Abend erreicht er Bunzlau, läßt seinen Wagen stehen und fährt in einem Schlitten bis Löwenberg, gönnt sich etwas Ruhe, bricht eine Stunde nach Mitternacht schon wieder auf.

Eine vorläufige Bleibe, herzliche Aufnahme und Hilfe findet der Flüchtling bei seinen Freunden, den Grafen Reden und seiner Familie auf Schloß Buchwald im schlesischen Riesengebirge, von wo aus er am 9. Januar einen Brief an seine in Berlin zurückgebliebene Frau sendet, in dem er die Stimmung schildert, die ihm bei seiner Flucht durch Schlesien in der Winternacht bewegte.



"Die Nacht war sehr schön, die Witterung milde, der Himmel bald bewölkt, bald erleuchtet, die Natur still und feierlich und die zahlreichen Wohnungen der Menschen, durch die man reiste, ruhig, und eine solche Nacht und solche Umgebungen geben der Seele eine Stimmung, die alles Menschliche, und sei es noch so kolossal scheinend, auf seinen wahren Wert zu bringen bereit ist. Mir fiel es ein, daß wir die Schleiermachersche Neujahrspredigt den ersten Tag. dieses Jahres gemeinschaftlich lasen, über das, was der Mensch zu fürchten habe und was nicht zu fürchten sei. . . "



Bei Steins Ankunft in Buchwald hatte Graf Reden sein gesamtes Personal in der Halle des Schlosses versammelt und Jedermann zu unverbrüchlichem Schweigen über das Verwei1en des Freiherrn verpflichtet. Bei diesen nur auf wenige Tage befristeten Aufenthalt Steins in Buchwald entstand eine Porträt-Zeichnung des Geächteten, welche die Schwägerin des Grafen, Caroline von Riedesel, anfertigte. Diese historische Zeichnung befand sich bis 1945 in Schloß Buchwald; ihr Verbleib seitdem ist unbekannt. Da die Verhaftungsbefehle gegen den Geächteten nicht nur in den Ländern des Rheinbundes, sondern auch in Preußen erlassen wurden, konnte sich Stein selbst bei seinen treuen Freunden in Buchwald nicht mehr sicher fühlen. Er beschloß deshalb nach Böhmen zu gehen. Tief betroffen von seinem Schicksal schrieb er am 12. Januar 1809 aus Buchwald an die Prinzessin Wilhelm:

"In wenigen Stunden verlaß ich ein Land, dessen Dienste ich dreißig Jahre meines Lebens widmete und worin ich nun meinen Untergang finde. --- Besitzungen, die seit 675 Jahren in meiner Familie sind, verschwinden, Verbindungen jeder Art, die in jedes Verhältnis meines Lebens eingreifen, werden vernichtet, und ich bin aus meinem Vaterlande verbannt, ohne jetzt auch für mich und die Meiningen eines Zufluchtortes gewiß zu sein. Möchte mein Untergang in dem Sturm der Zeit meinem unglücklichen Vaterlande nützlich sein, so will ich ihn mit Freudigkeit ertragen".



In der darauffolgenden Nacht zum 13. Januar 1809 ließ Graf Reden den dick in Pelze vermummten Flüchtling im eigenen Schlitten über den Königshaner Paß und die nahe schützende österreichische Grenze nach Trautenau bringen. Im Besitze Steins befand sich ein österreichischer Paß, den ihm seine tüchtige, umsichtige Gemahlin in Berlin beschafft und nachgesandt hatte. Begleitet wurde der Freiherr, der nun als ein "Herr von Voigt" die Grenze passierte, von einem Freund Redens, dem Grafen Karl von Geßler, der ihn auf der Fahrt ins Ungewisse zerstreute und aufrecht hielt. Soweit bekannt ist, führte der Fluchtweg nach Passieren der Grenze über Schwarzwasser und weiter über die Reußenhöhe nach Trautenau. Von dort schrieb Stein am 16. Januar 1809 vor seiner Weiterreise nach Prag an seine Freunde in Buchwald:

"In diesem Augenblick erscheint der Wagen, und wir schicken uns zur Abreise" an, mit erneuerten Gefühlen der Dankbarkeit und Liebe für die vortrefflichen Bewohner des Buchwalder Tales und mit ruhigem Hinblick auf die Zukunft und Unwillen über die knechtischen Seelen, die die Sprache der Lüge gesprochen haben in den uns mitgeteilten Zeitungsartikeln .... Morgen Abend hoffen wir in Prag zu sein und werden von da aus schreiben.

Leben Sie, meine braven und liebenswürdigen Freunde und Freundinnen, glücklich und seien Sie von meiner treuen Anhänglichkeit überzeugt."



Die dreieinhalb Jahre im österreichischen Exil verbrachte Stein in Prag, Brünn und Troppau.

Erwähnung verdient, dass der von Napoleon geächtete und in Österreich geheimpolizeilich überwachte Freiherr während seiner Verbannung am 14. September 1810 nahe der schlesisch-böhmischen Grenze eine heimliche Zusammenkunft mit dem preußischen Staatssekretär Karl August von Hardenberg hatte. Das Treffen, das wahrscheinlich von Graf Reden arrangiert wurde, fand auf preußischem Boden in dem am Fuße des Schmiedeberger Passes in Michelsdorf befindlichem "Fürstenkretscham" statt, welches historische Gebäude seitdem diesen Namen führte.

Im Sommer 1822 reiste Freiherr vom Stein nochmals mit seinen Töchtern Henriette und Therese nach Buchwald, wo diese bei der Gräfin Reden "das Leben und Wirken einer frommen, edlen, tüchtigen Gutsbesitzerin" kennen lernen sollten. Graf Reden, der edle Freund Steins, war bereits am 3. Juni 1815 in Buchwald an einem Lungenleiden gestorben.


Volkskalender für Schlesier 1989,

41. Jahrgang, Aufstieg-Verlag München

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Historische Daten über die handelnden Personen u.a. in http://de.wikipedia.org/wiki/Freiherr_vom_Stein

http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_von_Hardenberg

Daten bzw. historische Ansichten über den Fürstenkretscham u.a. in ... http://wroclaw.hydral.com.pl/18785,obiekt.html

12.04.2008 /hawete