Der „Schwarze“ von der Spindlerbaude

von Willi Matzke (1962)

 

Was einst für das Sauerland das „Kippenliesettchen“, war für unser Riesengebirge der „Schwarze“ von der Spindlerbaude, ein Original. Sie ständig mit einer Kippe, er mit einer Hucke. Von beiden gab es damals an allen Ansichtskartenständen ihrer Heimat Bilder mit ihren Persönlichkeiten zu kaufen, und unzählige davon gingen in alle Welt hinaus.

Wo sind sie geblieben? Im Laufe der Zeit für immer verschwunden und vergessen. Die Firma Max Leipelt in Bad Warmbrunn brachte seinerzeit zwei verschiedene Ansichtskarten vom „Schwarzen“ von der Spindlerbaude auf den Markt, einmal als Brustbild und einmal, wie die von mir gerettete, als Ganzaufnahme mit der Schneekoppe im Hintergrund.

 Den Schwarzen von der Spindlerbaude, Schröer Franzel, dürften aber noch gar viele von den älteren Heimatvertriebenen persönlich gesehen oder gar gekannt haben. Mit allen Menschen stand er per Du. Sein ganzes Leben lang war er ein „Pascher“, d.h. Schmuggler und kannte alle Schleichwege des ganzen Riesengebirges wie kaum ein zweiter. Aber stets war er nur ein Alleingänger. Er paschte Waren aus dem „Biemscha“ und umgekehrt wieder nach da. Was aber das Eigentümliche bei der ganzen Sache war, trotz seines zerzausten Aussehens hatte niemand Angst vor ihm, sogar die Kinder nicht, die sich sonst gar oft vor „Schwarzen Männern“ (Essakehrer) verkrochen.

Nie aber hat auch Franzel irgend jemandem etwas zuleide getan, er hatte überall nur Freunde, da er ein gutmütiger, oft gefälliger Mensch war. Ja, es gab sogar Leute, die der Ansicht waren, Franzel früh zu begegnen, hieße Glück bringen.

Aber nicht nur die Riesengebirgler kannten ihn, sondern auch die Gebirgsbesucher aus ganz Deutschland, vielleicht sogar darüber hinaus, und sandten seine Ansichtskarte in alle Welt.

Er verkehrte viel bei dem Bruder meines Großvaters, Franz Kraus in den Krausebauden, und gar oft brachte er uns Grüße von da mit nach Seidorf.

Wer war aber eigentlich der „Schwarze“ von der Spindlerbaude, der wohl außer in seiner Kindheit nie ein Bett gekannt hatte; ein Findelkind, dessen eigentlichen Namen wohl nur eine einzige Person wußte, seine Mutter, die niemand gekannt hat.

August Hollmann war es, der auf dem Wege von seiner in St. Peter gelegenen Wohnung nach Bad Warmbrunn an einem schönen Frühsommertag direkt am Wegrand ein sechs bis acht Wochen altes Kind , eingehüllt in ein damaliges „Eibindetüchla“, fand, welches wohl vor Hunger mächtig schrie. Da weit und breit kein Mensch zu sehen war, nahm Hollmann dieses Findelkind mit in die unweit gelegene Spindlerbaude, die fortan seine Heimstatt wurde.

Kein Mensch wußte den Geburtstag und seinen Namen, weil aber der Knabe mächtig schrie, so bekam er den Namen „Schreier“ und als Vornamen Franz. Aus dem Namen Schreier wurde später der Name Schröer, also Schröer Franzel.

Der Junge wuchs prächtig heran und wurde zum Hüten der Ziegen, die damals in Massen in allen Bauden vorhanden waren, verwendet. Er verrichtete später alle Arbeiten in solchem Baudenbetrieb, um sich dann als „Pascher“ selbstständig zu machen. So kam es, daß er geschäftlich bald in dieser oder jener Ortschaft auftauchte. Vom Waschen und von sonstiger Körperpflege hielt er nicht viel. Wasser kannte sein Körper nur, wenn er durch Regen bis auf die Haut durchnäßt war. Tag und Nacht nur im Freien, war seine Haut abgehärtet und glich einem gegerbten Stück Leder. Somit schwarz geworden, brachte ihm dieses den Beinamen „Der Schwarze von der Spindlerbaude“ ein. Mittellos war er aber nie, und stets trug er sein Vermögen in Goldstücken, eingenäht in seine Kleidung, bei sich.

Schon viel von ihm gehört, traf ihn einmal ein Berliner Bürgermeister, wenn ich mich recht entsinne namens Langerhans, bei einer Hochgebirgswanderung. Nachdem er sich eingehend mit ihm unterhalten hatte, lud er ihn sogar ein, einmal nach Berlin zu kommen und ihn zu besuchen. Franzel nahm seine Einladung an und hielt auch Wort. Eines schönen Tages fuhr er vierter Klasse nach Berlin – ganz in seiner alltäglichen Aufmachung. Bis Berlin ging alles gut, aber jetzt begannen die Schwierigkeiten wegen seiner Kleidung und ganzen Aufmachung. Keine Straßenbahn wollte ihn mitnehmen, und auch die Droschkenkutscher lehnten jegliche Beförderung ab. Franzel war aber keineswegs beunruhigt; wie in der Heimat, zog er also zu Fuß los. Hin und wieder wurde er sogar von Berlinern, die ihn vom Riesengebirge her kannten, freundlichst begrüßt und des Weges gewiesen. Als er in ein Geschäft ging, um Eßbares zu erstehen, und der Inhaber seinen Beutel voller Goldstücke sah, rief er sofort die Polizei, in der Annahme einen Dieb vor sich zu haben. Die Polizei war recht schnell zur Stelle und nahm ihn mit aufs Revier. Hier berief sich Franzel auf seine Einladung vom Bürgermeister und gab nicht eher Ruhe, bis dieser benachrichtigt wurde, und auch schnellstens erschien. Jetzt gab es verblüffte Polizisten, denn was keiner erwartet hatte,  der Bürgermeister erschien, eilte auf ihn zu, um ihm recht kräftig die Hand zu schütteln und zu sagen:“ Ja, Franzel, so einen Empfang hast du in Berlin nicht verdient“. Schnell war alles aufgeklärt und sogar die Polizei entschuldigte sich, ganz abgesehen von dem Geschäftsmann. Recht gut wollte ihn der Bürgermeister unterbringen, zuvor ihm aber ein gutes Bad verschaffen, aber Franzel lehnte ab. Er wollte nur ein Strohlager, welches man ihm auch sofort beschaffte. Volle drei Tage blieb Franzel in Berlin, dann trat er wieder seine Heimreise ins Riesengebirge an, um seinem alten Gewerbe – ohne Gewerbeschein – als Pascher zu huldigen.

 

 

Entnommen aus „Schles. Bergwacht“, 1962, Jgg.13, S553

 

Erstellt: W.Schön; Mail: genealogie@wimawabu.de