Der Koppenbriefträger

Robert Fleiß aus Krummhübel

von Gtzl.


Am Anfange der neunziger Jahre, als Krummhübel eine Postagentur erhielt, hatte der Posthelfer Fleiß die Post auf die Schneekoppe, die mit 1605 m der höchste Berg Preußens war, zu bestellen, wenn nicht die Ungunst des Wetters dies verbot. Dabei waren fast 1100 m Höhenunterschied zu bewältigen.

Der steinige, vom Wetter ausgewaschene Weg führte über das Gehänge; es war dies der kürzeste, aber auch steilste Anstieg. Oft erschwerten Gewitterstürme, Nebel, Schnee und Eis das Fortkommen. Hitze und Kälte wechselten in Rübezahls Reich häufig jäh ab, Kleidung und Schuhzeug wurden bei alledem sehr mitgenommen. Wegen dieser Schwierigkeiten bei der Postbestellung hatte Fleiß bereits einige Male um Gewährung einer regelmäßigen Zulage gebeten, doch blieb der Erfolg aus. Erst nach einem Besuche des Oberpostdirektors von Liegnitz wurde eine Prüfung der Angelegenheit zugesagt.

So erschien eines Tages der kaiserliche Oberinsp. N., der am nächsten Tage den Bestellgang begleiten sollte. In früher Morgenstunde fand er sich an der Postagentur ein. Bald traten die beiden ihren Marsch an. Fleiß, auf dem Rücken die ortsübliche Hucke mit den Postsachen, den derben Eichenstock in der Hand; sein Begleiter in leichtem Sommeranzug und Sommermantel, auch mit kräftigem Stock.

Sie durchschritten das noch ruhende Dorf und schriemten bald dem Gebirge zu, das in hellem Sonnenschein sich vor ihnen aufbaute. Silbern leuchteten da und dort neben dem dunklen Grün des Knieholzes einige Schneefelder aus steilen Schluchten, darüber die lange, geschwungene Linie des Hochgebirgskammes. Zur Linken die Schneekoppe, deren leichte Nachtmütze sich soeben verflüchtigte, so daß die Koppenbauden sichtbar wurden.

Bald nahm sie der prächtige Fichtenwald auf. Schnell kamen sie ins Gespräch. Fleiß sprach von seiner Familie, von Land und Leuten und von manchem Erlebnis bei schlechtem Wetter. Er erzählte auch von seinem Dienst und das er bei seinem Heimweg vom Gebirge nicht etwa ohne Postsachen ginge. Dafür sorgten auch die (in Mode gekommenen) Postansichtskarten. Der Postagent und Koppenwirt Pohl stellte sie damals selbst durch Aufdruck mit einem Gummistempel mit der ansucht der Koppenhäuser her. (In der Zeit der Ansichtskartenflut brachte ein Rekordtag ein Kartengewicht von 39 kg.) Mit Begeisterung sprach Fleiß von seiner Militärzeit beim posenschen In.-Regt. 47. Am siebziger Feldzuge nahm er als Unteroffizier teil. Er wurde am rechten Arm verwundet. Während der Kaiserproklamation stand er als Ehrenposten am Eingang zum Versailler Schloss. „Ei dar Kälde und bei dam viela Präsentier`n toaten mer bale de Knucha wieh!“ berichtete Fleiß treuherzig in seiner urwüchsigen Weise. Dies alles amüsierte Herrn N., der vom Niederrhein stammte.

Nun stieg der Weg im Bergwald steil an, so daß der Herr Oberinspektor Mühe hatte, mit dem erfahrenen Bergsteiger Schritt zu halten, obgleich er bereits den Mantel ausgezogen hatte. Fleiß erbot sich, ihn zu tragen. Bald zog Herr N. auch das Jakett aus; „ga´n Se ock de Jacke oo här, ich konn se noch ganz gutt nähm`“, Damit nahm Fleiß auch noch das Jakett über den Arm.

Es war dies N. sehr peinlich, doch war es inzwischen recht warm geworden; auch viel ihm das ungewohnte Bergsteigen schwer.

Die Technik der Gebirgler: „Lange Schriete, krumme Knie, do kummt ma nuf, ma weeß nee wie!“ war ihm noch nicht geläufig. So war er froh, daß sie endlich am Ende des Bannwaldes, der Grenze des Baumwuchses, in etwa 1200 m Seehöhe, anlangten, wo Fleiß eine Frühstückspause vorgeschlagen hatte. An einer schattigen Stelle ruhten sie aus. Fleiß erzählte, daß man hier beim Verlassen des Waldes häufig von heftigem Weststurm überfallen wird, der oft mit nadelscharfen Eiskörnern ins Gesicht schneidet.

Jetzt kam der schattenlose Aufstieg über das steinige Gehänge, das steilauf erkraxelt werden muße; ein richtiger ausgetretener Pfad war nicht mehr erkennbar; sie gelangten nun in den Gebietsstreifen des Knieholzes. Die Sonne brannte erbarmungslos. - Nun schnell den Kragen herunter und das Oberhemd gelüftet. - „Nu nee, dos därfa Se nee macha, do kriega Se an Sunnenbrand, doß Se`s vor Schmerza ni aushal`n tun, oder Se missa sich a Tichla imbinda!“ Diesem Veto des fürsorglichen Fleiß mußte sich der Herr Oberinspektor beugen. Je höher sie nun kletterten, umso öfter machten sie einen kurzen Halt, doch auch wegen der immer umfangreicher werdenden Rundsicht. Aus dem tiefen Melzergrunde zur Linken erwuchs in machtvoller Erhabenheit die Schneekoppe, auf dem Gipfel die preußische und die böhmische Baude, daneben die kleine Laurentiuskapelle. Nach Westen, am Gebirgskamm entlang erfaßte das Auge die „Sturmhauben“, das „Hohe Rad“, und die „Hohe Iser“ mit dem „Hochstein“. Der Rheinländer war von diesem Bilde überrascht und sagte ein über das andere Mal, daß er sich das alles nicht so großartig vorgestellt hätte. Zu ihren Füßen, nach Norden, das weite Hirschberger Tal mit den unzählbaren Ortschaften, der Burgruine Kynast und den vielen kleinen Bergen, den Teichen, Wäldern und Feldern, rings umrahmt von hohen Gebirgszügen. Allmählich gelangten sie nun auf die Höhe; auf fast ebenem, wenn auch steinigem Pfade konnten sie sich von dem anstrengenden Steigen etwas erholen. An der „Goldquelle“ erfrischten sie sich an dem kühlen Naß. Bald winkte die deutsch-böhmische Riesenbaude, sie lud zu kurzer Rast mit einem frischen Pilsner.

Doch bald brachen sie wieder auf, um die letzten 200 m zu erklimmen. Die steilen Serpentinen wurden verhältnismäßig leichter bezwungen, da in luftiger Höhe mit der dünneren Luft auch ein angenehmer Wind das Steigen erleichterte. Hier boten sich wieder andere Bilder: Zur Linken der tiefe Melzergrund, zur Rechten der schöne Riesengrund, begrenzt von dem mächtigen Brunnberg. Auf dem Gipfel der Schneekoppe überwältigte der Fernblick weit ins schlesische Land bis zur Oderniederung. Über die vielen Berge im Zuge der Sudeten waren in der Ferne der Glatzer Schneeberg und der Altvater erkennbar. Nach Westen die weiten Kammflächen mit ihren Erhebungen, auch der Jeschken und die Zittauer Berge, sogar die Landeskrone bei Görlitz war sichtbar.

In der preußischen Baude nahm der Koppenwirt und Postagent Pohl die Wanderer gut auf; so verlebten die Drei in Stephansdiensten eine frohe Stunde, die ihnen in bester Erinnerung blieb.

Die herumgerückte Sonne mahnte zur Heimkehr. Nach Übernahme der Postsachen nahmen sie den gleichen Weg, wie am Vormittage. Der Abstieg auf den steilen steinigeren Pfaden strengte Herrn N. , dessen Stiefel den Strapazen wohl nicht gewachsen waren, außerordentlich an. Jedenfalls konnte er sich erneut von dem Maße der körperlichen Leistungen des Koppenbriefträgers überzeugen. Wie mochte es aber erst sein, wenn Regen, Schnee und eisige Sturmschwaden auf den Höhen entlang fegten und dichte Nebel den Pfad verwischten? Am Gehänge konnten sie nochmals rundum das nun durch die Abendsonne vergoldete Bild genießen. Selbst der Koppenkegel in seinem felsigen Kleide zeigte eine freundliche, rötliche Färbung, die allmählich in geheimnisvolles Violett überging. Müde kamen die beiden Wanderer in Krummhübel an. Als sie sich trennten, glaubte der brave Fleiß die Gewißheit zu haben, daß diesmal sein Gesuch um Gewährung einer Leistungszulage von Erfolg sein würde, - wie es auch geschah.

Unser Robert Fleiß, der am 29.03.1847 in Baberhäuser bei Hain geboren wurde, galt als „erster Koppenbriefträger“, wie ihn auch eine Ansichtspostkarte mit seinem Lichtbild benannte. Bei der Einrichtung des Postamtes III in Brückenberg wurde er mit übernommen; noch manches Jahr hat er seinen mühevollen Dienst versehen. Er war allerorten bekannt und bei den ständigen Gebirgs-Wanderern wegen seines biederen Wesens geschätzt. So war es auch nicht zu verwundern, wenn er mitunter mal in gehobener Stimmung von seinem Bestellgang heimkehrte. Als er älter wurde bestellte er die Schlingelbaude, Kleine Teich-, Hampel- und Prinz-Heinrich-Baude (die am 10.10. 1946 von den Polen eingeäschert wurde).

Im Jahre 1924 mußte Fleiß durch die Personal-Abbau-Verordnung seinen Dienst quittieren. Es fiel ihm sehr schwer. Im Schweizerhaus in Brückenberg gaben ihm sämtliche Mitarbeiter des Postamtes einen Abschiedsehrenabend. Der Herr Postamtsvorsteher widmete dem Scheidenden herzliche Worte des Abschieds und Dankes. Da Fleiß wegen seines hohen Alters nicht in das Beamtenverhältnis übernommen werden konnte, erhielt er von der Reichspost neben seiner Alters-und Invalidenrente eine laufende Unterstützung von 25.-M monatlich. Die Oberpostdirektion, bei der er in hohem Ansehen stand, gewährte ihm alljährlich auf einen Antrag des Postamtes Brückenberg Beihilfen.

Der bekannte Heimatforscher Dr. Hans Reitzig aus Krummhübel erzählt, es sei ihm eine besondere Genugtuung gewesen, daß er dem ihm gut bekannten „Fleißa Robert“ an seinem 90.Geburtstag, auch noch den Glückwunsch des Kaisers aus Doorn übermitteln konnte, was den alte verdienten Veteranen zu Tränen rührte. Fleiß war wohl der letzte noch lebende Teilnehmer an der Kaiser- Proklamation in Versailles.

In seinen letzten Lebensjahren wohnte Fleiß in Krummhübel Neuhäuserweg , angesichts der Schneekoppe, die er so oft bei seinem Dienst bestiegen hatte. Er starb im Alter von 91 Jahren. Viele Postbeamte, sowie Kameraden von Militärvereinen und Gebirglern von weit und breit gaben ihm auf dem Arnsdorfer Friedhof das letzte Ehrengeleit.




Entnommen aus „Schles.Bergwacht“ 1956/N08/S134/137 (Bild)


Erstellt von: Winfried Schön; Mail:genealogie@wimawabu.de 27.06.04