Der Hirschberger Hausberg

von Otto Brandt (1953)



Hausberge“ sind zwar kein Gattungsbegriff, und dennoch haben sehr viele schlesische Städte ihren „Hausberg“, wenn er auch nicht so genannt wird. Wir denken da an den „Steinberg“ in Lauban, die „Landeskrone“ bei Görlitz, den „Zobten“ bei Breslau, den „Hopfenberg“ bei Haynau, die „Siegeshöhe“ bei Liegnitz, ohne damit die Reihe zu erschöpfen. Sie haben alle eines gemeinsam: Sie sind die nächsten und beliebtesten Ziele der Einwohner, die um ihn herum wohnen, und stets gab es auf ihrer Höhe gemütliche und alte behagliche schlesische Gaststätten.

Wie gern sind wir fast alle Wochen auf den Hausberg bei Hirschberg gestiegen, der uns in jeder Jahreszeit einen bezaubernden Blick in die Runde gab. Entzückt schweifte das Auge über die Türme und Dächer von Hirschberg, das schließlich an der gewellten Linie der Riesengebirgs-Silhuette hängen blieb. Im grünenden Frühling, im bunten Herbst oder im schneereichen Winter, im Tagesstrahl der hellen Sonne am blauen Himmel oder im sanften Silberglanz des Mondes in den Abend-und Nachtstunden: Immer gab uns der Hausberg einen Rundblick auf die Stadt und die Riesengebirgslandschaft, der fest im Gedächtnis haften geblieben ist. Ja, einen Rundblick, denn auch nach Norden schenkt der Hausberg einen wundervollen Ausblick in die gewaltig wirkende Sattlerschlucht, deren Schönheiten unmittelbar wirkten. Freilich hielten sich die „Durchreisenden“ mit ihrer allzubegreiflichen Hast nach dem Kamm viel zu kurz in der Stadt Hirschberg auf, um auch dessen allernächste Nähe mit ihren landschaftlichen Schönheiten voll auszukosten. Hätte Hirschberg nicht geradezu eine Fülle landschaftlicher Eindrücke zu bieten gehabt, der „Hausberg“ wäre sicher im „Bädecker“ mit einem Stern ausgezeichnet worden. Nun, wir haben auch ohne den Bädecker-Stern gewußt, daß der Hausberg eine Sehens-und Erlebniswürdigkeit war, und mit uns viele Generationen von Hirschbergern, die von jeher ihrem Hausberg eine besondere stille Liebe entgegengebracht haben. Noch wenige Tage, bevor der Iwan mit seinem „Befreierglück“ uns überfiel, waren wir zum letzten Mal oben und nahmen Abschied mit der wehmütigen Erkenntnis, daß wir für längere Zeit den Kaiserturm nicht mehr besteigen und und uns bei Muttel Dressler einen „Stonsdorfer“ genehmigen können.

Es gibt Teile von Hirschberg, die höher als der Hausberg liegen, der mit seinen 373 m. ü. M. In nächster Runde zahlreiche Kollegen besitzt, die es an Metermaß mit ihm aufnehmen. Aber seine Lage war doch so, daß er das schönste Gesamtpanorama vermittelte. 20 Minuten vom Hirschberger Ring entfernt, das war ein Kaffeespaziergang! Er führte entweder im weiten Bogen durch die westliche Stadt an den schönen Villen beschwerdelos zum Gasthaus oder über die kleine Brücke in der Nähe des Einflusses des Zackens in den Bober, dem sogenannten Bäche-oder Pechwinkel.

Natürlich hatte auch der Hausberg seine Geschichte, Schon vor mehr als hundert Jahren erinnerten nur noch sehr wenige, äußerlich kaum noch erkennbare Spuren außer dem Namen an das Haus Hirschberg, früher einmal Hyrzberg oder das Haus im Bäche-oder Pechwinkel genannt, das einst auf dem Hausberg stand. Es ging das Gerücht, daß die Kaiserlichen und die Schweden im dreißigjährigen Krieg die Gräben und Schanzen auf dem höchsten Gipfelplateau abwechselnd hier angelegt haben sollen. In der Warmbrunner Bibliothek des Grafen Schaffgotsch gab es eine Handschrift aus dem 16. Jahrhundert, die „Trautmann`sche Chronik“, die über die Gründung Hirschbergs und seiner Burg, das „Bolkenhaus“ genannt, folgendes aussagt: Darnach soll im Jahre 1004 Boleslaw Chrobi, König von Polen, von Herzog Udalrich geschlagen, von Böhmen in die Riesenberge geflüchtet sein. Da er hier schöne Wiesen, große Wälder und mancherlei Trümmer verlassener menschlicher Wohnungen fand, so habe Boleslaw einem seiner Edlen namens Panchelenik, der ihm den Weg dorthin gezeigt, aufgetragen, am Fuße des Berges eine Burg zu erbauen. Diese Angaben sind freilich bezüglich des Ortes sehr unbestimmt und sie dürften auch kaum einen Rechtsanspruch der Polen auf diese Gegend dokumentieren. Jedenfalls fährt die Urchronik fort, daß Panchelenik sofort des Königs Befehl befolgt habe. So sei das neue Haus, d. h. die Burg auf dem Hausberg, um das bald mehrere andere entstanden, nach ihm Panchelenik , später Hyrzberg, genannt worden. Natürlich handelt es sich hier mehr um eine recht dunkle Sage, der man wenig Glauben schenken darf. Andere Chronisten melden, daß Herzog Boleslaus III. von den Polen die militärische Wichtigkeit dieser, das Bober-und Zackengebiet beherrschenden Höhe erkannt und deshalb zwischen 1108 – 1111 diese feste Burg habe erbauen lassen, die vermutlich später der Stadt Hirschberg den Namen gegeben habe, was das Burgtor und die zwei Burggassen in der Stadt zu bestätigen scheinen. Wie gesagt, einer wissenschaftlichen Prüfung halten diese alten Chroniken nicht stand.

Der Geschichtsschreiber aus dem 16, Jahrhundert hebt bereits hervor, daß alles in tiefstes Dunkel gehüllt sei über die ersten Bewohner der Burg und über das, was in den frühesten Zeiten in der Burg „Merkwürdiges geschehen sei“. 1241 -im Jahre der Mongolenschlacht bei Wahlstatt-, soll sie von Herzog Boleslaw dem Kahlen erweitert worden sein,ebenfalls um 1299 von Bolko I. Von Schweidnitz und Jauer. 1312 war die Burg Sitz der Witwe von Herzog Bolko namens Beatrix, geb von Hackeborn. Hier lichtet sich das Dunkel. Im gleichen Jahre wurde die Burg mittels Urkunde, ausgestellt am Tage Mariä Lichtmeß zu Hyrzberg, von Herzog Heinrich I. von Jauer seinem Jäger Fritzko wegen geleisteter treuer Dienste, „nebst sieben Gärten um dieses castrum hyrzberg geschenkt“. Im Jahre 1345 war Konrad von Czirn Besitzer der Burg. Herzog Heinrich I. hatte sie in diesem Jahre gegen die Obergerichte von Reibnitz, Staupitz, Berthelsdorf und Grunau eingetauscht. 1346 besaß Friedrich von Pechwinkil (eigentlich Friedrich von Zedlitz) den Hausberg. Bis 1370 kommt sein Name als Burggraf in der Ausstellung öffentlicher Urkunden mehrfach vor. Nach ihm ein Jan Pechwinkil (d. h. Hans Mempcz oder Nimptsch), vielleicht ein Bruder Konrad v. Nimptsch, der im Zusammenhang mit dem Hausberg noch weiter genannt wird.

Um 1380 war Gotsche Schoff auf Kynast Burggraf auf dem Hausberg, was er bis zu seinem Tod 1403 geblieben zu sein scheint. Mit der 1392 nach dem Tode der Herzogin Agnes durch Böhmen erfolgten vollständigen Besitznahme der Fürstentümer Schweidnitz und Jauer scheint auch diese Burg in kaiserliche Hand gekommen zu sein. Denn 1423 verpfändete Kaiser Sigismund dieses Burglehen nebst allen Rechten und Zubehör an Konrad von Nimptsch für 200 Schock böhmische Groschen. Im Jahre 1427 drangen die Hussiten nach Schlesien. Sie berannten vom 13. bis 18. September die Stadt Hirschberg und die Burg auf dem Hausberg. Da aber beide sehr tapfer verteidigt wurden, hatten die Hussiten keinen Erfolg, jedoch gingen dabei die Vorstädte in Flammen auf. Obgleich die Gefahr vorüber war, fürchtete man doch die Wiederkehr der Feinde. Aus der Furcht, die Hussiten möchten durch Eroberung der Burg dort einen festen Halt gewinnen, gab 1433 der Landeshauptmann Albrecht von Kolditz, statt an größere Befestigung und Verteidigung zu denken, den Befehl, die Feste pfandweise der Stadt Hirschberg zu überlassen, der es zur Pflicht gemacht wurde, die Burg sofort zu schleifen und ohne kaiserliche Erlaubnis nicht wieder aufzubauen. Die Verpfändung und Zerstörung der Burg erfolgte nun bald – von Nimptsch behielt nur das Vorwerk unter dem Berge bis 1449 im Besitz, bis er es ebenfalls an die Stadt verkaufte. Um 1475 hatte Nikolaus von Wiese den Berg nebst Zubehör vermutlich pfandweise inne. Im Jahre 1598 brachte die Stadt Hirschberg dieses an sie verpfändete Burglehen von Kaiser Rudolph II. Käuflich an sich.

Während dem 30-jährigen Krieg behaupteten 1640 die Kaiserlichen den Hausberg, später die Schweden unter General Stol-oder Stahlhans. Bei dieser Gelegenheit mögen wohl die etwa vorhandenen Burgtrümmerreste noch mehr zerstört worden sein.

Vermutlich grub man damals nach Schätzen. Denn die Sage erzählt auch hier von in den Kellern aufgehäuften Schätzen, die von mächtigen Geistern bewacht werden und die nur einmal im Jahre in der Christnacht von Mitternacht an eine Stunde, solange der Gottesdienst zu Hirschberg in der katholischen Kirche dauert, zu erlangen waren, weil sich dann der Zugang zu ihnen öffne. Eine Tür mitten im Berge zeige dann den langen und schmalen Pfad zu den verborgenen Kostbarkeiten, Eine alte Hirschberger Chronik berichtet denn auch, daß ein armer Perückenmacher aus der Stadt mit Namen Kilian um die Mitte des 18, Jahrhundertsden Versuch gemacht habe, hier einzudringen. Es sei ihm dies auch zweimal gelungen, denn er habe beidemale soviel Gold und Silber mitgebracht, wie sein mitgenommener Puderbeutel fassen konnte. Ein dritter Versuch aber gereichte ihm zum Verderben, denn man fand seinen Körper zerschellt zwischen den Felsen.

Nun, die reizvolle Gegend mir der Umgebung der wildromantisch anmutenden Sattlerschlucht, muß ja geradezu ein Nährboden für derartige Sagen gewesen sein. Eine spätere Zeit machte den Berg zu einem angenehmen Vergnügungsort. Schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts befand sich auf seinem Gipfel ein kleines Gasthaus mit Kegelbahn, Lauben und Rasenbänken, Sonntagskonzerte sind in einem Zeitraum von mehr als 100 Jahren mehr oder weniger regelmäßig hier veranstaltet worden.Das geschah schon um 1850, denn wir wissen, daß damals eines der berühmtesten , europäischen Orchester, nämlich das Liegnitzer unter Benjamin Bilse neben seinen vielen Gastreisen nach Russland (Warschau, Petersburg), Belgien und Frankreich, Zeit und Gelegenheit fand, hier zu konzertieren, und die Konzerte unter dem Dirigentenstab Markscheffels stehen noch manchem alten Hirschberger in bester Erinnerung.



Entnommen aus „Schles. Bergwacht“, SB1953/N10/S02