Der „Friedhofskrieg“ zwischen Schreiberhau und den Strickerhäusern

Eine wahre Begebenheit aus den Schlesischen Bergen, die sich im Sommer 1892 zutrug.

Von Heinz Kulke


Siebenhundert Meter hoch lagen die Strickerhäuser, aber sie lagen am Ende der Welt, auf jeden Fall am Ende des deutschen Reiches, denn unmittelbar dahinter zog sich die Grenze entlang. Wohl wohnten damals noch Deutsche diesseits und jenseits der Grenze, diesseits die Schlesier, jenseits die Sudetendeutschen. Aber eine solche entlegene Kolonie konnte ihren Bewohnern nur ein ärmliches Leben voller Entbehrungen bieten. Freilich, die Strickerhäuser entbehrten keinesfalls der landschaftlichen Schönheiten, die man allenthalben im schlesischen Gebirge zu finden vermochte. Ins reizvolle Isertal konnte man blicken und von umblauter Höhe grüßte der Stephansturm hernieder.

Über vier Stunden mußten die Bewohner der Strickerhäuser nach Schreiberhau laufen, wohin sie gemeindlich gehörten, denn dort wohnten der für sie zuständige Bürgermeister, der Standesbeamte und auch der Pfarrer. In Schreiberhau befand sich auch der Friedhof der katholischen Kirche, auf dem die Bewohner der Strickerhäuser beerdigt werden mußten – von Rechts wegen jedenfalls - , wenn der Tod bei einem angeklopft hatte.

Aber nach Schreiberhau war es eben weit, sehr weit, und im Winter war es vor der Jahrhundertwende nahezu unmöglich, auf den verschneiten Berpfaden bis nach Schreiberhau zu gelangen. Im Winter war es für die Männer und Frauen der Strickerhäuser ohnedies einfacher, über die Grenze nach den sudetendeutschen Dörfern – damals „böhmische Dörfer“ genannt – zu gelangen und mit den Menschen jenseits der Grenze freundschaftliche Beziehungen zu pflegen und dort auch die notwendigen Einkäufe an Zucker und Salz, an Streichhölzern und Petroleum, an Pfeffer und Kaffee vorzunehmen.

Die Toten aus den Strickerhäusern aber beerdigte man im Sommer wie im Winter auf dem Friedhof von Prchichowitz, wohin der Weg viel kürzer war als nach Schreiberhau. Als nun aber in Schreiberhau - das muß 1890 oder 1891 gewesen sein – ein neuer katholischer Friedhof angelegt worden war, glaubten die Schreiberhauer, auch die Leute aus den Strickerhäusern zur Deckung der Kosten, die ihnen die Neuanlage des Friedhofes bereitete, heranziehen zu können. Doch die Männer und Frauen aus den Strickerhäusern wollten von einer Beteiligung an den Kosten nichts wissen.

Warum auch“, sagten sie sich, „wo unsere Toten doch immer über die Grenze nach Prchichowitz gebracht werden und wir den neuen Friedhof in Schreiberhau nicht in Anspruch nehmen werden!“

Die Leute aus den Strickerhäusern“, schallten aber die Schreiberhauer, „sind keine guten Patrioten, sie kaufen nicht nur in Neuwelt oder Wurzeldorf ein und tragen ihr Geld zu den Kaufleuten jenseits der Grenze, sie bringen auch ihre Toten hinüber und lassen sie nicht in die deutsche Erde diesseits der Grenze betten. Und doch müssen sie vierzig Mark zu den Kosten für den neuen Friedhof beisteuern“.

Es ging hart her. Die Schreiberhauer nannten die Leute aus den Strickerhäusern „Geizkragen“, und die Schreiberhauer wurden dafür „Halsabschneider“ geheißen.

Die Sache kam vor den Bürgermeister und vor`s Gericht, und eines Tages im April oder Mai 1892 wurden den Leuten aus den Strickerhäusern – man höre und staune – alle Uhren, sämtliche Seiger (Standuhr), mochten sie alt und wurmstichig oder neu und noch blank sein, gepfändet.

Vielleicht hätte es niemals wieder in den Berghäusern der Kolonie Strickerhäuser im hintersten Riesengebirge einen Seiger gegeben, der die genaue Stunde geschlagen hätte, wenn der ehrwürdige Herr Fürstbischof in Breslau nicht von dieser Angelegenheit erfahren hätte. Er erklärte sich schließlich bereit, die vierzig Mark zu bezahlen, und danach konnten die Leute aus den Strickerhäusern ihre Uhren wiederbekommen und der Krieg – der „Friedhofskrieg“ – war damit beendet.



Entnommen aus „Schles.Bergwacht, SB1963/N06/S102