Einkehr bei einem deutschen Dichter

(Gustav Freytag)

von H.K.

 

Dieser Dichter, zu dem ich euch, liebe Landsleute führen möchte, lebt längst nicht mehr. Aber das Haus, wo er gewohnt und gearbeitet hat und einen großen Teil seines Lebens verbrachte, das ist bis auf die Gegenwart erhalten, und wenn ich euch einlade, mit mir durch dieses Haus einen Gang zu machen, ja, so ist es gerade, als habe der Dichter bis vor einer Stunde in den Räumen geweilt. Als sei er nur für eine kurze Zeit fortgegangen und käme gleich wieder. Diesen Eindruck haben wir, wen wir das Gustav-Freytag-Haus in Siebleben bei Gothe besuchen. Und die meisten unserer Landsleute werden der Einladung, dieses stille Haus zu besuchen, gerne folgen, weil sie wissen, das Gustav Freytag ja Schlesier war, ein liebenswerter Landsmann, der unserem Volke viele wertvolle Werke schenkte, von denen so manches im Bücherschrank oder -regal der Schlesier steht.

Machen wir uns also auf, das Haus, von Gustav Freytag selbst einst „Lindenhaus“ genannt, aufzusuchen. Wir finden es, eine Wegstunde von Gotha entfernt, in dem Dörfchen Siebleben, das heute ein Teil der früheren Residenz des Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha ist. Von 1851 bis 1895, also länger als vierzig Jahre war Siebleben der Wohnort des Dichters. Wenn wir von Gotha kommen, so finden wir unmittelbar an der Landstraße, die nach Erfurt führt, das Grabmal des Dichters, unter grünen Bäumen im Schatten der Dorfkirche liegen. Eine Bronzeplatte, die das Bildnis des Dichters zeigt, ziert den Stein. Hier ist er mit seiner dritten Gemahlin beigesetzt, nachdem ihm das Schicksal die schwere Last auferlegte, zu erleben, wie seine beiden ersten Frauen unheilbarer Geisteskrankheit verfielen. Und nur wenige Schritte weiter, auf der anderen Seite der Landstraße, erblicken wir das schöne, alte Haus, an dessen Vorderseite eine Tafel die Inschrift trägt: „Hier ersann und schuf Gustav Freytag seine großen Werke 1851 – 1895.“ Die Stieftochter des Dichters, Mika Freytag- Strakosch, hat das Haus, bis in die gegenwärtige Zeit treu gehütet. Und wenn wir dieses Haus, das einst eine alte Schmiede gewesen ist, betreten, so stellen wir schnell in den ersten Minuten des Verweilens fest, daß die Erinnerung an den Dichter das ganze Haus durchklingt. Im Treppenhaus hängen noch immer die schönen Kunstblätter des schlesischen Kunstvereins, an denen der Dichter seine Freude hatte. Im Speisezimmer – von der Nachwelt auch  „Gläserzimmer“ genannt, weil der Dichter hier eine Unzahl alter und formschöner Gläser aufbewahrte – hängt ein Oelbild, das Vaterhaus Gustav Freytags in Kreuzburg. und unter den Gläsern finden wir gar viele, die aus Schlesien stammen. „Flinsberger Brunnen“ lesen wir auf dem einen Glase, darunter können wir eine eingeschnittene Ansicht von Flinsberg erkennen. Ein schönes und altes Kelchglas, trägt die Aufschrift „Warmbrunn“ und eine Ansicht des Badeortes. Über der Ansicht, am Kelchesrand, ist ein E eingraviert, und wir erinnern uns, das Gustav Freytags erste Gattin Emilie, geb.Scholz – sie war die Tochter eines Bürgermeisters aus Haynau – mehrfach in den schlesischen Bädern zur Kur weilte, als sich die ersten Anzeichen ihrer Krankheit bemerkbar machten. Sicher ist dieses Glas mit dem E aus ihrem persönlichen Nachlass.

Auf einem Glasbecher lesen wir „Riesengebirge“, darunter ist die Ansicht des Riesengebirgskammes eingeschnitten und auf der anderen Seite des Glases noch einmal eine Ansicht von Warmbrunn. Mit Rührung und voller Heimweh betrachten wir Heimatlosen diese Andenken an unsere Heimat im Osten und es wird uns angesichts dieser Erinnerungsstücke, die Gustav Freytag hier aufbewahrte, bewußt, das er seine Heimat, sein, unser Schlesierland sehr geliebt  haben muß.

Vom Speisezimmer gelangen wir in das Arbeitszimmer. Vor dem Schreibtisch steht der alte Lehnstuhl aus Rohrgeflecht, und überm Schreibtisch – zwischen den beiden Fenstern – sehen wir das Gipsmodell eines Denkmals von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha, der ein Gönner und rechter Freund Gustav Freytags war und an dem Schaffen und dem Schicksal des Dichters herzlichen Anteil nahm, bis ihm der Tod die Augen schloss.

Auf dem Schreibtisch sehen wir eine Unzahl Photographien, so, wie es eben dem Wohnstil des vergangenen Jahrhunderts entspricht. Und die alten Gerätschaften, die der Dichter zu seiner Schreiberei brauchte, sind auch noch alle da: Tintenfaß und Federschale, Federhalter und Löscher; nichts ist verändert worde, sondern alles ließ man an seinem Platze, um das Andenken des bedeutenden Mannes, unseres Landsmannes, in liebevoller Weise zu wahren. Selbst das alte, bestickte Sammetkäppchen, das Gustav Freytag aufsetzte, wenn er im Hause weilte oder wenn er in den Garten ging, an dem er so viel Freude hatte, ist noch auf dem Wandschirm zu sehen.

Wir durchschreiten den großen Wohnsalon, der sich ans Arbeitszimmer anschließt und gelangen in den „roten Salon“, der deshalb so heißt, weil darin nur Möbel, die mit rotem Plüsch bezogen sind, stehen. Hier erblicken wir das überlebensgroße Oelporträt des Dichters an der Wand, und seitlich davon, unter dem ovalen Oelbild, sehen wir das Pastellporträt einer jungen Frau: Die erste Gattin des Dischters. Gustav Freytag hat ihr immer ein inniges Andenken bewahrt, denn sie war ihm nicht nur eine gute und tapfere Lebensgefährtin, sondern auch die allerbeste Gehilfin, die auf die Art seiner Diktate so gut wie eingearbeitet war und alles schnell niederschrieb, was der Dichter ihr ansagte, daß Gustav Freytag noch lange nach ihrem Tode – der Zustand dauerte etliche Jahre – keine größeren Werke zu schaffen vermochte, weil ihm seine gute und hilfbereite „Schreiberin Emilie“ fehlte und er schwerlich für ihre Hilfe Ersatz finden konnte.

Wir werfen noch einen Blick ins Schlafzimmer des Dichters; mit seinen geblümten Vorhängen und den alten Möbeln wirkt es altväterlich und gemütlich.

Eben wollen wir das stille Haus verlassen, da kommt eine alte Dame, sie hat ein ungemein freundliches Gesicht, die Treppe vom Dachgeschoss des Hauses herunter, es ist die Stieftochter Gustav Freitags, die Tochter seiner dritten Frau Anna geb. Götzel und des damals sehr bekannten Lektors Professor Strakosch. Mika Freytag-Strakosch – eine Dame, die das achte Lebensjahrzehnt schon überschritten hat, schenkt uns Originalphotos des Dichters, dazu eine Originalhandschrift und leise und freundlich spricht sie zu uns, „seien Sie bedankt, daß Sie meinem lieben Stiefvater so ein schönes Andenken bewahren, daß Sie für alles, was in diesem Hause an ihn erinnert, so viel Interesse zeigen.“ In der Hitlerzeit mußte das alte Fräulein, da ihre Mutter Jüdin war, das liebgewordene Haus verlassen und wurde nach Theresienstadt gebracht. Doch vor dem Gastod bewahrte sie das Schicksal, und als der Krieg zu Ende ging, konnte sie in das Haus in Siebleben zurückkehren. Wir verabschieden uns von der alten Dame und gehen leise und sinnend die Treppe hinab. Draußen im Garten, der das Haus umgibt, umfängt uns noch einmal helles Sonnenlicht, und die letzten Blumen des Gartens träumen vom vergangenen Sommer . . . .

 

 

 

Entnommen aus „Schles.Bergwacht“, SB56/N29/S520 (2 Fotos)

 

Erstellt: W.Schön; Mail: genealogie@wimawabu.de