Vor 71 Jahren - - - -

Ein Wagenrad rollt nach Berlin

von Herbert Besser



Im April des Jahres 1934 rollten zwei Wagnermeistersöhne ein 2,5 m hohes Wagenrad von Bad Warmbrunn nach Berlin, um für ihr Handwerk und ihre Riesengebirgsheimat zu werben. Ich will nun versuchen, die Beweggründe, die Fahrt selbst, und den Erfolg dieses für die damalige Zeit einzigartigen Unternehmens zu schildern.


Der Entschluß zur Fahrt

Als ich erfuhr, daß zur Ausstellung „Deutsches Volk – deutsche Arbeit“ in den Ausstellungshallen am Kaiserdamm in Berlin besonders das bodenständige Handwerk vertreten sein sollte, stand fest, daß das große Wagenrad, welches ich im Jahre zuvor zur Handwerkswoche gebaut hatte, dahin gehörte. Doch nicht mit der Bahn, sondern zu Fuß mußte es gerollt werden. Berlin war 310 km entfernt. Das war auch ein sportliches Ziel, welches wert war, Strapazen zu wagen. Mit dieser Idee stand ich lange allein, kein Versuch wollte gelingen. Der Bund wollte wohl die Unkosten des Transportes per Bahn übernehmen, aber ein solch großes Rad zu rollen, hielt man in Berlin für unmöglich.

Bei einer Quartalsversammlung gelang es mir, einige Kollegen des Vorstandes zu begeistern. Nun wurde die Presse alarmiert, die Tagesziele festgelegt, Quartiere bestellt, und die Badeverwaltung stiftete das erste nötige Geld. Das Rad erhielt einen Reifen, wurde lackiert und beschriftet. Nun suchte ich verzweifelt nach einem Kollegen, der gute Beine hatte. In letzter Minute sagte Alfred Schmidt aus Krommenau zu und so konnte es losgehen.


Die Fahrt

Am Morgen des 11.April hat sich vor dem Schloß in Bad Warmbrunn eine große Menschenmenge eingefunden, um uns gute Ratschläge, herzliche Abschiedsworte und Glückwünsche mit auf den Weg zu geben. „Lebt wohl ihr lieben Berge, lebt wohl ihr lieben Mädchen, wir tippeln nach Berlin.“ In Berthelsdorf erreichte uns die Nachricht, daß man auch in Berlin jetzt anders dachte und uns erwartete. Greiffenberg war unser erstes Ziel. Das Rad wog 2,5 Zentner, und die Berge hatten Arme und Beine ganz schön mitgenommen, denn das Rad hatte doch keine Bremse. Der zweite Tag sollte uns bis Görlitz bringen, aber diese 41 Kilometer sind uns sehr sauer geworden. Die Sonne schien uns mächtig auf den Pelz. „Den toten Punkt müssen wir überwinden, wir halten durch!“ so sprachen wir uns gegenseitig Mut zu. Hundemüde, mit Blasen an den Füßen kamen wir an, doch aufgeben - - niemals! Der dritte Tag brachte den gefürchteten toten Punkt. Die Blasen platzten auf. Wir wechselten die schweren Schuhe gegen leichte, aber da spürten wir jedes Steinchen. So schleppten wir uns von einem Kilometerstein bis zum anderen und erkannten, daß zwischen dem Entschluß und der Durchführung einer großen Arbeit oft schwere Hindernisse liegen. Doch aufgeben konnten wir nicht. Man hätte uns ja daheim ausgelacht. Also weiter - - -

Doch bald lehnte unser Rad an einem Straßenbaum, wir selbst saßen an einem Bachrand und badeten unsere wunden Füße - - - kaum 1/3 unseres Weges war geschafft! Da hielt ein Auto, wir bekamen Apfelsinen und Schokolade, und bald war unser trübsalblasen vorbei. Wir vergaßen sogar unsere Schmerzen und erreichten zwar spät, aber mit neuem Mut unser Tagesziel. So fuhren wir von jetzt ab stets mitten auf der Straße, damit die Autos mindestens langsam fahren mußten, wenn sie vorbei wollten. Doch meistens hielten sie, und der Proviant wurde nie mehr „Ebbe“. Der fünfte Tag war als Ruhetag geplant, doch wir waren so in Form, daß wir die 24 Kilometer bis Kottbus wagten. In Gottwalds Gaststätte erwarteten uns Turner, die uns einen herzlichen Empfang bereiteten. Wir mußten tüchtig Kottbuser Weiße tanken, und dann ging`s im Geleitzug ins Quartier. Durch diesen Tag war jedoch der vorgesehene Plan umgeworfen, als wir dann noch von der Hauptstraße abbogen, um an einem Schweinschlachten teilzunehmen, suchte uns die Presse vergebens. So kam es, das wir einen Zeitungsartikel fanden und herzlich lachen mußten. „Von den Radrollern keine Spur – wo bleiben die Bengels“ - war die Überschrift. Doch wir rollten weiter, durch die herrlichen Wälder der Märkischen Heide, und bekamen stündlich neue unvergeßliche Eindrücke. In Zossen wurde das Rad gründlich gewaschen, und auch wir machten uns fein, denn nun konnte ja nichts mehr schiefgehen. Um 14 Uhr sollten wir am Flughafen Tempelhof sein, doch kurz zuvor mußten wir unbedingt mit Kaffeetrinken kommen und es gab etwas mehr als Kaffee. So wären die Herren bald verärgert über die unpünktlichen Radroller nach Hause gefahren. Zur Begrüßung hatte sich der Bundesvorstand, eine Fachschule mit Lehrern und Kollegen eingefunden. Wir waren von diesem großen Empfang so begeistert, daß wir nur kurz danken konnten; denn zu groß war in diesem Augenblick in uns die Freude, daß wir diese 310 Kilometer in nur 54 Stunden Marsch trotz aller Widerstände geschafft hatten und den Berlinern zeigen konnten, daß im entfernten Riesengebirge zähe Burschen gewachsen waren. Nun gings mit 12 Mann Musik und den erschienenen Kollegen quer durch Berlin, durch das Brandenburger Tor bis zur Siegessäule. Hier waren die Berliner müde, der Zug wurde aufgelöst, und wir fuhren allein weiter. Gegen 22 Uhr erreichten wir die Ausstellungshallen am Funkturm und hatten am letzten Tag 48 km geschafft.

Nun waren wir Gäste des Berliner Oberbürgermeisters, wir konnten das schöne Berlin mit seinen Bauten, den Zoo, die „Scala“, aber auch die Hinterhöfe von Moabit kennenlernen. Wir „zischten unsere Mollen“ und kassierten die Honorare der Zeitungen, denn etwa 30 Zeitungen und Illustrierte konnten wir mit unseren Bildern sammeln. Ich besuchte dann noch unsere deutsche Turnschule. Herr Direktor Ohnesorge, dieser einmalige Pädagoge der deutschen Turnerei, ließ mich den Geist dieser Hallen atmen. Dieser Besuch war mir daheim Ansporn zu intensiver Arbeit im Verein, so daß ich zwei Jahre später zu einem Lehrgang dahin berufen werden konnte.

Das Rad selbst kam ein halbes Jahr später per Lastzug zurück, wurde zunächst in der Schaffgotsch`schen Sammlung in Bad Warmbrunn und später im Riesengebirgsmuseum aufbewahrt, nachdem es nochmal im Festzug innerhalb der Riesengebirgswoche mitgerollt war.

Wenn ich nun noch einmal den Erfolg dieser „verrückten“ Idee zusammenfassen soll, so waren es nicht nur diese 310 Kilometer Straße mit ihren stets wechselnden Bildern, nicht nur der Blick in das schöne Handwerkswandern der guten alten Zeit, denn auch die Handwerksburschen hatten doch nie Geld in der Tasche und erlebten doch die schönste Zeit ihres Lebens. Durch Kontakt mit erfahrenen Kollegen erkannte ich, daß wir uns bald umstellen und selbst Gummiwagen bauen mußten.



Abschrift v. W.Schön, Mail:genealogie@wimawabu.de, 28.02.06