Das Hohe Rad auf dem Riesengebirgskamm

Erhard Krause




Die höchste Erhebung des Weststockes des Riesengebirges, die zugleich der höchste Punkt des Gebirges auf schlesischer Seite nach der Schneekoppe ist, bildet das hohe Rad (1509m), ein oben flachgewölbter, riesiger Trümmerberg von eigenartiger Glockenform und überaus fesselnder Aussicht nach Schlesien und Böhmen.

Es handelt sich bei den Gesteinstrümmern der kahlen Bergkuppe um Aplite, auffallend helle und gleichmäßig feinkörnige Ganggesteinedes Granits die diesen in bestimmter Richtung durchsetzen. In großen stockförmigen Massen treten Aplite im Riesengebirge außer auf dem Gipfel des Hohen Rades in den auffälligen Felsnadeln der Falkenberge bei Fischbach, am Birkberg und Ruhberg bei Schmiedeberg, am Stangenberg südlich Stonsdorf, dem Eulenstein und Falsberg bei Marienthal auf. Einen Weg über den Trümmerberg des Hohen Rades zu bauen, hat sicherlich schwere Arbeit gekostet. Schon viele Jahre vorher, bevor die beiden deutschen Riesengebirgsvereine in Hirschberg und Hohenelbe 1880 ihre segensreiche Tätigkeit in dem Gebirge aufnahmen, hatte ein Gebirgsführer namens Fischer einen Steinpfad auf die aussichtsreiche Höhe angelegt, um den Besuchern einen gefahrlosen Aufstieg auf den Berggipfel zu ermöglichen. Wir lesen dazu in dem alten Reisehandbuch „Der Sudetenführer“ von Julius Krebs, welches 1839 in Breslau erschienen ist, u.a.:

Eine schmale Niederung trennt die große Sturmhaube vom großen oder Hohen Rad, an dessen Nordabhange die einsame Pudelbaude liegt. Es ist nach den beiden Koppen des Brunnberges der höchste Gipfel des Gebirges, 4689 F. hoch, ein Haufen Granitblöcke, über die der Kammweg und die Grenze geht, die auf einem glatten Stein durch ein eingehauenes Kreuz bezeichnet wird.

Es würde das Hohe Rad so schwierig wie die Sturmhaube zu besteigen sein, hätte nicht der Führer Fischer einen gefahrlosen, bequemen Steinpfad zu dem herrlichen Panorama gebildet, das man oben genießt. Der Ehrenmann soll dafür von der Liegnitzer Regierung eine Belohnung von 10 Thalern erhalten haben. Der Blick umfaßt ringsum das ganze Gebirge und dringt dann weit, weit hinein nach den gesegneten Ländern Sachsen, Schlesien und Böhmen. Es ist ein Standpunkt, der dem der Riesenkoppe gleichzusetzen ist, wo er ihn nicht übertrifft.“

Seit 1888 trug der Scheitel des Hohen Rades auf der Nordseite einen 5 m hohen „Malhügel“, dem Andenken Kaiser Wilhelm I. Von Hirschberger Turnern gewidmet, die diesen Steinhügel vom 26. bis 28. Mai 1888 aus den umherliegenden Felstrümmern aufschichteten. Auf der Nordseite dieser abgestumpften Pyramide befand sich nach einem Modell von C. Schuler das Bronzerelief des Kaisers und ein schlesischer Marmorblock in Gestalt des eisernen Kreuzes mit der Widmung:

Turnerdank dem Begründer des Deutschen Reiches Kaiser Wilhelm I.“. Das Ganze krönte ein drei Zentner schweres bronziertes eisernes „W“.

Der Abfall des Hohen Rades ist nach Osten bedeutender als der nach Westen. Das Hinabgehen von demselben ist deshalb trotz des vom RGV so bequem wie möglich angelegten Weges beschwerlicher als der Aufstieg von Westen her. Der Weg ist steinig und senkt sich in vielen Windungen abwärts. Auffallend sind die vielen losen Steine, die mit der schönen, gelbgrünen Landkartenflechte (Lecidea geographica) überzogen sind. Unten folgt dann eine grasige Fläche, beiderseits mit Knieholz bestanden, auf welcher, der ausgehauene Streifendie frühere deutsch- tschechische Landesgrenze bildete. Wir befinden uns hier in der 1390 m hohen Einsenkung zwischen dem Hohen Rad und der Großen Sturmhaube, deren Gipfel ebenfalls mit Granitgeröll bedeckt ist.

Aus dieser Einsenkung lenkt ein Fußsteig südlich nach der Martinsbaude (1250m) hinab, die am Südhange des Hohen Rades am oberen Ende des Martinsgrundes auf einer mit Steinböcken übersäten Wiesenfläche liegt. Der Erbauer dieser ursprünglich drei Gebirgsbauden mit dem Gasthaus „“Martinsbaude“ war Martin Erlebach, nach dessen Vornamen die Gastbaude ihren Namen trägt. Seit dem Jahre 1879 bewirtschaftete die Baude Johann Lauer, der sie zu einem Einkehrhaus ausbaute. Dessen beide Söhne erlitten im Frühjahr 1900 in der Nähe des Hohen Rades einen schrecklichen Tod im Schneesturm. Wir lesen über dieses Unglück in dem Buch „Der Winter im Riesengebirge“ von Berthold Lessenthin (Breslau 1901) den nachstehenden Bericht:

Am 22.März 1900 war die Kammstrecke am Hohen Rad der Schauplatz einer Schneesturmkatastrophe, welcher zwei jugendliche Menschenleben zum Opfer fielen. Die beiden Söhne des Besitzers des Gasthauses in den Martinsbauden Johann Lauer, im Alter von 14 und 10 Jahren, verließen mit ihren Hörnerschlitten am frühen Nachmittag die elterliche Baude, um von der Nordseite des Gebirges Holz abzufahren.

Auf dem Rückweg gerieten die Knaben in einen Schneesturm, verfehlten die damals an jener Stelle nicht lückenlose Stangenmarkierung und irrten in mondloser Nacht in Sturm, Schneetreiben und Nebel auf der Oede des Kammes. Der an jenem Tage in Spindelmühle beschäftigte Vater kehrte erst in später Abendstunde nach Hause zurück. Wertvolle Stunden zur Rettung der Vermißten waren ungenützt verflossen. Die Anstrengungen der durch das Ausbleiben der Söhne beunruhigten Mutter, die Verirrten zu finden, waren erfolglos geblieben.

Beim Grauen des Tages machten sich am 23.März Johann Lauer und die hilfsbereiten Bewohner der Nachbarbauden zur Rettung der Vermißten auf. Ihr stundenlanges Suchen hatte den Erfolg, daß sie die Verirrten im tiefen Schnee erstarrt hinter einem Knieholzbusch, den einen bereits tot, den anderen sterbend fanden. Am 28.März erfolgte unter lebhafter Teilnahme der gesamten Gebirgsbevölkerung die Beerdigung der beiden Opfer des Schneesturmes. Als einer der „Siebengründe“ senkt sich vom Hohen Rade der Pudelgrund mit dem Pudelwasser in den Elbgrund hinab. Im Quellgebiet des Pudelwassers, das eine Viertelstunde vor seiner Mündung in die Elbe den 38 m hohen Pudelfall bildet, befindet sich in 1300 m Höhe die Ruine der abgebrannten Pudelbaude, eine ehem. Sommerbaude aus dem 18. Jahrhundert. Es war dies eine der interessantesten Kammerbauden des Riesengebirges.

Ihr Erbauer soll ein junger Gebirgler gewesen sein, der sich in die Bergwildnis unterhalb des Hohen Rades geflüchtet hatte, weil er der Zwangsassentierung und 14jährigen Dienstzeit entgehen wollte.

In Begleitung des jungen Flüchtlings habe sich außer seiner Schwester ein kleiner schwarzer Pudel befunden, welcher Umstand dem Eigentümer den namen „Pudelmann“ und seiner Baude die Bezeichnung „Pudelbaude“ eingetragen haben.

Wie Lessenthin in dem erwähnten Buch berichtet, wurde die Pudelbaude wegen ihrer für Kammwanderungen günstigen Lage schon frühzeitig von den Bergwanderern als Herberge benutzt. 1867 wurde sie neu erbaut, nachdem im vorhergehenden Winter ihr morsches Dach von den Schneemassen eingedrückt worden war. Seit dem Sommer 1900 war die Baude nicht mehr bewohnt und scheint bald danach abgebrannt zu sein.