Berlin in Afrika

von Jutta Merensky, Kapstadt 1961


Manneshohe, verstaubte Kakteenwälder dehnten sich vor mir aus, soweit mein Blick reichte. Wie Kerzen ragen ihre leuchtend roten Blüten gen Himmel und bilden als ein Flammenmeer einen starken Kontrast zu den gelblichen Riesen-Ananasfeldern. Plötzlich blendet mich ein grelles großes Schild mit schwarzen Lettern: BERLIN. - Einige Meter weiter stoppte mein Volkswagen – quasi ohne Aufforderung – vor einem zweiten Plakat: Berliner Gemischtwaren-Laden. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Meinen fragenden, verdutzten, umherschweifenden antworteten voreiligst kichernde, schwarze Schulmädchen.. „You ar now in Berlin“ (Sie sind jetzt in Berlin). Noch verblüffender wurde mein Gesicht, als plötzlich Fräulein Langheim, die Besitzerun des Ladens, vor mir stand. Hier Heidinnen, in ihre malerischen, orangefarbenen Tücher gewickelt, mit hohen Turbans und noch höheren Lasten darauf, und dort die Deutsche, solide Ladenwirtin in blauer Leinenschürze unter ihren hängenden Knackwürsten stehend: ein Bild. Das ich nie vergessen werde. Ich war wirklich im schwarzen Erdteil „Afrika“ und gleichzeitig in „Berlin“: Dies war nämlich ein deutsches Dorf aus der Zeit der ersten deutschen Legionäre im Jahre 1857. Stolz wurde mir das erste Haus aus Stein gezeigt. Dieses hatte Oberst von Hake gebaut und hiermit Berlin gegründet. In grüne Hügelketten eingebettet, besaß es jetzt eine sehr breite Dorfstraße (die Nationalstraße der Union), die 40 km weiter nach East London, dem Hafen der ersten deutschen Legionäre und ersten deutschen Siedler in Kaffraria, einer Provinz des Kaplandes, führte.


Vor dem einzigen Hotel traf ich ein altes Mütterchen, von glaube ich weit über 80 Jahren. Sie erzählte mir von dem harten Leben ihrer Vorfahren. „Ihre Ernte, die sie mühsam dem kärglichen Boden abgerungen hatten, schleppten die Frauen 40 km auf dem Rücken nach East London zum Markt. Übrigens, dieser deutsche Markt ist heute noch in Betrieb“. (Anmerk: 1961) bemerkte sie freudig. Aus dem äußersten Winkel ihrer geräumigen Ledertasche kramte sie nun eine Briefmarke heraus, Sie war zur Erinnerung an die jetzige 100-Jahr-Feier der ersten deutschen Pioniere in East London geschaffen, „Wie gut kann ich mich auf die Fahrten in unserem Trudelwagen entsinnen, den Wagen, den sie hier auf der Marke sehen. Aus dem Block eines Baumstammes wurden die Räder hergestellt, die so solide und stabil sind, daß heute noch im historischen Umzug in East London dieser erste deutsche Wagen, der übrigens für Brautleute, Kohlkopfe – und sogar zur letzten Fahrt – benutzt wurde, mitgewirkt und neben der altbewährten Schubkarre stürmischen Beifall erhalten hat. Meiner Eltern und vieler anderer Vorfahren zu Ehren prangt er heute auf Briefmarken, Porzellanschälchen und Aschenbechern, die in Grahamstadt, dem Ananaszentrum, hergestellt wurden.“ Nun schlenderte ich mit meinem Mütterchen die Dorfstraße an 2 Fleischern, 2 Garagen und einer Halle vorbei – bis wir zu einer scheinbar sehr alten, einsam stehenden Kirche kamen. Sie war von Ackerland und einem einzigen, einstöckigen Farmhaus mit einem Gänse- und Hühnerhof umgeben. Dieselben grob gehauenen, grauen Quadersteine waren auch hier verwandt worden und offenbar hatte dieses Haus dem Pfarrer gedient. Die Kirche war schlicht und bescheiden, wie die Kirchgänger ihrer Zeit an die ganze Gegend hier mit den Ortsnamen wie Frankfurt, Potsdam, Braunschweig, Stutterheim, Hannover und Wiesbaden erinnern.


In Frankfurt sah ich das alte Haus von Baron Linsingen, der am 3. März 1822 in Verden a. d. Aller geboren war und hier so lange gelebt hatte, bis er in der Nähe von Tsomo am 14.Nov. 1880 während einer Schlacht mit aufständischen Eingeborenen getötet worden war. Heute lebt Julius Klickers darin. Ein anderes, ebenfalls noch heute erhaltenes deutsches Haus, war später Schule, dann Hotel und heute ist es die Wohnstätte eines 82-jährigen deutschen Nachkommen A. Kläckers.


Andere deutsche Namen und Marksteine aus dieser historischen Zeit fand ich auf dem deutschen Friedhof in Pammur in East London, der heute modernen Hafen- und Industriestadt. Die angrenzende ehemalige Festung, der ersten deutschen Militaristen, die im Jahre 1857 hier gelandet waren, da sie nach Anwerbung durch den Engländer für den Krimkrieg, nach Sewastopol erst kamen, als der Krieg bereits zu Ende war, und nun die Kapprovinz Kaffraria besiedeln sollten – war jetzt Gefängnis. Namen wie Rißling, Ziehl, Schultz, von Buddenbrock, Reymann, Büttner, Hildebrand, Hoffmann und Henkel usw. fand ich hier auf der deutschen Ruhestätte in Vincent, dem früheren deutschen Dorf Cambridge. Ein strohgedecktes, mit primitiven Mitteln erbautes Farmhaus jener Zeit, befand sich in unmittelbarer Nähe dieses friedlichen, von alten Bäumen beschattetes Plätzchen. Und so erinnern nicht nur Spreewäldertrachten, Seppelhosen, Firmenschilder, lutherische Gemeinden und Schulen an die Vorväter Deutschlands, sondern auch ein Gedenkstein, den Dr. Dönges, der Innenminister, dem rauschenden Meer gegenüber in East London legte.


Entnommen aus „Schles.Bergwacht“, SB1961/N33/S606