Straupitz im Riesengebirge

von Reinhold Hinke



Da die Einwohner von Straupitz in alle Winde verweht, so viele der älteren Generationen für immer von uns gegangen sind, fühle ich mich veranlaßt, euch zu schildern, wie sich unser lieber Heimatort seit der letzten Jahrhundertwende entwickelt hat.

Ferner veranlaßte mich der Bericht unseres Herrn Hauptlehrer Ritter in der Märzausgabe der Bergwacht Nr.8, der mich ganz besonders erfreute. Die Aufnahme „Motiv am Bober“ (Märzausgabe) führt uns in Gedanken in unsere liebe Heimat zurück. Dort befand sich oberhalb des Wehres eine Badeanstalt. Bis zum Bau des Hirschberger Schwimmbades in der Schmiedeberger Straße herrschte hier reger Badebetrieb. Während der Sommermonate waren Gruppen des stolzen Jägerbataillon zum Schwimmdienst angetreten. Das war für uns Jungen aus dem niederen Ortsteil ein großes Erlebnis, wenn der dicke Maiwald (Bademeister) seine Zöglinge instruierte, wobei gar mancher Rekrut Boberwasser schluckte.

Nun wollen wir einmal Rückschau halten.


Ab 1900 waren als Gemeindevorsteher im Dienst:

Heinrich Dittmann (Kretschambesitzer)

Julius Merkel

Robert Scholz

Paul Hoppe (Sägewerk Kunze)

Gustav Schubert

Karl Ramfft

Reinhold Hinke


Als erstes seien die Feuerbrünste im niederen Ortsteil erwähnt. Etwa im Jahre 1904 gerieten beim Bauern Julius Schindler die Scheunentore in Brand. Der Schrankenwärter an der Berbisdorfer Straße entdeckte den Brand als Erster und alarmierte die Feuerwehr. Die brennenden Tore konnten gelöscht und ein größerer Brand verhindert werden. Man fand Reste einer Zeitung, die der Brandstifter für sein Werk verwendet hatte. Der Verdacht fiel auf die Bewohner eines gegenüber liegenden Hauses, da nur dort selbige Zeitung abonniert wurde.

Anfang Mai des darauffolgenden Jahres brannte die Scheune des Ernst Fischer (Dorfstraße 3) völlig nieder.

Ein Jahr später, im Mai 1906, wurde in unmittelbarer Nähe meines väterlichen Hofes ein Queckenschober angezündet. Das Feuer galt unseren Gebäuden. Zu dieser Zeit hielten die Sangesbrüder im Reichsgarten ihre Singstunde ab. Sie entdeckten das Feuer zuerst und löschten es gemeinsam.

Am 1. Mai des darauffolgenden Jahres wiederholte sich abermals ein Brand, dem sämtliche Gebäude der Familie Besser, Dorfstraße 15, zum Opfer fielen. Beinahe wären die alten Mendes (Vorbesitzer) in den Flammen umgekommen. Unter den Auswirkungen des Brandes verlor ich meinen lieben Vater im Alter von 35 Jahren.


Man verdächtigte einen Sangesbruder, den Brand jeweils ausgelöst zu haben, zumal dieser die Singstunde immer vorzeitig verließ. Nach gewissen Ermittlungen konnte der Täter jedoch nicht überführt werden; vielleicht wollte man auch die Familie schonen. Durch Beschluß der Gemeinde ergab sich eine Ortsverweisung desselben. Von dieser Zeit an hatten die Brandstiftungen überraschend ein Ende gefunden.

Unser Friedhof wurde 1906 nach dem Dorfe hin um um 3 Morgen erweitert. Anfang 1907 gab man ihn zur Bestattung frei. Mein Vater war einer der Ersten, der hier seine letzte Ruhestätte fand.

Der Beweis, daß Straupitz vor Hirschberg bestanden hat, ist dadurch erbracht, daß das St. Georgs- Kirchlein in Straupitz (erbaut 1109) die älteste Kirche im Kreise und gleichzeitig die Mutterkirche der Stadtpfarrkirche darstellte. 1934 wurde unser Straupitzer Kirchlein von Seiten der Stadtpfarrkirche renoviert. Auch die Gemeinde stiftete dazu einen größeren Betrag. Bei diesen Arbeiten entdeckte man in der kupfernen Kuppel des Kirchleins mehrere Dokumente, u.a. eine Urkunde, welche von einem George Hinke, dem damaligen Dorfschulzen im Jahre 1629 vollzogen war. Sie bekundete, daß das Geschlecht schon damals dort seßhaft war.

Bei Schließung der Kuppel fügte man den Urkunden ein Dankschreiben an die Gemeinde bei, worin der derzeitige Gemeinderat namentlich festgehalten war. Sollten diese Unterlagen von den Polen nicht vernichtet werden, hören spätere Generationen einmal davon.

Nun will ich euch verraten, wie lange meine Vorfahren auf dem Hofe in Straupitz Nr.11 ansässig waren. Es ist mir nach mühevollen Nachforschungen 1934 gelungen, den Nachweis zu erbringen, daß die Sippe Hinke bis 1629 zurückreicht und den Familienbesitz aufweist. In dieser Zeit ging der Besitz ohne Namensänderung immer vom Vater auf den Sohn über, so daß meine Kinder als zehnte Generation auf dem Hofe geboren wurden.

Davon gab eine Ehrenurkunde – gestiftet von der Landesbauernschaft Schlesien – Kenntnis, welche in der Jahrhunderthalle zu Breslau aufbewahrt wurde.

Unser Heimatort wurde um die Jahrhundertwende oft von Überschwemmungen heimgesucht. Ich erinnere an das schwere Hochwasser von 1897, welches in der Gemeinde ungeheure Schäden zur Folge hatte. U.a. wurde die Boberbrücke am Reichsgarten weggerissen. Durch Flußregulierungen und Talsperrenbauten in den letzten Jahrzehnten konnten diese Gefahren verringert werden.

Nach 1900 nahm die Industrie in Straupitz einen beträchtlichen Aufschwung. Die Papierfabrik Erfurt vergrößerte sich um das Doppelte. Sie beschäftigte ca. 200 Personen. Als weitere Betriebe seien genannt Baugeschäft Weist (150 Beschäftigte) und Kunze sowie die Schlosserei Güldner und die Tischlereien Seliger (25 Personen), Ansorge (später Hartmann) und Galle.

Nach dem 1. Weltkrieg errichtete die Gemeinde zu Ehren der Gefallenen ein Kriegerdenkmal, worin die Namen der Gefallenen aus Straupitz verzeichnet waren.


Im Jahre 1921 baute die Gemeinde am Niederviehweg ein 6-Familienhaus. Den Bauplatz stellte die Firma Erfurt. Einige Jahre später wurde das Zwölffamilienhaus an der Jahnstraße fertiggestellt.

An der Scharnhorststraße erwarben verschiedene Einwohner Grundstücke und erbauten darauf schöne Wohnhäuser, die mit der Pracht ihrer Vorgärten das Auge erfreuten.

Das Baugeschäft Kunze an der Hindenburgstraße und die dazu gehörenden Ländereien erwarb ein Jude aus Breslau. Er verkaufte das Gelände als Bauparzellen, welches Raum für 65 Wohnhäuser gab. Auch die Gemeinde hatte dadurch erhebliche Ausgaben; sie ließ die Hindenburgstraße neu ausbauen und ca. 800 m kanalisieren.

Unsere Dorfstraße befand sich vor dem ersten Weltkrieg in einem sehr schlechten Zustand. Gar viele von den älteren Einwohnern werden sich noch daran erinnern. Die Landwirte und Haus-Eigentümer wurden zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet. So wurde alljährlich die Straße mit Schotter ausgebessert, wozu viele hundert Fuhren nötig waren. Ende der zwanziger Jahre beschloß die damalige Gemeindevertretung, die Dorfstraße auszubauen. Hierzu wurde das Baumaterial von den Bauern während der Wintermonate kostenlos aus dem Steinbruch an der Lomnitzer Straße herbeigeschafft, um im darauffolgenden Frühjahr den Ausbau der Straße durchzuführen.

1934 nahm man eine Neuschüttung und Teerung der Dorfstraße vor. Anschließend wurde das gemeindeeigene Ortsnetz erneuert. Beides bedeutete für die Gemeinde erhebliche Geldausgaben. Ferner wurden die abgeholzten Flächen in den Wäldern neu aufgeforstet.

Viele dieser Maßnahmen fanden als Notstandsarbeiten ihre Durchführung, wodurch die Arbeitslosigkeit beträchtlich abnahm.


Auch der Bau einer Turnhalle erwies sich als notwendig. Hierfür erwarb die Gemeinde die Scheune des Gärtners Hoffmann, Dorfstraße 39 und das angrenzende Grundstück. Durch rege Mithilfe der Turnbrüder des M.T.V. wurde die Scheune zu einer Turnhalle ausgebaut und ein Sportplatz angelegt.

Infolge der steigenden Einwohnerzahl unseres Heimatortes reichten die Unterrichtsräume unserer Schule nicht mehr aus, weshalb man in der alten Schule neben dem Gemeindebüro ein weiteres Klassenzimmer einrichtete und eine fünfte Lehrkraft einstellte.

Als weitere Einrichtung möchte ich den Kindergarten erwähnen. Ende der dreißiger Jahre kaufte die Gemeinde die ehemalige Schälschmiede und baute sie zu Wohnungen aus. Später – es war wohl kurz vor Kriegsausbruch – richtete man darin einen Kindergarten ein.

Der Wohlstand der Gemeinde wuchs von Jahr zu Jahr. Schon im 1. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts sahen die Stadtväter von Hirschberg diese Entwicklung voraus und bemühten sich um die Eingemeindung des unteren Ortsteils bis zum Kretscham. Die Gemeindevertretung konnte dieses Vorhaben jahrzehntelang verhindern.


Nach hartnäckigen Verhandlungen gelang es der Stadt Hirschberg schließlich 1934, das Gelände links des Bobers einschließlich Heimstraße ohne jegliche Entschädigung einzugemeinden. Dadurch gingen der Gemeinde größere Industrieunternehmen und erhebliche Steuergelder verloren.

Ich sprach am Anfang von den Feuersbrünsten und möchte an dieser Stelle einiges über unsere sehr pflichtbewußte Feuerwehr sagen.

Unter Führung des Hauptbrandmeisters Ernst Raupach entwickelte sich die Straupitzer Feuerwehr zu einer der größten und modernst ausgestatteten im Kreise Hirschberg. Bei unzähligen Bränden war sie schnell zur Stelle und hat auch in den Nachbargemeinden ihren Dienst verrichtet. Es herrschte unter den Wehrmännern eine vortreffliche Kameradschaft. 1936/37 kaufte die Gemeinde eine motorisierte Spritze mit Mannschaftswagen. In den Jahren 1944/45 wurde unsere Wehr sogar zu Löscharbeiten nach Breslau verpflichtet. So hat sie bis zum Ende ihres Bestehens ihre Pflicht erfüllt.

Auch das Vereinsleben hatte in Straupitz eine gewisse Bedeutung erlangt. Feuerwehr, Militärverein, Vaterländischer Frauenverein, Turnvereine, Gesangvereine, Ziegenzuchtvereine, Kleintierzucht- und Schrebergärtnerverein, sie alle waren miteinander verbunden.

Als stärksten Verein in der Gemeinde möchte ich den Militärverein nennen, dem unser lieber Kamerad Gustav Schubert vorstand. Gar manche frohen Stunden verlebten wir bei Apellen, Veranstaltungen und Königsschießen, die zu einer guten Kameradschaft und auch Dorfgemeinschaft führten. Ungezählte liebe Kameraden sind vom Verein – mit Musikkapelle begleitet – zu Grabe getragen worden.

Unser Kamerad Gustav Schubert konnte infolge Erkrankung im Juni 1946 nicht mit ausgesiedelt werden. Durch die Aufregung mit den Polen verschlechterte sich sein Gesundheitszustand so, daß er im November 1946 starb. Die wenigen noch daheim gebliebenen Straupitzer betteten ihn zur letzten Ruhe.


Wie schön waren doch die alljährlich stattfindenden Königsschießen, an denen jung und alt begeistert teilnahmen, darunter auch Teilnehmer aus den Nachbarorten. Am darauf folgenden Tag (Montag nachmittag) startete dann das so beliebte Kinderfest. Unser Kamerad Adolf Talke gab sich unendlich Mühe, die kleinen Festteilnehmer zu erfreuen. So zogen die Kinder geschmückt durch das Dorf zum Festplatz – hinter Bauer Schuberts Grundstück gelegen – wo sie sich bei Spielen und dergleichen vergnügten. Mit Würstchen und Süßigkeiten wurden sie dann belohnt. Es war für die Kinder der schönste Tag des ganzen Jahres. Viele der nun herangewachsenen Generationen werden noch gern daran zurück denken.