Petersdorf im Riesengebirge
Am Eingang des
romantischen Zackentales und an den Abhängen der eichbewaldeten
Vorberge des Rübezahlreiches gelegen, zieht sich der
langgestreckte Gebirgsort Petersdorf (350 bis 740 m) 3 km lang
an beiden Ufern des Großen Zackens hin und wird von der
aussichtsreichen Bismarckhöhe überragt. Zusammen mit
seinen beiden hochgelegenen Kolonien Hartenberg und Kiesewald
zählte er rund 4 500 deutsche Einwohner, und war vor 1945
ein sehr besuchter Touristenort des Riesengebirges. Wenn auch der
Fremdenverkehr nicht so gewaltige Ausmaße annahm, wie im
benachbarten klimatischen Kurort Schreiberhau, der als
Wintersportplatz internationale Bedeutung besaß, so erfreute
sich doch auch Petersdorf auf Grund seiner herrlichen Lage als
Sommerfrische und Wintersportplatz einer von Jahr zu Jahr größer
werdenden Beliebtheit. Im Sommer 1833 wurde in dem Ort mehr
als 4 000, im Winter 1932/33 etwa 520 Gäste gezählt.
Den stärksten Fremdenbesuch hatte immer der Ortsteil Kiesewald
(630 bis 700 m), wo 1926 allein an die 2 000 Gäste
weilten. Das aus etwas 50 Häusern bestehende Baudendörfchen,
das seine Entstehung böhmischen Glaubensflüchtlingen zur
Zeit des Dreißigjährigen Krieges verdankt, hat eine
ungewöhnlich schöne und gesunde Lage mitten im schönsten
Gebirgswalde im Schutze des Kammes gegenüber den Schneegruben,
die prachtvoll emporragen. Der kleine Ort zieht sich bis zur
Einsattelung zwischen Matzler- und Holzberg (672 m)
hinauf und ist nur wenig niedriger als die Bismarckhöhe (714 m).
Verbunden mit der Muttergemeinde ist Kiesewald, das einen eigenen
Gemeindewald besaß, durch eine prächtige Autobergstraße
mit Straßentunnel, die von Ober-Petersdorf in vielen Windungen
heraufsteigt. Außerdem führt ein schöner, staubfreier
Fußweg vom ehemaligen Gasthaus „Zum Deutschen Haus“,
in dessen Nähe sich eine etwa 500 bis 600jährige Eibe (Eibe
steht angeblich heute noch, muss geprüft werden) befand, an
der Bergseite entlang nach der Bergsiedlung. Noch mehr zu empfehlen
war der Fußweg über die auf halber Höhe des
Kiefernberges gelegene Wilhelmshöhe (500 m).
Die Kolonie Hartenberg (440 bis 470 m), eine reizende
Gebirgssiedlung in dem breiten Waldtal des Kleinen Zacken an der
alten Waldstraße nach Bad Flinsberg aufwärts
und genießt eine schöne, ruhige Lage zwischen Hohem
Iserkamm und Zackenkamm. Das Dörfchen zählte 700 deutsche
Einwohner und erfreute sich als Sommerfrische wegen seiner günstigen
Höhenlage und der herrlichen Waldspaziergänge nach allen
Richtungen, besonders ins nahe Isergebirge zu den Bibersteinen
(640 m), der Leopoldsbaude (715 m) und der Ludwigsbaude
(767 m), großer Beliebtheit. Am Fuße des Nebelberges
war eine schöne Villenkolonie im Entstehen begriffen. Von der
nahen Sandhöhe hat man einen wunderbaren Blick auf den
Kamm des Riesengebirges.
Im Oberdorf
von Petersdorf mündet der bei der Ludwigsbaude im
Isergebirge entspringende Kleine Zacken in den Großen Zacken.
Auf dem Ortsgebiet der Gemeinde, die eine katholische und eine
evangelische Kirche (letztere erbaut 1747/48), eine
evangelische Hauptschule, vier Ärzte, Apotheke, Jugendherberge
und eine Autoreparaturwerkstatt besaß, befinden sich drei
Bahnhöfe der elektrisch betriebenen Zackentalbahn; Petersdorf,
Nieder-Petersdorf und Hartenberg. Die Station Petersdorf war
Eilzug-Haltestelle. Von Petersdorf nach Ober- Schreiberhau bzw. nach
Brückenberg- Krummhübel über Hermsdorf, Giersdorf,
Seidorf und über Hermsdorf nach Bad Flinsberg verkehrten
Autobusse. Auskünfte erteilte die Gemeinde- und Kurverwaltung
und die Ortsgruppe Petersdorf des RGV, die einen Spezialprospekt mit
Karte versandte. Als Fremdenverkehrsbeitrag wurde je Übernachtung
eine Kurabgabe von 20 Pfennig erhoben.
Von den zahlreichen ehemaligen Hotels und Gasthöfen seien
genannt: Hotel „Silesia“ (siehe Bergwacht 04/2004,
Hotel Silesia-Bilder) am Bahnhof, Hotel „Wilhelmshöhe“
am Kiefernberge, Berghotel „Schneegruben“ in Kiesewald,
die 1632 erbaute Felsbaude (fr. Glumms Gasthaus) in Kiesewald, die
Waldfriedenbaude in Hartenberg und die Gasthäuser „Zum
Zacken“ (Mitteldorf), „Zur Eisenbahn“ (Niederdorf,
„Zur Hoffnung“ (Oberdorf), „Zu den vier
Jahreszeiten“ (Niederdorf), „Zur Sonne“
(Mitteldorf) „Zur Hüttenschenke“ (mit altdeutscher
Bier- und Weinstube), die Wiesengrundbaude mit Freibad in Kiesewald
und Schröters Gasthaus „Kretscham“ in Hartenberg.
Außerdem gab es zahlreiche Fremdenheime. An den Hängen des
Mühl- und Kiefernberges standen den Sommerfrischlern auch
Landhäuser zum Vermieten zur Verfügung.
Bedeutend war die Industrie, welche der Gebirgsort aufzuweisen hatte.
Wie Schreiberhau ist Petersdorf ein Hauptsitz der Glasindustrie
im schlesischen Teil des Riesengebirges. Bereits in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts wirkte hier der berühmte
Glasschneider Friedrich Winter
(gestorben 1712), gebürtig aus Rabishau im
Isergebirge, der die erste Schleifmühle im Zackentale
errichtete und aus dessen Werkstatt in Petersdorf viele vorzügliche
Schöpfungen im Hoch- und Tiefschnitt hervorgegangen sind. Die
von Friedrich Winter geschnittenen prachtvollen Gläser und
Pokale zählen heute zu den wertvollsten Werken deutscher
Glaskunst. Berühmtheit erlangte auch die von Fritz Heckert
in Petersdorf errichteten Kunstglashütten, deren
ausgezeichnete Herstellung besonders gemalter Gläser (nach
Sütterlin und indischer Dekor) hervorragende Leistungen
darstellten. Die in der Heckert’schen Glasmanufaktur (gegründet
1866) gezeigte Ausstellung kunstvoller Glasgegenstände
fand stets das besondere Interesse der Besucher Petersdorfs. Später
war das Heckert’sche Kristallglaswerk Eigentum des Grafen
Schaffgotsch innerhalb des Konzerns „Josephinenhütte
AG“ mit Sitz in Petersdorf.
Außer
der Glasindustrie (Glashütten, Schleifmühlen, Mahl- und
Gravierwerkstätten) betrieb Petersdorf Holzstoff- u.
Papierfabrikation und besaß auch eine Kunstseidenfabrik.
Im ehemaligen Vitriolwerk, dem späteren Sanatorium
„Zackental“, das zu den letzten Häusern Petersdorfs
flußaufwärts gehörte, sind früher Schwefelkiese
verhüttet worden. Eine Gedenktafel an dem Gebäude erinnerte
an die Anwesenheit König Friedrich Wilhelms III.
und der Königin Luise am 17. August 1800 und an
diejenige des Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit den Seinen am
19. August 1866. Erwähnung
verdient, dass die Kolonie Kiesewald der einzige Ort in Schlesien
war, in welchem von der Familie
Glumm seit 1763 der Ebereschenschnaps auf warmen
Wege hergestellt wurde. In dem Baudendörfchen wurden auch noch
die alten Volksbräuche, wie die Spinn- und
Lichtenabende, gepflegt und alljährlich im Sommer erfolgte
die originelle Aufführung der „Kiesewalder Spinnstube“,
als deren Verfasser der Lehrer Knappe zeichnete.
Zahlreich sind die Ausflugsmöglichkeiten von Petersdorf sowohl
ins Riesengebirge wie ins Isergebirge. Die besuchtesten Punkte
bildeten die Bismarckhöhe, die Wilhelmshöhe,
der sehenswerte Kochelfall, der Moltkefels, die
Bibersteine, die Ludwigsbaude, der Hochstein und
die Schneegruben. Zu letzteren prächtiger Aufstieg von
Kiesewald über den Leiterweg, die Hohe Brücke
und die Heupläne in drei Stunden. Am Holzberg westlich
von Kiesewald befinden sich die „Kesselsteine“,
die große Verwitterungslöcher von 20 cm bis 1 m Tiefe
zeigen, und früher für heidnische Opferkessel gehalten
wurden. An einem der Felsen befand sich eine Gedenktafel für
Professor Dr. Scholz aus Hirschberg ( gestorben in
Breslau).
Erhard Krause
... aus dem
„Schlesischen Gebirgsboten“, Jahrgang 1970, Ausgabe 1,
übertragen durch Hans-Werner Teichmann