Etwas über das Dorf Voigtsdorf im Riesengebirge

von Gustav Günther (März 1987)



Unser Heimatdorf Voigtsdorf im Riesengebirge liegt etwa 3 km nördlich von Bad Warmbrunn, es ist ein Reihendorf, etwa 4 km lang und hat einen Höhenunterschied von 350 – 460 m üb. NN. Die Gemeindefläche beträgt 1128 ha. Auf einer Feldmark im Ortsteil Hain ist die Quelle des Baches, der das Ganze Dorf durchfließt. Rechts und links vom Dorfbach haben die ersten Siedler das Land in langen Streifen nach Osten bis an die Ortsgrenze von Gotschdorf und im Westen bis an die Ortsgrenze von Kaiserswaldau-Wernersdorf eingeteilt. Die Grundbücher weisen 30 landwirtschaftliche Höfe und das Vorwerk, dem Grafen Schaffgotsch in Bad Warmbrunn gehörend, nach. Die Nr.1 war die Scholtisei, ein großer Betrieb mit dem Gerichtskretscham. Dieser Hof liegt in der Mitte des Dorfes, die Felder in östlicher Richtung bis an die Gotschdorfer Grenze. An dieser Ostseite sind dann in gleicher Weise in langen Streifen die Felder der Nummern 2 – 7 eingeteilt. Das ist das südliche Ende, oder wie man später sagte, der Anfang des Dorfes. Nun ging es auf der anderen Seite mit den Nummern in nördlicher Richtung weiter. Die Landstreifen liefen nun in westlicher Richtung erst bis an die Wernersdorfer Ortsgrenze (Nieder-Voigtsdorf), bis an die Kaiserswaldauer Grenze (Ober-Voigtsdorf mit Hain) bis zur Nr. 24, dann gingen die Nummern an der Ostseite herunter bis zum Vorwerk, letzteres ohne Nummer. Die Nummern 25 und 26 grenzten an Krommenau, nördlich von Voigtsdorf. Die Nummern 27 – 30 grenzten an Reibnitz in östlicher Richtung. Auf beiliegender Skizze habe ich die Namen der letzten Bauern auf diesen Höfen festgehalten. Im Laufe der Zeit sind wahrscheinlich 2 oder mehr Söhne auf einem Hof gewesen außer dem Hoferben und wollte noch einer selbstständiger Landwirt werden. Dann hat ihm der Vater vom Hof soviel Land abgegeben, daß es zu einer Existenz gereicht hat. Daraus entstanden die sogenannten „Gärtnerstellen“ und die Inhaber hießen Stellenbesitzer. In Voigtsdorf hatten wir derer 23, - die Nummern. 31 – 53. Die Höfe, die auf diese Weise Land abgegeben hatten, nannte man Restgüter. Die Nummern 1 – 53 sind die alten Grundnummern und stimmen nicht mit den Hausnummern überein.

Ich erwähne das deshalb, weil die zuletzt geltenden Hausnummern von 1 bei Emil Hanke fortlaufend bis zu Nr. 222 bei Wehner in Hain erst 1917 eingeführt wurden. Zu der Ortsbauernschaft gehörten im III.Reich 60 Betriebe mit Hofkarten, das sind solche, deren Anbaufläche für den Lebensunterhalt einer Familie ausreicht und 16 Nebenbetriebe. Ein Teil der Bewohner waren Handwerker. Da gab es Fleischer, Bäcker, Schmiede, Schlosser, Stellmacher, Tischler, Maurer, Zimmerleute, Weber, Glasschleifer, Schneider und Schuhmacher usw. Die einzelnen Berufe sind aus dem Adressenbuch ersichtlich. Es waren auch 5 Läden mit Kolonialwaren und damit niemand Durst leiden mußte, 5 Gasthäuser da. Im Jahre 1909 erhielt Voigtsdorf die Versorgung mit elektrischem Strom. Der letzte deutsche Bürgermeister bis 1945 war Hermann Sturm, er hatte das Amt über 20 Jahre inne und genoß im Dorf ein großes Vertrauen.

Wie allgemein in Schlesien, war auch in Voigtsdorf ein reges Vereinsleben. Da gab es die Spar- und Darlehnskasse (Reiffeisen), die freiwillige Feuerwehr, den Militärverein, den Männergesangverein, 2 Turnvereine, 2 Radfahrvereine, den Mandolinenklub und vor 1933 den „Vaterländischen Frauenverein“. Wie in den meisten Dörfern hatte auch unser Ort eine ganze Reihe guter Musiker und demzufolge eine entsprechende Kapelle, langjähriger Leiter war Paul Häring.

Der Schlesier liebt die Gemeinschaft und die Geselligkeit. Das kam auch in unserem Dorfe besonders zum Ausdruck, wenn in den Wintermonaten die Vereine ihren „gemütlichen Abend“, das Stiftungsfest oder den Maskenball feierten. Da wurden außer turnerischen oder gesanglichen Darbietungen in den meisten Fällen auch Theaterstücke und Singspiele vorgeführt. Manch heiteres Duell oder Gedicht wurde zur Freude der Besucher vorgetragen. Sämtliche Rollen wurden von Dorfbewohnern gespielt.

Von den Einwohnern in Voigtsdorf waren etwa ¾ evangelisch und ¼ katholisch (geschätzt). Zur katholischen Gemeinde gehörten auch die Glaubensgenossen aus Krommenau und Seifershau. Die kath. Kirche kann man ein Wahrzeichen von Voigtsdorf nennen. Sie ist infolge ihres hohen Standortes fast im ganzen Hirschberger Tal und vom Gebirge her zu sehen. Leider konnte ich nirgends erfahren, wann sie gebaut wurde. Der letzte deutsche, amtierende Geistliche war Pfarrer Friedrich Roter, der seit 1935 im Dorf, ein hoch geachteter und beliebter Seelsorger war .

Über die in Voigtsdorf im Jahre 1742 errichtete Holzkirche ist im ersten Teil dieses Berichtes geschrieben worden. Sie stand in Besserbauers oberen Garten in der Nähe von Wiesner`s Gasthof. Die in der Zeit 1754/55 erbaute, uns allen bekannte massive Kirche, benutzten die Polen als Schuppen. Wann der Turm für 3 Glocken auf dem Friedhof errichtet wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Im ersten Weltkrieg mußten die Glocken, weil sie aus Bronze waren, abgegeben werden. Sie wurden nach dem Krieg durch Stahlglocken ersetzt. Unser Pastor Heinrich Zeller war von 1906 bis zu seinem Tode im Jahre 1939 der letzte, festangestellte Geistliche in der Gemeinde. Nach seinem Tode hatte Pastor Wegehaupt aus Petersdorf die Vertretung. Als auch er in den Kriegsjahren aus diesem Leben abberufen wurde, übernahm Oberkonsistorialrat Hemd, der von Breslau war und als Ruheständler in Warmbrunn lebte, die seelsorgerische Betreuung unserer Gemeinde. Ich werde nie vergessen die Trauerfeier, die er für seinen Sohn, einen Studienrat, 38 Jahr alt, der gefallen war, in unserer Voigtsdorfer Kirche hielt. Für uns alle ein Zeichen starken Glaubens. Nicht wegzudenken aus unserem kirchlichen Leben ist unser lieber Kantor Gustav Wolf. Er war der Sohn eines Steinbrucharbeiters aus Seitendorf und kam im Herbst 1908 nach Voigtsdorf. Hier übernahm er die Stelle des 1. Lehrers an der Volksschule und das Amt der Kantorei in der Kirchengemeinde, zu dem auch die Leitung des Kirchenchors gehörte. Außer diesen Ämtern war Wolf auch im Vereins- und öffentlichen Leben bis zur Vertreibung 1946 in der Gemeinde tätig und im ganzen Dorf bekannt und beliebt.

In Voigtsdorf gab es eine evangelische und eine kath. Schule. In der evang. Schule waren 2 Lehrer, in der kath. einer. Die letzten bis zur Vertreibung waren Gustav Wolf, Werner Marquardt und Bruno Haetzold. Der zuletzt genannte war auch Protokollführer bei den Sitzungen des Gemeinderates und Kantor in der kath. Kirche.

Rückblickend nun noch einiges aus dem Dorfgeschehen.

Am 27. August 1911, an einem Sonntag, brannte das Anwesen von Landwirt Adolf Rücker, Wohnhaus und Scheune, vollständig nieder. Weil ich als elfjähriger Junge den Brand mit erlebt habe, will ich zu den Witterungsverhältnissen des Jahres 1911 etwas schreiben. Es war ein sehr nasses Frühjahr, bis zum 7. Mai viel geregnet. An diesem Tage feierte der Militärverein sein Fahnenweihfest, deshalb habe ich das Datum noch gut in Erinnerung. Von da an hat es bis in den September nicht mehr geregnet. Ein trockener heißer Sommer, der Dorfbach hatte so wenig Wasser, daß die Feuerwehr kein Wasser für die Spritze hatte. Im Brunnen vor der Siebenhaarschmiede war noch Wasser. Eine von Männern gebildete Eimerkette konnte das von Funkenflug sehr gefährdete Wohnhaus des Nachbarn Wilhelm Wehner erhalten.

Für die Gefallenen des 1. Weltkrieges 1914/18 wurde 1922 in Besserbauers Garten ein Denkmal errichtet. Dasselbe mußte weichen als enige Jahre später die Straße Gotschdorf – Voigtsdorf - Kaiserswaldau erneuert und die Durchfahrt durch unser Dorf umgelegt wurde. Das Denkmal erhielt dann seinen Platz im Pfarrgarten, östlich vom Friedhof. Von den Opfern des 2. Weltkrieges 1939/45 brauche ich nicht zu schreiben, da in dem von Heimatortvertrauensmannes Erich Gottwald zusammengestellte „Ehrenbuch“ alles enthalten ist.

Im Mai 1942 erlebten wir Hochwasser. Während eines Gewitters war ein Wolkenbruch auf der Grenze Voigtsdorf-Reibnitz niedergegangen. Ungeheure Wassermassen sind am Vorwerksweg hereingekommen und haben gleich in der Rotschänke, Besitzer Gustav Modelt?, viel Schaden angerichtet. Das Wasser hat in der Gaststube bis zu den Fenstern hoch gestanden. Dann kam es im Dorf herunter. Der Bach war beiderseits über die Ufer getreten, sodaß auch bei uns noch auf der Straße das Wasser in 20 – 30 cm Höhe daher gebraust kam. Anliegende Gärten waren überschwemmt. Zu den ältesten, weiter vererbten Namen gehörte auch der Name Kühn. Der Landwirt Emil Kühn war in der 9. Generation der Besitzer des Grundstücks Nr. 108. Ein Ahne hat 1668 das Grundstück gekauft und Wohnhaus und Scheune darauf gebaut. Ein Bruder von ihm war 1664 als Kaplan in der kath. Kirche tätig. Eine auch sehr lange in Generationen vererbte Besitzung ist bei der Familie des Bauern Müller, Haus Nr. 11 nachzuweisen. Wie wir bei den Gemeinde- und Kirchenvorständen von 1770 nachlesen konnten, gab es damals schon mehrere Familiennamen, die auch 1945 noch vorhanden waren.

Nun noch etwas privates von uns. Am 31.Januar 1946 gehörten wir zu den 10 Familien die binnen ½ Stunde von Haus und Hof gehen und Voigtsdorf verlassen mußten. Es war noch keine amtliche Ausweisung, nur eine Schikane des polnischen Bürgermeisters. Ausgesiedelt wurden wir aber erst mit dem letzten Transport am 25.September 1947 von Hirschberg aus.


Entnommen aus „Kleine Dorfgeschichte“ von Gustav Günther

Abschrift von: W. Schön, Mail: genealogie@wimawabu.de, 06.02.06