Erlauschtes und Erlebtes aus meinem Dorfe Lomnitz i. Riesengebirge

von R. Lachmann


Jette ies gestorba!

Als ich noch in die Schule ging – es kann im Jahre 1890 gewesen sein – war es Mode, daß die Arbeitskollegen einmal im Winter abwechselnd abends zueinander „zum Lichta“ gingen. Die Spinnabende hörten langsam auf, die die Frauen immer ausführten; die Spinner und Weber gingen in die Fabriken. Diese Abende verliefen sehr gemütlich und es wurde dabei viel Ortschronik aufgetischt. Von einer solchen „Sitzung“ sei hier erzählt.

Am Nachmittag backte meine Mutter Puttermilchkließlan. Dazu machte sie in einer großen Tonschüssel den gesüßten Teig, mit Puttermilch angerührt. In einer großen Pfanne mit heißem Weißfett wurden die Kließlan hellgelb gebacken. Die Schüssel kriegten wir abwechselnd zum „Auslecka“, diesmal war mein Bruder dran. Er kam aber nicht weit damit, ehe er sie auf den Stuhl brachte, rutschte sie ihm aus den Händen und zersprang in unzählbare Stücke, soviel das Innere Glasurrisse hatte. Die Mutter war aber nicht erschrocken oder gar zornig, sie sprach: „Na, Robert, woas macha merr denn nu“? Robert antwortete: „Och luß ock, mir warn se wieder zommanoaln!“ (ach, das macht nichts, wir werden sie wieder zusammennageln). Er war damals fünf Jahre alt.

Am Abend kamen nun die zwei Fabrikschmiede Freudiger und Reichstein sowie der Grimmig-Büttner, da mußte ihnen mein Vater die Geschichte von Kriegel-Pauers Jette erzählen:

Der alte Bauer Kriegel (unterhalb der evangelischen Kirche war sein Gut) hatte eine Magd, die mit Vornamen Jette hieß. Jette hatte auf dem Gut das Spezialamt, die Schweine zu füttern. Ihr war vom Bauern ein Leinenbettbezug versprochen, wenn sie von vier dieser lieben Tierchen eins bis zu Weihnachten auf zweieinhalb Zentner brächte. Das brachte sie fertig. Sie hatte dieses Schwein auf den Namen Jette getauft. Wenn sie „Jette“ rief, kam diese und erhielt dafür einen halben Eimer Futter extra. Als sie nun schlachtreif war, wurde sie in aller frühe in der Scheune abgemurkst und auf eine Leiter gehängt. Kein Mensch in der Nachbarschaft hatte was gemerkt. Um elf Uhr war die Schule aus und Gustavla, der auf dem Hofe die leichten Arbeiten machen mußte, kommt zum Bauern in die Stube und fragt: „Woas sool ich macha?“ Der Bauer guckt ganz ernst und spricht: „Gieh bein katholischen Pforrn, ar sull läuta lohn, Jette ies gesturba“, was Gustav gleich brav besorgte. Da die Evangelischen keinen Glockenturm hatten, war es zwischen beiden Glaubensgemeinschaften zu dem Vertrag gekommen, daß die Glocken der katholischen Kirche für die Evangelischen bei diversen Anlässen gegen Bezahlung läuteten. Pünktlich eine halbe Stunde nach dem Mittagläuten erklang die Sterbeglocke, und die ganze Gemeinde wußte: `s ies wieder ees gesturba!

Am anderen Tage ging sonst der Grabebitter duch`s Dorf und lud ein, für den Tag und die Stunde „mit zu Groabe zu giehn“. Es kam aber diesmal kein Grabebitter. Aber der katholische Pfarrer kam zu Herrn Kriegel, wo es eine heftige Auseinandersetzung gab statt eines Schlachtfestessens. Der Pfarrer war gezwungen Kriegel anzuzeigen, und das kostete diesen 300 Mark Bußgeld! Aber Jette hat trotzdem den Bettbezug noch erhalten.



Entnommen aus „Schles.Bergwacht“, SB1963/N06/S104